Lucien Montandon (27) bringt als Leadsänger von ALT F4 seine Stimme zum Tanzen. Die Band erweitert den Mundartrock um perlende Facetten, sodass man mitunter gar nicht merkt, dass da im Fricktaler Dialekt gesungen wird. «Ich wollte meiner Sprache Internationalität verleihen», sagt der singende Schlagzeuger vor seinem Auftritt am JKF.
«Treffen wir uns um 9 Uhr vormittags?» Selten genug, dass ein Musiker diese Zeit freiwillig vorschlägt. Lucien Montandon ist dann auch noch überpünktlich und will sich schon fast dafür entschuldigen.
Es ist ein Donnerstag und wir gönnen uns einen Kaffee im Roten Engel. Eine kleine Oase im Stadtzentrum. Fast wie auf dem Land. Von dort kommt Montandon ursprünglich. Er ging in Frick zur Schule, begann mit neun Jahren Klavier zu spielen, wechselte bald aufs Schlagzeug. Als Teenager führte er die beiden Instrumente zusammen, schrieb erste Lieder. Sein Grossvater, ein passionierter Ländlermusiker, zeigte ihm, wie man mit dem Roland Arranger verschiedene Sounds zusammenführen konnte. «Er war ein bisschen ein Erfindertyp und zeigte mir, wie die Technologie funktionierte. Ein wichtiger Schritt, denn so begann ich, erste Lieder aufzunehmen.»
Die Suche nach der eigenen Stimme
Als Teenager schloss er sich mit Gian-Marco Schmid, einem Bass spielenden Freund, zusammen – und später mit weiteren Musikern aus dem Unteren Fricktal: Dominik Brügger (Mellotron, Gesang), Christoph Boner (Piano, Hammond), Luca Preite (Gitarre). Das ist acht Jahre her. ALT F4 heisst die Gruppe, wer aber an Computermusik à la Kraftwerk denkt, liegt falsch. Zunächst versuchten sie es mit italienischsprachigen Songs. Doch Lucien wurde nicht warm mit den Ramazotti-Vergleichen und es ist dem Bandklima zu verdanken, dass erste Aussprachen nicht bereits zum Bruch der Schülerband führten. Nachdem er zu Hause schon auf einem Vierspur-Gerät Versuche als Sänger unternommen hatte, übernahm er den Leadgesang – in Mundart, «weil mir diese Sprache einfach auf der Zunge lag».
ALT F4 widerstanden dabei der Versuchung, der viele Mundartbands erlegen: Den gängigen Berner Vorbildern nachzueifern. «Wir haben ganz unterschiedliche Einflüsse: Ich wuchs mit Platten von Muse und Coldplay auf, Gitarrist Luca Preite wiederum liebt den Progrock der 70er-Jahre.»
Bis die Band selbst eine eigene Stimme hatte, verstrichen allerdings Jahre: «Meine ersten Anfänge am Gesang klangen wohl schrecklich. Denn als wir einem alternativen Radiosender einen Demosong schickten, antworteten diese: «Sorry, klingt wie Baschi – geht gar nicht», erzählt Lucien. Und kann heute darüber lachen.
Mundartwunder
Das Quintett probt in Möhlin, nur 20 Minuten von Basel entfernt, der Stadt, in der sich die Hälfte niederliess, um näher an einer veritablen Musikszene zu sein. «Doch bis wir hier in Basel wahrgenommen wurden, verstrichen einige Jahre.» Das sei mitunter frustrierend gewesen. «Im Nachhinein aber richtig, denn erst jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir unseren Sound soweit entwickelt haben, dass wir voll dahinter stehen können.»
Tatsächlich ist die Mischung aus spacigen Instrumentalparts, fein aufeinander abgestimmten Arrangements und eingängigen Chorgesängen bestechend. Wer ALT F4 heuer im Rahmen von BScene in der Kaserne hörte, erlebte sein Mundartwunder: Dialektrock mit einer ganz eigenen Note. «Vermutlich weil ich Schlagzeug spiele, fühle ich meinen Gesang sehr perkussiv, lasse meine Stimme tanzen», erklärt Montandon die Charakteristik. Mittlerweile tanzt seine Stimme auch in seinem Soloprojekt Octanone, mit dem er 2011 den allerletzten «Sprungbrett»-Wettbewerb gewann.
Trauer und Zweifel
Auf Höhenflüge folgten immer wieder auch Rückschläge. 2012 wurde die Band von zwei Todesfällen im persönlichen Umfeld erschüttert. «Trauer und Zweifel haben sich im letzten Jahr immer wieder vermengt», offenbart Montandon.
Im Frühjahr überliess er die Arbeit an den Drums zudem Brian Archinal, um sich stärker auf die (Bein-)Freiheit als Sänger konzentrieren zu können – und die ganze Band nutzte eine experimentelle Plattform in der Basler Kuppel, um auf der Bühne Bandhygiene zu betreiben. Gewaschen hat sich auch das Debütalbum, das vor einigen Monaten erschienen ist. James Gruntz produzierte es und die Band taufte es – ganz schön schräg nach einer Recyclingfirma: «Superdreckskescht». Den Fricktaler Dialekt hört man kaum heraus, die hüpfenden Gesangsmelodien gemahnen eher an an eine Band aus Brooklyn denn aus Möhlin. «Es war ein Ziel für mich, meiner Sprache eine Internationalität zu verleihen», sagt Montandon. Das gelingt der ganzen Gruppe famos, wie man auf der Auskopplung «Äne A Aarau» (Video unten) nachhören kann.
Äne an Aarau, hinter der Staffelegg, dort liegt sein Heimatdorf, wo er noch immer oft anzutreffen ist. In Frick unterrichtet er als Primarlehrer. Ein 50-Prozent-Pensum. «So bleibt mir genügend Zeit für die Musik», sagt der 27-Jährige, hält kurz inne, und fährt fort: «Am liebsten würde ich aber mal ein ganzes Jahr lang nur auf die Musik setzen. Darüber haben Luca, unser Gitarrist, und ich kürzlich gesprochen. Einfach mal machen und schauen, was dabei herauskommt.» Ehe die Band diese Idee diskutieren wird, spielen ALT F4 an einem weiteren Basler Grossanlass: am Jugendkulturfestival.
- ALT F4 live: Am 30. August auf dem Theaterplatz Basel um 23 Uhr.