«Die Wohlgesinnten»: Ein diabolisches Kammerspiel wird zur Grenzerfahrung

Der italienische Theatermacher Antonio Latella dampft Jonathan Littells 1300 Seiten starken Roman über die Gräueltaten der SS auf ein diabolisches Kammerspiel ein. Das geht unter die Haut.

Die Sicht der Täter: SS-Offiziere bei der perversen Karriereplanung (Thiemo Strutzenberger, Steffen Höld)

(Bild: Alexi Pelekanos )

Der italienische Theatermacher Antonio Latella dampft Jonathan Littells 1300 Seiten starken Roman über die Gräueltaten der SS auf ein diabolisches Kammerspiel ein. Das geht unter die Haut.

Es ist eigentlich ein schauderhafter Roman und ein ungeheuerlicher Wechsel der Erzählperspektive. Jonathan Littell breitet in «Die Wohlgesinnten» die beinahe unbeschreibbaren Gräueltaten der Nazis aus Tätersicht aus. Sein Romanheld ist der SS-Karrierist Maximilian Aue, der als Ich-Figur empathielos das Menscheitsdesaster rapportiert, das er mitverschuldet.

Das Monströse an dieser Figur ist, dass er auf den ersten Blick eigentlich kein Monstrum ist. Aue ist ein kultiviert-intellektueller Bildungsbürger, der die Musik von Bach und Rameau derjenigen von Richard Wagner vehement vorzieht. Einer, der Sophokles und Voltaire zitiert und auch mal eine Träne vergiesst, wenn der jüdische Junge, der so schön Klavier spielt, ermordet wird.

Littell bricht die Figur des SS-Offiziers aber, indem er ihn zum Homosexuellen macht, der sich überdies in einer inzestuösen Liebe zu seiner Schwester verstrickt. Und indem er ihn erst dann zum aktiven Mörder werden lässt, wenn er seine Mutter und seinen Stiefvater umbringt.

Vier Personen gehen durch die Hölle

Regisseur Antonio Latella, hat zusammen mit seinem Dramaturgen Federico Bellini den Roman, der so ziemlich alle Nazigrössen auftreten lässt, auf ein Stück für drei Schauspieler und einen Sänger eingedampft. Zusammen führt dieses Quartett den Höllenritt des unvergleichlichen Menscheitsdesasters auf.

Auf der Bühne (Ausstattung: Ralf Hoedt, Moira Zoitl) stehen etliche Klavierstühle herum, ein umgekipptes Klavier, das zum Sarg oder Bett wird, und ein stehendes Klavier. Und auf der Rückwand der Kleinen Bühne ist die Endlos-Videoschleife einer idyllischen Parklandschaft zu sehen, auf der Spaziergänger und Velofahrer sowie dann und wann auch ein Vögelchen oder ein Schmetterling vorbeihuschen – die wohlige Normalität der Gegenwart.

Verführung und Wahn

Im Zentrum der Dramatisierung stehen die Ich-Figur Maximilien Aue und ihm zur Seite sein durch und durch zynischer Förderer sowie unheimlicher Freund Thomas Hauser. Thiemo Strutzenberger verleiht Aue die eindrücklich gebrochene Aura eines verführten und zugleich vom Wahn besessenen Mittäters. Mit berauschtem Blick lässt er sich durch den Strudel der grauenvollen Ereignisse schleudern, gepeinigt überdies vom Stachel der im Erwachsenenalter zurückgewiesenen inzenstuös-wollüstigen Liebe zu seiner Schwester.

Im Gegensatz zu Aue ist Hauser, gespielt von Steffen Höld, der SS-Karrierist aus dem Bilderbuch: der brutale Herrenmensch ohne Skrupel, der mephistophelische Verführer, der seinen Kameraden («Schnaps ist Schnaps – Krieg ist Krieg») mit der Zigarette in der einen und dem Schnapsglas in der anderen Hand die Karriereleiter mit hochzerrt.

Ihnen zu Seite steht Barbara Horvath, die neben ihrer Hauptrolle als Aues Schwester Una auch noch in viele weitere Rollen schlüpft. Und Alexander Seidel, der als Sänger mit schöner Kopfstimme und sonorem Bass das Geschehen wie der Chor aus einer antiken Tragödie mit klagenden Liedern begleitet.

Albtraum ohne Entrinnen

Dieses Darstellerquartett muss Ausserordentliches leisten, was es auf beeindruckende Weise auch schafft. Latella lässt die Schlüsselszenen, die er aus dem monströsen Roman herauskristallisiert hat, mit harten Brüchen im Schnellzugtempo vorüberrattern. Wie Salven aus einem Maschinengewehr werden dem Publikum zum Beispiel die Rapporte der Massenvernichtungen von Juden in der Ukraine und in Russland entgegengeschleudert – begleitet vom harten Stampfen der Füsse.

Das geht an die Grenze des Erträglichen. Erst recht dann, wenn im zweiten Teil des Abends die perversen sexuellen Fantasien und Erinnerungen Aues ausbruchartig mit ins Spiel gebracht werden. Die Schnittmenge von Faschismus und sexueller Perversion, die zum Beispiel Pier Paolo Pasolini in seinem Film «Die 120 Tage von Sodom» bereits ausgebreitet hat, findet auf der Kleinen Bühne ihren Widerhall.

Theater, das unter die Haut geht

Das Bestechende des etwas über drei Stunden dauernden Abends ist, dass die Grausamkeit ausgebreitet, aber nicht vorgeführt wird. Auf explizite Büheneffekte verzichtet die Inszenierung. Das Blut, die Exkremente und sonstigen Menschensäfte fliessen nicht über den Bühnenboden, sondern in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Es nützt also nichts, wenn man die Augen verschliesst. Man müsste sich die Ohren zuhalten.

«Die Wohlgesinnten» ist ein Stück Theater, das fordert, zuweilen wohl überfordert, vor allem aber unter die Haut geht. Latella und das grandiose Darstellerquartett erschüttern durch das Gesprochene und ihre überwältigende Bühnenpräsenz. Es ist Theater, das weh tut. Das darf sein – oder genauer: muss sein dürfen. Dieser Meinung war auch das Premierenpublikum, das stark applaudierte.
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«Die Wohlgesinnten» nach dem gleichnamigen Roman von Jonathan Littell. Theater Basel, Kleine Bühne. Die nächsten Vorstellungen: 21. Februar und 15. März.

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