Diese Band bringt die Isolation auf den Punkt

Sie werden als die nächste grosse deutsche Band gehandelt und heissen, wie sie sich fühlen – Isolation Berlin. Ihre Musik ist der Soundtrack zur bedrückenden sozialen Unverbindlichkeit der Grossstadt. Vor ihrem Konzert im Hirscheneck haben wir mit Sänger Tobi Bamborschke gesprochen.

Deutschlands neue Pop-Hoffnung? Isolation Berlin mit Sänger Tobi Bamborschke (rechts im Bild).

Sie werden als die nächste grosse deutsche Band gehandelt und heissen, wie sie sich fühlen – Isolation Berlin. Ihre Musik ist der Soundtrack zur bedrückenden sozialen Unverbindlichkeit der Grossstadt. Vor ihrem Konzert im Hirscheneck haben wir mit Sänger Tobi Bamborschke gesprochen.

Es ist die Geschichte einer Stadt, die einst durch eine Mauer geteilt und schliesslich wieder vereint war. Tausende Wohnungen standen leer, die Mieten waren spektakulär günstig. Überall gab es Brachen und leerstehende Industriebauten, die nur darauf warteten, zu Techno-Clubs und Ateliers umfunktioniert zu werden. Aus dem ganzen Land kamen junge Leute, schliesslich gar aus der ganzen Welt. Berlin sollte die Stadt sein, wo «es» passiert. Was immer «es» auch sein mag.

Im Fahrwasser der Begeisterung macht sich mittlerweile auch Leere breit. Eine junge Band hat nun den beeindruckenden Soundtrack zur grossen Verlorenheit in der Welt-Zugezogenen-Hauptstadt geschrieben. Sie heisst, wie sie sich fühlt: Isolation Berlin.

In Berlin herrscht «Vergnügungszwang»

Es sei ein Gefühl, dass man zwar überall haben könne, sagt Tobi Bamborschke am Telefon, doch die Isolation Berlin in ihrem Namen sei eine ganz besondere. Denn in Berlin könne man jeden Tag Menschen mit jeder Nationalität und jedem Lebensentwurf kennenlernen. Die ganze Welt ist praktisch vor der Haustür. «Doch wenn es dir schlecht geht, hast du das Gefühl, du passt nirgendwo rein.» Es herrsche eine Art «Vergnügungszwang» in der Stadt. Soziale Beziehungen sind unverbindlich und bleiben oberflächlich. «Man kennt am Ende die ganze Stadt, aber niemanden wirklich.» Doch der 27-Jährige sagt, das sei auch ein Gefühl der Zeit.

«Man kennt die ganze Stadt – aber niemanden wirklich.»

Und vielleicht hat er recht: Auf Facebook hat man fünfhundert Freundinnen und Freunde. Man zeigt dort nur das von sich, was man möchte. Facebook verdränge das Entscheidende, das uns menschlich mache – unsere Fehler, schreibt Aaron Sorkin, Drehbuchautor von «The Social Network». Kein Wunder fühlt man sich so, wenns einem schlecht geht – verloren und isoliert.

Unter den Bands in Berlin gebe es keine wirkliche Szene, erklärt Bamborschke, anders als zum Beispiel in Hamburg. «Dort kennen sich alle.» In Berlin gebe es eher «kleine Szenchen», die sich auf die Bezirke beschränken. Begegnet man dem Mitglied einer anderen Band, nickt man sich zu oder gibt sich die Hand. «Jeder kocht hier sein eigenes Breichen.» Kein Wunder, denkt man bei sich, fühlt sich der isoliert.

Die Rio-Reiser-Gedächtnis-Stimme

Bamborschke ist mit 13 Jahren nach Berlin gekommen und hat sein Leben seither dort verbracht. Er liebt Berlin durchaus. Die Songs zur letzten EP «Körper» hat Bamborschke geschrieben, als er viel mit Zugezogenen abhing. «Sie alle sprachen davon, wie scheisse es in ihren alten Städten sei und was in Berlin alles so geil ist.»

Doch Bamborschke gings damals schlecht, und alles, was die Leute abfeierten, fand er schrecklich. Er schrieb fünf aufgekratzte Songs, die deutlich kaputter klingen als die melancholisch-schwelgerischen Lieder der vorherigen EP «Aquarium». Die Gitarren dominieren auch auf beiden Scheiben. «Proto-Pop» nennen sie ihre Musik selbst. Man könnte es als Post-Punk bezeichnen, unverkopft und leicht zugänglich.

