Hühner, Hirsche, Hasen: Das Künstlerpaar Flurina Badel und Jérémie Sarbach hat ein Faible für Tiere. Aber nicht nur – sie interessieren sich vor allem für Schnittstellen, wie die Auswahl neuer Arbeiten in der Galerie Idea Fixa zeigt.
Flurina Badel und Jérémie Sarbach sind noch nicht lange aus Montréal zurück, wo sie die erste Jahreshälfte in einem Austauschatelier verbrachten. Dem Künstlerpaar gefiel es: «Kanada ist der Schweiz sehr ähnlich – und war uns deshalb sehr nahe», sagt Badel. Und nicht nur das: Auch die Berge waren nicht weit und sorgten bei den beiden für Heimatgefühle; schliesslich stammt Badel aus dem Engadin und Sarbach aus dem Binntal.
Berge und Landschaft sind zentrale Themen im Schaffen der 33-jährigen Künstlerin und des 25-jährigen Künstlers, die sich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst kennenlernten und deren Namen man in Basel immer öfter hört. Jetzt, kaum zurück, bespielen sie mit neuen Werken die Räumlichkeiten der Galerie Idea Fixa. Auch den Garten hinter dem Haus beziehen sie mit ein: In einem zweistöckigen Stall gackern Hühner und picken Futter von Computer-Tastaturen. Sie generieren so mit ihren Schnäbeln einen Code, der auf einem Bildschirm die Form eines Bergpanoramas kreiert.
Pick, Pick: Hühner fressen, ein Code wird generiert. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Das Zusammenspiel von Computer und Natur – das hat in Badel und Sarbachs Schaffen Konzept. Auch die Hühner waren schon mal da: Für eine Präsentation in Ernen im Wallis haben die Künstler den Hausberg, das Finsteraarhorn, aus Hühnerfutter und Pflanzenfett gegossen und von den Tieren wegpicken lassen. Frei nach dem Motto: Freie Sicht fürs Bergdorf.
Und wie kamen sie zum Huhn? «Wir finden es witzig, dass das Huhn vom T-Rex abstammt», sagt Sarbach. Ganz nebenbei lässt es sich gut halten, auch wenn man es jeden Morgen zeitig füttern muss. «Wir sind Frühaufsteher, kein Problem für uns», sagt Badel und lacht.
Doch beim Huhn allein bleibts in der Idea Fixa nicht – wenn sie auch die einzigen lebendigen Tiere hier sind. Sonst finden sich noch Hase und Fuchs und der Hirsch, alles Tiere, die die beiden Künstler aus ihrer Kindheit kennen. «Bei uns in der Familie wurde gejagt, deshalb zierten Hirschgeweihe die Wände», erzählt Sarbach. Als er weiterspricht, wird mir klar, wie wenig ich über Hirsche weiss. Dass ihr Geweih sich alljährlich erneuert, beispielsweise. Und dass sie es an Baumstämmen reiben, um die Haut abzustreifen. Und dass dabei die Bäume kaputtgehen.
Die Hirschgeweihe, die Badel und Sarbach geschaffen haben, muten allerdings etwas komisch an. Sie stecken an langen Stielen und bestehen nicht aus Knochensubstanz, sondern aus rosaroten Kunststofffingern. Der Gedanke dahinter: «Wie das Geweih des Hirsches eine Trophäe ist, sind die Finger zu Trophäen des digitalen Zeitalters geworden», sagt Sarbach.
Das schreit nach einer weiteren Erklärung.
Badel und Sarbach haben neben ihrer Leidenschaft für Landschaft und Tiere nicht nur einen Sinn für Surreales, sondern arbeiten gerne an der Schnittstelle zwischen analog und digital. Das Wort digital, das vergisst man gerne, kommt von digitus, was der Lateinlehrer mit Finger übersetzt. Ohne Finger lassen sich keine Computer bedienen und schon gar keine mobilen Geräte wie Smartphones oder Tablets (zumindest bis heute).
