Als T. P. nach einem Besuch der Miville-Ausstellung im Kunstmuseum Basel den Kurator zu sich nach Hause einlud, erlebte er eine schöne Überraschung: Der sachkundige Gast identifizierte an den reichhaltig mit Bildern behängten Wänden ein Werk des Künstlers, dessen Retrospektive man eben erst besucht hatte.
Es ist eine dieser Strassen am Rande der Basler Altstadt, in der die Glockenschilder an den Türen und Toren keine vollständigen Namen tragen, sondern lediglich Initialen. Also wissen nur Pöstler und Eingeweihte, wer in den herausgeputzten Häusern aus dem Mittelalter und Barock zu Hause ist. So belassen auch wir es («Mein Name spielt hier gar keine Rolle») in diesem Artikel bei den Initialen der Person, die den Berichterstatter der TagesWoche empfängt.
Wer nun also den richtigen Klingelknopf ausfindig macht und eingelassen wird, betritt erwartungsgemäss ein kleines Reich, das ausgesprochen geschmackvoll und stilbewusst eingerichtet ist. Überall an den Wänden hängen Bilder: Zeichnungen, Stiche, Ölgemälde aus den unterschiedlichsten Epochen, von bekannten und weniger bekannten Künstlern, die den Hausherrn als grossen Kunstliebhaber ausweisen, aber nicht auf einen emphatischen Sammler mit einer stringenten Zielrichtung hindeuten.
Der Kunstliebhaber und der Spezialist
Besonders reichhaltig mit Kunst bestückt ist das Arbeitszimmer. Gut fünfzig Bilder dürften es sein, die die Wände des Raums in bester «Petersburger Hängung» füllen. «Es ist das Bild links neben dem Fenster», erklingt der hilfreiche Hinweis aus dem Nebenraum. Die Stimme gehört, und hier darf man den Namen nennen, Hans Christoph Ackermann, Archäologe und Kunsthistoriker, wie die Visitenkarte ausweist.
Ackermann ist Stiftungsrat der Oltner Stiftung für die Kunst des 19. Jahrhunderts, die unter anderem den Nachlass des frühromantischen Basler Landschaftsmalers Jakob Christoph Miville (1786–1836) verwaltet. Und er war Co-Kurator der kürzlich zu Ende gegangenen Retrospektive von Mivilles Schaffen im Kunstmuseum Basel. Die Ausstellung war das Resultat einer ausführlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung des Werks des Basler Malers, der zwischen Rom, der Schweiz und St. Petersburg die unterschiedlichsten Landschaften festgehalten hat.
Das Bild neben dem Fenster
Das kleine, etwa 60 mal 30 Zentimeter messende Ölbild neben dem Fenster offenbart den Blick vom unverbauten Wiesental aus zum Rhein und nach Basel, wie sich die Stadt Anfang des 19. Jahrhunderts präsentiert hat. Ein kleines Messingtäfelchen am Bilderrahmen weist einen gewissen Peter Birmann als Künstler aus – eine Zuschreibung, die vom Besitzer des Werks, das schon bei seinen Grosseltern und Eltern gehangen hatte, nie in Zweifel gezogen wurde. Bis zu diesem Tag, als er nach einer privaten Führung durch die Miville-Ausstellung im Kunstmuseum den Kurator bei sich zu Hause zum Abendessen empfing.
«Mir war sogleich klar, dass es sich um ein Miville-Werk handelt», sagt Ackermann, dessen Blick beim Herumschlendern durch die Wohnung an diesem Werk hängengeblieben war. Die anderslautende Künstlerbezeichnung vermochte ihn nicht von seiner Überzeugung abzubringen – eher im Gegenteil. Denn Peter Birmann war der erste Lehrer von Jakob Christoph Miville. Den überzeugenden Ausschlag aber gab schliesslich nicht nur der malerische Stil, sondern auch das Motiv. Denn exakt der gleiche Blick offenbart sich auch auf einem grösseren Ölgemälde, das in der Ausstellung im Kunstmuseum hing und mit dem man es dann auch vor Ort verglichen hat.