 

Dazu geben auch Bamborschkes Texte ihren Teil. Es sind Slogans oder Parolen: «Der Wahnsinn hält mich warm» wie in «Alles Grau». Oder «Schlafen kann ich auch noch, wenn ich tot bin» in «Der Bus der Stillen Hoffnung». Nicht zuletzt «Isolation Berlin» aus dem gleichnamigen Song.

Die zugängliche Einfachheit und Parolenhaftigkeit teilen Isolation Berlin mit Ton Steine Scherben, der deutschen Polit-Krawall-Rockband aus den 70er-Jahren um Sänger Rio Reiser. Wenn Bamborschkes Stimme kippt und er kurz ins Krächzen verfällt wie zum Beispiel auf «Alles Grau», glaubt man Reiser singen zu hören. Doch er habe keine Beziehung zur Musik von Rio Reiser, sagt Bamborschke am Telefon. «Ich kenne ihn, habe aber seine Sachen nie gehört.»

Er mag den Song «Junimond», doch er ist kein Fan, hat aber auch nichts gegen Ton Steine Scherben. Bamborschke versteht seine Texte nicht politisch. Wobei er da vielleicht zu kurz greift. Wenn er ein allgemeines Gefühl der Verlorenheit ausdrückt und sich viele damit identifizieren können, wird die Musik als Ausdruck der Isolation kollektiv – und damit schliesslich auch politisch.

Unzufriedenheit steht schliesslich am Anfang jeder politischen Gesinnung. Für Bamborschke kann Musik mehr als jede andere Kunstform Vermittlerin sein. Wenn es den Menschen schwerfällt, ihre Gefühle auszudrücken, ist die Musik eine Brücke. «Die Leute können einfach sagen, sie mögen diesen Song und müssen nicht zusammensitzen, um Probleme zu besprechen.» Oder man kann den Song auf Facebook posten – ohne seine Schwächen preiszugeben.

«Musik ist keine Therapie»

Auch die eigene schwere Zeit überwand Bamborschke mit der Musik. «Therapie» klingt ihm zwar zu «medizinisch», aber das Songschreiben habe ihm «schon sehr geholfen». Im Februar erscheint das von der deutschen Musikpresse schon heiss erwartete Debütalbum. Es werde auf jeden Fall «sehr melancholisch» klingen. Es gehe um Sehnsucht und vergangenes Leid. Ein Griff in die typische Isolation-Berlin-Themenkiste also. Doch Melancholie liegt der Band auch am besten, was man auf der kürzlich erschienenen Doppel-Single «Annabelle» bemerken konnte.

Die beiden Songs darauf sind so gut gelaunt und schnulzig, dass sie hart am Kitsch vorbeischrammen. Man möchte fast froh sein, wenn Bamborschke nun sagt, dass sein Gefühl der Isolation noch anhält. Inzwischen könne er es gar geniessen: «Wenn man den ganzen Tag allein durch die Strassen geht – in diesem Meer von Gesichtern ist das irgendwie auch berauschend, inspirierend und beruhigend.»

Was sie im Hirscheneck spielen werden, weiss er noch nicht. Entscheiden werden sie das erst vor Ort: «Das hängt davon ab, wie der Laden sich anfühlt, wie die Leute sind, die ihn betreiben, wie sich die Dielen anfühlen, wie er riecht.» Manchmal würden sie ihre Setlist auch noch auf der Bühne ändern. Ein paar Songs vom neuen Album werden bestimmt darunter sein.

Das nächste grosse Ding aus Deutschland?

Live seien sie noch besser als auf Platte, heisst es über Isolation Berlin. Es ist also alles vorhanden für einen guten Konzertabend: eine junge, kaputte und spielfreudige Band und ein dunkler Keller. Viele grosse Bands haben so angefangen. Oder wie’s im wichtigen Musikblog der deutschen «taz» heisst: «Believe the Hype: Isolation Berlin ist die nächste grosse heimische Band.»
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Live: Hirscheneck, Basel. Lindenberg 23. Donnerstag, 12.11., 21 Uhr.  

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