So ein Glück hat nicht jeder: Der Schweizer Videokünstler Louis von Adelsheim hat im Badischen ein Schloss geerbt. In dessen Park stellt er nun seine Werke aus, unter dem Motto «Adelsheim Leuchtet».
Wüste Nächte in Adelsheim. Rollende Köpfe, grinsende Bettler, brodelnde Geysir-Feuertreppen und Plastikmüll fressende Schweine. Die Wüste lebt, und sie hat dunkle Seiten. Wer unachtsam ist, den lockt sie mit Trugbildern und Irrlichtern, hypnotisiert, verzaubert ihn und lässt seinen Wahn Luftschlösser und plätschernde Oasen bauen. Fata Morgana in der Baden-Württembergischen Provinz. Ein nordbadisches Städtchen mit Durchgangsstrasse, eine halbe Stunde von Heilbronn entfernt. Italienisches Eiscafe, geschlossene Fensterläden, das Schuhgeschäft hat dichtgemacht, die Drogeriekette auch. Hier soll es Kunst, gar Videokunst geben? Über die Strasse ist ein Banner gespannt: «Adelsheim Leuchtet 2013. Audiovisuelle Installationen von Louis von Adelsheim im Schlosspark», und in Grossbuchstaben der Titel der Ausstellung: «ATAMAFASAJARAMORGANA». Wie man das wohl ausspricht? «Morgana» steckt jedenfalls drin, und wie eine Fata Morgana erscheint einem die ganze Sache.
Um 22 Uhr ist Einlass. «Freiheit aushalten» steht statt Parkverbotsschild am Schlosstor. Als Eintrittskarten gibt es farbige Leuchtbänder. Und schon geht die Wüstenreise los. Auf die Frontfassade des Schlosses sind Luftaufnahmen der bolivianischen Salzwüste «Salar de Uyuni» projiziert, der narbige, ausgedörrte Boden, der sich kilometerweit in die Ferne erstreckt, rast – aus der Vogelperspektive aufgenommen – an uns vorbei: Die Wüste ruft. Um zu ihr zu kommen, muss man aber erst einmal wie ein Fakir über glühende Kohlen laufen, die auf dem weissen Kiesweg gefährlich lodern.
Bettler unter der Brücke
Hinter dem Schloss erstreckt sich ein zwei Hektaren grosser, romantischer Schlosspark mit hohen Bäumen und plätscherndem Bach – von Fackeln und Kerzen eindrucksvoll in Szene gesetzt. Unter einer kleinen Brücke liegt ein Bettler und lächelt sardonisch. Er weiss, worauf sich einlässt, wer in die Wüste geht. «Der Erleuchtete» heisst diese Projektion, die wie viele andere Filmsequenzen direkt auf das raue Mauerwerk geworfen wird. Auf eindrucksvolle Weise gehen dadurch Form und Inhalt, Leinwand und Bild eine innige und produktive Verbindung ein.
«Nach dem gut einstündigen Gang durch den Park fühlt man sich wie nach einer tagelangen Wanderung.»
Besonders gut gelingt das bei der grossen «Tatio»-Installation: Da brodeln und dampfen auf der Schlossmauer 13 Geysire aus der nordchilenischen Atacama-Wüste. Bald verschwimmen Bildelemente und steiniger Hintergrund so sehr miteinander, dass aus den Urquellen auf einmal schreckliche Drachengesichter mit schwarzen Augen und feurigen Nüstern emporsteigen und nur auf den richtigen Moment zu warten scheinen, um mit schrillem Geheul aus der dunklen Mauer hervorzubrechen.
Täuschung und Geheimnis
Hier ist sie wieder, die Fata Morgana. Täuschung und Geheimnis, eine fremde, schöne, aber auch gefährliche Welt. Auf Büsche und Holzverschläge sind rotierende Skulptur-Köpfe des chilenischen Künsterls Hugo Marin projiziert, einige haben den Mund zum gellenden Schrei geöffnet, andere die Augen voller Panik weit aufgerissen. Das blanke Entsetzen packt einen dann selber beim Blick in die sogenannte «Spiegelkiste», einem neun Meter langen, quaderförmigen, mit Spiegeln getäfelten begehbaren Kasten, in dem sich eine unendlich weite Müllwüste auftut, in der selig fressend eine Horde schnaufender Schweine umherschnüffelt. Ein abschreckendes Bild für alle Schweinefleisch-Liebhaber und eine erschreckende Metapher für eine Welt, die im Abfall versinkt. Auch am Rand der Wüste.
