Er ist ein Wirbelwind, in Sachen Frisur und Drumming: Jojo Mayer (49), unser Mann in New York. Seit Jahren gehört er weltweit zu den progressivsten Schlagzeugstars. In der Garderobe des Basler Sommercasinos erzählte er, warum er Jazz und Rock den Rücken gekehrt hat, wie sich die New Yorker Studioszene verändert und was ihn an der elektronischen Subkultur fasziniert.
Er sieht etwas müde aus, Jojo Mayer. Kein Wunder: Der Schweizer Star-Schlagzeuger hat in den letzten zwei Monaten 50 Auftritte gegeben und dabei alle fünf Kontinente bereist. Mayer liess seine Wahlheimat New York hinter sich, um ein, von ihm massgeblich mitentwickeltes Fusspedal zu promoten. Trat also für einmal nicht mit seiner Band Nerve auf, die wir mehrmals auf dem Basler nt/Areal erleben konnten. Nein, sondern als Solist. Sein Ausrüster und das lokale Fachgeschäft Pro Percussion luden ihn nach vier Jahren wieder zu einer «Drum Clinic» in Basel ein.
Jojo Mayer live ist ein Erlebnis, seine Müdigkeit steht ihm nur ins Gesicht geschrieben, nicht aber in Arme und Beine, wie sich die Besucher im Sommercasino an diesem Samstagnachmittag vergegenwärtigen können. Mayer, der es als einer der wenigen Schweizer Musiker überhaupt immer wieder auf die Titelseiten internationaler Fachmagazine schafft, gibt eindrückliche Müsterchen seines Könnens zum Besten. Sein Schlagzeugspiel hat er stets weiterentwickelt und dem jeweiligen Zeitgeist angepasst, ja, mitunter progressiv vorgeführt, wohin sich Grooves entwickeln können. So umarmente er als einer der ersten Schlagzeuger die elektronischen Tanzstile, verinnerlichte in den 90er-Jahren den Drum’n’Bass und übersetzte diesen auf sein Instrument, angereichert mit komplexen Breakbeats, die einen Programmierer überfordern würden. Womit Mayer der Zeit voraus war – und heute gefragter denn je, wie der Publikumsaufmarsch zeigte. Wir nutzten im Vorfeld die Gelegenheit für ein Gespräch mit dem 49-Jährigen.
Jojo Mayer, Sie umarmten die Tanzspiele der 90er-Jahre umgehend, während viele Schlagzeuger damals die elektronische Musik fürchteten …
… ich glaube nicht einmal, dass die Schlagzeuger diese Musik als Konkurrenz fürchteten. Sondern dass eine ästhetische Barriere der Grund war für ihr Desinteresse: In der elektronischen Musik stand plötzlich kein Set mehr auf der Bühne. Damit konnten viele Schlagzeuger nichts anfangen. Sie verstanden diese neue Musik nicht.
Sie hingegen übertrugen sehr früh die programmierten Beats des Drum’n’Bass aufs Set und überführten diese Entwicklungen zurück auf die Konzertbühne. Woher rührte ihr Interesse?
Ich bin neugierig. Oder anders gesagt: Ich bin schnell gelangweilt. So wurde mir damals klar, dass alle wichtigen Sachen im Jazz und im Rock’n’Roll hinter uns lagen. Natürlich gibt es noch immer sehr gute Jazzmusiker. Aber nach allen soziokulturellen Entwicklungen im 20. Jahrhundert ist der Jazz nicht mehr relevant. In seinen Anfängen wurde er von radikalen Leuten gespielt und von radikalen Leuten gehört. Heute ist Jazz Musik von konservativen Musikern für ein konservatives Publikum.
Konservativ, so wie es Wynton Marsalis vorlebt; der weltberühmte Trompeter lehnt selbst längst vergangene Weiterentwicklungen wie Free Jazz oder Fusion ab.
Ja, genau. Marsalis hat eine Nische entdeckt, hat für sich festgestellt: Wenn ich Museumsabwart werde, kann ich Millionen verdienen. Und genau das hat er auch gemacht. Das ist eine Business-Strategie, von der wir uns nicht täuschen lassen sollten. Im Versteckten hört doch auch er genauso Rockmusik und findet diese geil.
Aber Sie haben selbst die Rockmusik hinter sich gelassen.