Eine Ölskizze mit autonomer Werkqualität
Laut Ackermann handelt es sich bei diesem neu entdeckten «Miville» um eine Vorstudie für das grosse Gemälde «Wiesental mit Blick gegen Basel», das sich ebenfalls in Privatbesitz befindet. Wie bei weiteren Ölskizzen, die der Künstler vor Ort, also en plein air, gemalt hat, kann auch bei diesem Werk aber eigentlich von einem fast fertig ausgeführten Gemälde gesprochen werden. So hat der Künstler nicht nur Topografie, Farbe und Licht eingefangen, sondern auch verschiedene Figuren in die Szenerie eingebettet und «all diese Herrlichkeit» einfliessen lassen, wie sich Miville, ganz und gar Frühromantiker, über die Motive seiner Heimatregion äusserte.
Dass das Ölbild über Jahrzehnte den Namen eines anderen Urhebers trug, liegt unter anderem an der Tatsache, dass Miville nur wenige seiner Werke signiert hatte. Aus Bescheidenheit und einer gewissen Unsicherheit, was sein eigenes Können betraf, heraus, sagt Ackermann. Da es überdies kein umfassendes Werkverzeichnis gibt, lässt sich das Œuvre von Miville in seinem Umfang nur schwer abstecken. «Wir wissen, dass er ein fleissiger Künstler war, aber wir wissen von vielen seiner Werke nicht, wo sie sich befinden», so Ackermann.
Viele ungeborgene Schätze
Fast ein Drittel seiner Gemälde hat Miville zu Lebzeiten nach Russland verkauft, wo sie für die Forschung lange Zeit unzugänglich blieben. Wie auch ein weiterer nicht unbedeutender Teil seines Nachlasses, der bis Mitte des 20. Jahrhunderts im Familienbesitz blieb. Zwar hat der Kunsthistoriker Hanspeter Lanz 1954 für seine Dissertation zahlreiche Werke ausfindig machen können. Nicht wenige indes gelten bis heute als verschollen. «Ich bin überzeugt, dass in nicht wenigen Basler Haushalten Werke von Miville hängen, von deren Schöpfer die Besitzer nichts wissen», beteuert Ackermann.
Einen grossen Sprung auf der finanziellen Wertskala hat diese und haben erwartbare weitere Neuentdeckungen von Miville-Werken nicht zur Folge. Zumindest noch nicht. An den Auktionen sorgen noch immer andere Schweizer Künstler für Schlagzeilen oder Spitzenpreise. Die umfassende Forschungsarbeit, die in einen schönen Katalog mündete und natürlich die in Fachkreisen vielbeachtete Einzelausstellung im Kunstmuseum könnten dies aber mittelfristig ändern.
Jetzt folgt die Restaurierung
Kunsthistorisch indes bedeutet diese «Découverte», wie sich der Besitzer des Gemäldes mit viel Freude in der Stimme ausdrückt, natürlich eine Aufwertung. Eine, die aber Kosten mit sich bringt. Denn das ehemalige Birmann-Bild muss erst einmal restauriert werden, um seinen neuen Glanz als «Miville» wirklich ausströmen zu können. Und natürlich denkt T. P. nicht daran, sein altes Erbstück, das sich nun zum schönen neuen Kunstschatz wandelte, zu veräussern.
Die Ausstellung «Jakob Christoph Miville 1786–1836. Ein Basler Landschaftsmaler zwischen Rom und St. Petersburg» ist vorbei, nach wie vor erhältlich ist aber der schön aufgemachte, knapp 340-seitige Katalog, der die Resultate der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Mivilles Œuvre enthält. Er kostet 49 Franken und ist im Shop des Kunstmuseums Basel erhältlich.