Nach dem gut einstündigen Gang durch den Park fühlt man sich wie nach einer tagelangen Wanderung. Die Bilder und Filmszenen haben einen an weit entfernte Orte gebracht, haben die Fantasie gehörig angekurbelt. In der sogenannten Oberschlossbar sitzt der Künstler, der Initiator von «Adelsheim Leuchtet»: Louis von Adelsheim, ein hochgewachsener Mann in weissem Hemd, zerknitterter schwarzer Leinenhose und Ankle Boots. Seit 2005 verwandelt der gebürtige Berner den ererbten Schlossgarten in den Sommermonaten in eine gewaltige Freiluft-Video-Ausstellung – unterstützt von einem gemeinnützigen Verein Adelsheimer Bürger.
Reisender Künstler
Die Bilder seiner Ausstellungen sammelt er auf Reisen. Indien, Asien, Afrika und immer wieder Chile. Zu dem südamerikanischen Land hat er schon seit geraumer Zeit eine besondere Beziehung. Als dort 2011 ein schweres Erdbeben wütete, drehte von Adelsheim, der da gerade in den Vorbereitungen für eine grosse Ausstellung im wichtigsten Museum für moderne Kunst in Santiago («MAC») steckte, kurzerhand einen Dokumentarfilm über das zerstörte Museum. Als dieser Film dann auf Initiative von Sam Keller an der «Art Basel» gezeigt wurde, fanden sich eine Reihe privater Spender, die den Wiederaufbau des Museums unterstützten.
«Kein Wunder also, dass Louis von Adeslheim in Chile mittlerweile bekannter ist als in seinem Heimatkanton Bern.»
Auch für die künstlerische Eröffnung der «Semana Suiza», eines Kulturfestivals der Schweizer Botschaft in Chile, war von Adelsheim letztes Jahr verantwortlich. Kein Wunder also, dass er in Chile mittlerweile bekannter ist als in seinem Heimatkanton Bern, obwohl der 1953 geborene Videokünstler und Kameramann doch hier seine Karriere in den 80er Jahren begonnen hatte. Zusammen mit einem Künstlerkollektiv gründete er damals das «Sekretariat für Gegenwart», das sich die «radikale» Verbreitung und Vermittlung von Videokunst auf die Fahnen schrieb. Erste Installationen wie der provokative «elektronische Altar» wurden in der Berner Innenstadt ausgestellt, eine interaktive Leseperformance mit dem Autor Beat Sterchi an der Berner Universität erregte einiges Aufsehen.
Zukunftsmusik
Aber an solchen Reminiszenzen hat von Adelsheim eigentlich kein besonderes Interesse. Viel mehr interessiert ihn, an welchen anderen überraschenden Orten er seine Videokunst in Zukunft noch zeigen kann. Reale Wände, so schwärmt er, interessierten ihn im Moment ganz besonders. Deren metaphorische Dynamik natürlich, aber vor allem auch ihre flexible, immer wieder neu zu erobernde Materialität. Vor kurzem habe er auf die «Knast-Mauern» der Jugendstrafanstalt Adelsheim Interviews und Alltagsszenen der Häftlinge projiziert und gleichzeitig auf die Innenwände des Gefängnisses die Welt von draussen. «Innen ist Aussen» hiess die Installation.
Zudem ist eine Ausstellung in Berlin geplant, in einem zur Galerie umgewandelten Krematorium. «Das wäre eine besondere Herausforderung», lacht von Adelsheim und fährt sich gleich darauf nachdenklich durch die Haare. «Da müsste ich dann allerdings auch wieder meine ICH-Installation aufbauen» Das sei eine interaktive, begehbare Black Box, in der man einer indischen Beerdigung beiwohnt, dabei gefilmt wird und sich am Ende plötzlich selbst im Sarg liegen sieht.
Dada-Wortspielerei
Zum Abschluss, kurz nach Mitternacht, noch einmal ein Gang durch den Park. Die Menschenmenge ist vorbeigezogen, es war voll an diesem ersten Ausstellungsabend, 500 Besucher waren gekommen und viele haben versucht dem Künstler den Titel nachzusprechen. «ATAMFASAJARAMORGANA»: Das sei – hat von Adelsheim beim Abschied noch erklärt –, ein Dada-Wortspiel, eine «Melange a trois» aus Wüstenassoziationen (der nordchilenischen Atacama Wüste, der Sahara und natürlich der Fata Morgana). «Das muss man aber wirklich nicht wissen, denn wer das Wort für eine marokkanische Beschwörungsformel hält, liegt auch nicht falsch.» Ein Spiel der Verwirrungen also, eine Zaubervorführung, die bescheiden daher kommt, aber ungeahnte Welten eröffnet, ein badischer Schlosspark wird zum faszinierenden Theatrum Mundi. Und dann, kurz nach ein Uhr nachts, zieht von Adelsheim den Stecker und auf einmal ist alles dunkel, nur die Fackeln brennen noch.
- «Adelsheim leuchtet» noch bis zum 17. August jeweils Freitag und Samstag von 22h bis 1h im Schlosspark Adelsheim. Direkt an der B292, 7 Kilometer zur Autobahn A 81.