Ja. Auch wenn es tolle Bands wie die Black Keys oder die Foo Fighters gibt: Die Rockmusik ist kulturell nicht mehr relevant, weil man ihr das Schlüsselelement herausoperiert hat – die Rebellion. Schauen wir doch zurück: In den 60er-Jahren spionierte der CIA Jimi Hendrix nach, weil er die Nationalhymne in Woodstock spielte. Auch Leute wie Frank Zappa oder Jim Morrison waren den Behörden ein Dorn im Auge. Sie waren nicht kriminell, sondern gefährlich, weil sie an etwas glaubten und dafür kämpften. Diese Zeiten sind vorbei. Während bei den Rolling Stones noch die Stühle durch die Halle flogen, tritt das Rockpublikum heute nach dem Konzert leise nach draussen, wegen den Anrainern, weil ansonsten der Club zugemacht wird. Später, in den 80er-Jahren, tauchten noch die Hipsters auf und das war dann das Ende. Seither verändert sich der Rock nur noch kosmetisch, ist Massenkonsum als Individualismus getarnt.
Die elektronische Musik ist aber noch aufregend genug?
Ja. Die Subkultur ist noch immer relativ gross, weil die Kultur billig und digital ist. Durch die neuen Werkzeuge eröffnen sich uns auch neue Möglichkeiten. Man kann alleine, mit einem Laptop, neue Tracks kreieren. Zwar ist auch in der elektronischen Musik viel passiert, von Glitch Beats über Mashups bis Dub Step – aber es entstehen immer noch neue Sachen. Hier stosse ich auf frische Ideen. Wohingegen man das Gitarrenspiel nur einmal so erfinden kann wie es Jimi Hendrix tat.
Holen Sie sich die Inspiration in den Clubs?
Ja, klar. Man kann das nicht faken, kann die aktuellen Beats und Sounds nicht wie in einem Buch nachlesen. Es ist wie mit einer mündlichen Sprache, man muss rausgehen und sie sich anhören.
Vor einigen Jahren sagte mir Steve Gadd, die Konkurrenz werde immer grösser, die Studiojobs seltener. Er lebe heute hauptsächlich von den Konzerten und beneide die jungen Schlagzeuger nicht. Sehen Sie das gleich?
Ja, das stimmt. Früher war ich drei, vier Mal pro Woche im Studio. Heute sind es noch drei, vier Tage pro Monat. Die Zeit der Studiomusiker ist vorbei. Es gibt keine Plattenindustrie mehr, die diese Szene unterhält. Hinzu kommt, dass ich immer in New York sein müsste, wenn ich von Studioaufträgen leben wollte.
Auf Abruf bereit?
Ja, genau. Denn 80 Prozent der Studiojobs kommen heutzutage extrem kurzfristig rein. Man kriegt einen Anruf und es heisst: «Was machst Du heute? Wir bräuchten drum rasch einen Hi-Hat-Overdub.» Aber selbst wenn man diesen Weg wählt, braucht man ein zweites Standbein, zum Beispiel in einer TV-Show, so wie The Roots, als Lehrer, oder als Musiker am Broadway. Da sitzt man dann im Untergeschoss eines Theaters, hat vor sich einen Videomonitor und spielt allabendlich dasselbe und blättert nebenbei in einer Zeitschrift.
Ein festes Engagement als Broadway-Musiker würde Sie also überhaupt nicht reizen?
Nein. Ich habe mich grundsätzlich dagegen entschieden, ein In-town musician zu sein. Als ich nach New York kam, war der geografische Aspekt noch von Bedeutung, denn die Welt war noch nicht so vernetzt, man hatte keine Mobiltelefone und kein Internet. Mittlerweile verdiene ich mein Geld zu zwei Dritteln ausserhalb von New York. In der Stadt selber organisiere ich das Geschäftliche und nehme die unterschiedlichsten Aufträge an: Das reicht von Aufnahmen mit Norah Jones über einen Auftritt in einer Kochshow bis zu Demos für eine russische Sängerin, die einen reichen Mann hat.
Das haben Sie schon gemacht?
Ja, klar.
«Der Swing kommt in New York aus dem Wasserhahn»
Sie gaben in den letzten 60 Tagen 50 Workshops und Clinics. Bilden diese mittlerweile den Grundpfeiler Ihrer Einkommens?
Nein, die sind einfach ein Teil des Ganzen. Es ist eine Mischrechnung aus ganz verschiedenen Aufträgen und Aktivitäten, diese beschränken sich übrigens auch nicht nur auf die Musikszene. Ich arbeite auch in Fokus-Gruppen und Think tanks. Der Paradigmenwechsel, mit dem ich mich in der Musik auseinandersetze, lässt sich auch auf andere Bereiche auslegen.
Der Wandel in der Musikerstadt New York, die unbegrenzten Möglichkeiten durch die neue Kommunikation und Mobilität haben Sie aber noch nicht auf die Idee gebracht, in die Schweiz zurückzukehren?
Nein. Die Schweiz hat eine gute Infrastruktur, was ich sehr schätze. Und heute ist man tatsächlich besser erreichbar. Aber der Groove in New York ist für mich noch immer der Beste. Der Swing kommt dort aus dem Wasserhahn, hier nicht.