Die Schoggiseite der Kleinkunst

Wenn Sie sich entschliessen, die Schweizer Kleinkunst-Preisträger sehen zu wollen, machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst: «Karls Kühne Gassenschau» ist genau so wenig kleine Kunst wie eine Plastik von Luginbühl. Dafür ist sie mindestens so anarchistisch wie der Berner Grosskünstler.

Schokolade ist Trumpf! (Bild: zVg/Bernhard Fuchs)

Wenn Sie sich entschliessen, die Schweizer Kleinkunst-Preisträger sehen zu wollen, machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst: «Karls Kühne Gassenschau» ist genau so wenig kleine Kunst wie eine Plastik von Luginbühl. Dafür ist sie mindestens so anarchistisch wie der Berner Grosskünstler.

Klein sind an der Kunst der Gassenschau höchstens die Figuren, die sie bevölkern. Das macht sie auch so charmant. Hier wird seit Jahren Theater gemacht, das sich für kleine Leute interessiert – aber nicht nur.

In den Anfängen war diese Truppe, die in der Zwischenzeit zu einem schweizerischen Markenprodukt geworden ist, auch mal in Basel. Da spielten sie u.a. im Hof der Mustermesse einen hinreissenden Stau! Legende ist die Autokolonne unter Kennern längst. Sie zeigte auch zugleich die Fähigkeit der Truppe: Technische Spielereien mit szenischem Witz zu verbinden. Als der geplagte Spiesser im Autostau endlich einmal austreten darf, lässt er das Wasser mit Hochdruck – aus seinem in geheimnisvoller Weise gefüllten Feuerwehr-Schlauch.

Wären die «Kühnen Karls» auch nur ein wenig mobiler, sie wären auf internationalen Bühnen unterwegs und irgendwo in der Nähe des Cirque de Soleil einzureihen. Aber das ist gerade das Besondere an der Truppe: Seit ihren Anfängen lädt die Truppe an speziellen Orten zu einem archaischen Mix aus Live-Musik, kühner Artistik und herb-schweizerischer Komik ein. In Sandgruben, Fabrikhöfen, Industriearealen.

In der Luft und unter Wasser

Die Truppe verblüfft jedes Mal ausgefuchster – mit technischer Raffinesse. Mal in der Luft. Mal unter Wasser. Was die Bastler und Artisten der Gassenschau seit Jahren austüfteln, wie sie es bespielen, wie sie dabei ihr Leben riskieren und uns verzaubern, gehört in die Kategorie Grand Magic Circus.

In diesem Jahr kochen die Kühnen Karls erneut Schokolade, wie sie es letztes Jahr schon taten. Nach neuem Rezept: Sie rasen in der «Fabrikk» herum. Sie purzeln in Schokomassen. Sie brettern über Rollbänder. Die hinreissende Dicke, die Rollbandartistin Brigitte Maag, kann das naschen nicht lassen. Die Romantiknudel Maria Augusta Balla verliebt sich in den Chocolatier Luigi Prezioso. Bis sie fliegen, fliegen. Glauben Sie nicht, sie hätten das alles schon gesehen: Am Schluss der Vorstellung fliegt sogar das Publikum ein wenig – hoch von den Sitzen: zu einer Standing Ovation.

Was «Fabrikk» durch den Kakao zieht, ist eine kleine Schweizer Pralinen-Manufaktur, die es in den Weltmarkt schaffen will. Um jeden Preis. Da kommt ein Besuch von Chinesen gerade recht. Der Anspruch an die Pra Li Ne ist gross. Das Chaos noch grösser. Am grössten aber die Bestellung: Da die Chinesen so viele sind, bestellen sie auch viel. Dass der Chef der Manufaktur da den grossen Raibach ahnt, ist so schweizerisch, wie, dass er einen noch grösseren Raibach machen möchte.

Die Belegschaft macht dabei allerdings nicht mit. Das wird so unschweizerisch frisch gespielt, dass man es manch einem Konzern, der sich auf der globalisierten Schoggiseite aufhalten will, wünschen würde. Als es dem CEO zuviel wird, verkauft das Schweizer Schlitzohr den Laden kurzerhand an die chinesischen Schlitzohren.

Geldanlage

Wie das Schlussbild uns das vor Augen führt, will ich Ihnen nicht verraten. Höchstens dies: Wenn sie demnächst in Zürich einen Kran an der Limmat stehen sehen, fahren Sie nach Winterthur weiter: dort, in den Kneipen rund um die «Fabrikk», lädt man Sie zu Musik, Essen, und einem ganz anderen Kran ein. Geld kann eben auf verschiedenste Arten angelegt werden. Manchmal sagt man sogar von Aktien, sie hätten Phantasie. Diese Phantasie kostet nicht nur Geld: Sie bewegt!

Seien Sie allerdings darauf gefasst, dass Sie nicht alleine nach Winterthur pilgern. 1400 Zuschauer pro Abend, etwa 100’000 pro Jahr, zählt die Gassenschau. Da zur Zeit alle vom Sparen in der Kultur reden, spare ich mir den Vergleich mit den Besucherzahlen anderer. Ich empfehle Ihnen aber, wenn Sie zur Pilgerschar gehören wollen, rasch zu bestellen. Es geht um Schoggi.

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