Zwischen Basel und Hégenheim blüht seit einem Jahrzehnt das Künstlerbiotop «Fabrik Culture».
Eigentlich sind es nur wenige Meter: Hier, auf dem geteerten Streifen, wo die Hegenheimerstrasse in die Rue de Bâle übergeht, wo man nach der Ausfahrt Bachgraben ein Zollhäuschen passiert, wo in der Ferne über dem Elsass ein Flugzeug aufsteigt, steht die alte Fabrik. Nur ein paar Schritte also für einen Fussgänger – aber ein grosser Schritt für die meisten Basler.
«Die Grenze ist im Kopf», sagt Freddy Allemann und deutet mit ausladender Geste in Richtung Grenzstein: «Die Basler, die hier gleich gegenüber im Hegenheimer-Quartier wohnen, fahren lieber mit dem Tram 40 Minuten nach Riehen als zwei Minuten hierher.» Freddy Allemann muss es wissen: Seit drei Jahren versucht der Autor und Künstler, den Streifen zwischen Hégenheim und Basel mit einem ungewöhnlichen Projekt zu beleben.
Im Keller der alten Nähfabrik hat er sein Kleinsttheater eingerichtet: 40 Plätze zählt das Bijou, das dieses Wochenende in die dritte Saison startet. «Mit einem klaren Aufwärtstrend», wie Allemann nicht ohne Stolz betont.
Wobei Zahlen hier relativ sind: Geöffnet ist das Theater nur wenige Tage pro Monat, im Winter wurde es gar zum Proberaum für eine Clowngruppe umfunktioniert – denn im Keller fehlt der Platz für eine Bar. Der Barbetrieb findet daher unter freiem Himmel statt: «auf der Piazza», wie Allemann den Platz augenzwinkernd nennt. Trotz dieser Hindernisse bietet das «Théâtre de la Fabrik» ein vielfältiges Programm: Der legendäre Enthüllungsjournalist Günter Wallraff gastierte schon hier, ebenso die Musiker Pink Pedrazzi und Roli Frei oder Denise Geiser von den «Acapickels». Doch warum steht das Theater ausgerechnet hier, im Niemandsland?
«Oh!» Allemann verzieht das Gesicht: «Den Begriff Niemandsland höre ich gar nicht gern. Sagen Sie lieber: Ferienland.» Oder Kunstenklave: denn auf dem Gelände der 3000 Quadratmeter grossen Fabrik Hégenheim, die im 20. Jahrhundert einst stolzes Vorzeigeobjekt der Region war und Anfang der 90er-Jahre schliessen musste, haben sich neben Allemann fast zwei Dutzend weitere Künstler eingerichtet.
Zwischen Himmelslinien
So etwa Stephan Jon Tramèr, der die Garage gegenüber vom Theater zum Atelier umgebaut hat. Ein halbes Jahr investierte der Basler Maler in den Umbau, tatkräftig unterstützt von pensionierten Handwerkern aus dem Elsass. «Ein Traum» seien Ort und Lage des Objekts, meint Tramèr – und steckt uns eine Einladung zu seiner neuen Ausstellung zu, die am 21. März in der Galerie «Mitart» eröffnet wird und den passenden Titel «Zwischen Himmelslinien» trägt. Auch der Bündner Gregory Bezzola, der zurzeit sein Atelier in der Fabrikhalle einrichtet, schwärmt von der «einzigartigen Lichtarchitektur der Shedkonstruktion».
In der «Fabrik Culture» wird Kunst aber nicht nur her-, sondern auch ausgestellt: In der riesigen Fabrikhalle, wo früher Fäden gesponnen wurden, stellen drei junge Elsässer gerade Leinwände für die Aktion «Fil Rouge» auf – am Wochenende wird hier zeitgenössische Kunst präsentiert. Jeweils im Mai geben auch die ansässigen Künstler, drei Viertel davon Schweizer, bei den «Portes Ouvertes» einen Einblick in ihr Schaffen: Möglich macht dies der Trägerverein der «Fabrik Culture».
Aussergewöhnliches Potenzial
Hinter all den Künstlerinitiativen der Fabrik Hégenheim steckt der Basler Mäzen Christoph Staehli, der 2001 das brachliegende Gelände kaufte, um «das künstlerische Potenzial dieses aussergewöhnlichen Dreiländerecks» aktiv zu fördern. Schritt für Schritt schuf der Besitzer, von Haus aus Ökonom und Gymnasiallehrer, Ateliers, Ausstellungsräume, schliesslich das Theater. In Zukunft sollen ein Café und ein Restaurant dazukommen, bis die Fabrik zum «lebhaften, trinationalen Kulturbetrieb» wird.
Völlige künstlerische Freiheit
Gerne hätte man dem Gönner weitere Details zu Zeitplan und Budget entlockt, doch Staehli weilt zurzeit in Brasilien. Auch sonst hält sich der Besitzer gern im Hintergrund – und lässt seine Mieter machen. Diese sind voll des Lobes: «Völlige künstlerische Freiheit», geniesse man hier, so der Tenor.
«Wo gibt es das heute noch, dass man mit einem Kulturbetrieb nicht Geld, sondern Leute generieren will?», fragt Allemann rhetorisch: «Wo gibt es das sonst, dass Schweizer ennet der Grenze einen Kulturbetrieb für das ganze Dreiland aufbauen?» Gut möglich, dass die ehemalige Spinnerei sich gerade aufgrund ihrer Lage – fernab der Hektik der benachbarten Kulturstadt – bald als bestgehüteter Geheimtipp der Kunstszene entpuppt.
«Fabrik Culture», Hégenheim. Saisoneröffnung: Sa, 17.03., 20 Uhr mit «The Greatest», Ausstellung Sa/So, 11–18 Uhr.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12