Isolierte Menschen
Vor diesem Hintergrund machen die Finger-Geweihe plötzlich Sinn, und auch eine Gruppe von kleinen, aus Fingern gebauten Venus-von-Willensdorf-Figuren. Diese stehen im Kreis auf einem Boden, verbunden durch Kopfhörer. «Die Venus von Willensdorf ist so etwas wie der Urkörper», erklärt Badel. «Wir finden, dass die Menschen heute den Kontakt zu ihrem Körper und der Umwelt verlieren. Jeder sitzt mit Stöpseln in den Ohren vor seinem Handy und hat das Gefühl, mit der Welt verbunden zu sein – dabei isoliert er sich mehr und mehr. Das wollen wir hier verbildlichen.»
Probleme der digitalen Welt oder das Digitale selbst ins Analoge, ins Greifbare zu übertragen, das versucht das Paar seit Beginn seiner Zusammenarbeit vor zwei Jahren immer aufs Neue. «Wo ist das Internet physisch?», fragen sie sich. Zwei Fotoserien an der Wand geben mögliche Antworten darauf.
Die eine Serie zeigt schwarz-weisse Fotos von Minenarbeitern, die Mineralstoffe abbauen, die für den Bau von Computern gebraucht werden. Ihre Kopflampe ist eine Sonne – das kleine Symbol, das auf dem Computer erscheint, wenn man den Bildschirm heller oder dunkler macht.
Reinmontiert? «Nein», sagen die Künstler. «Wir haben das Fotopapier mit dem Licht des Computerbildschirms belichtet», sagt Badel. Die Fotos haben sie im Internet gesucht und mittels der ungewöhnlichen Belichtungstechnik ins Physische übertragen.
Ein Inuit auf seiner Eisscholle, dazu kleine Schnitzereien: Hase und Fuchs aus einem Eishockeypuck. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die zweite Serie zeigt Fotografien des Engadiner Fotografen Albert Steiner. Vor rund hundert Jahren schuf dieser idyllisch-inszenierte Ansichten der Bündner Alpen. Die einst analogen Fotografien haben Badel und Sarbach ebenfalls im Internet zusammengesucht und mittels Bildschirm-Belichtung wieder ins Analoge rücküberführt – vom Foto zur digitalen Datei zum Foto. Die Bildschirm-Sonne überdeckt dabei die reale Sonne.
«Wichtig ist uns dabei, dass man die Hilfsmittel wie den Cursor oder eben das Sonnensymbol noch sieht», sagt Sarbach. Ebenfalls wichtig ist der Kontext, es sind nicht nur technische Spielereien. Viele ihrer Arbeiten haben einen gesellschaftspolitischen Hintergrund: die ausgebeuteten Mineure, die Inszenierung einer Idylle, oder auch die isolierte Situation der Inuit, die sie aus ihrem Atelier in Montréal genauer beobachtet haben.
Die kleine Figur, die in der Galerie auf einer Styropor-Eisscholle hockt und so friedvoll aussieht wie ein Buddha, kriegt plötzlich eine ganz neue Bedeutung: Wir werden uns bewusst, dass wir mit dieser Interpretation dem verklärten Bild aufsitzen, das so viele von den indigenen Völkern haben. Dass uns kaum kümmert, was die Klimaerwärmung oder die Verschmutzung der Ozeane auf das Leben der Inuit für Auswirkungen hat.
Badel und Sarbach gelingt es, auf ästhetischem Weg solche Gedanken anzuregen. Das allein ist schon eine Kunst. Der Rest sowieso.
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«De Novo – Flurina Badel & Jérémie Sarbach», Galerie Idea Fixa, Feldberstrasse 38, Basel. 2. Sept. bis 5. Nov. 2016. Vernissage Fr, 2.9., 17 Uhr.
Mit dem Seasonopening der Basler Galerien fällt alljährlich im Spätsommer der Startschuss zur Kunst-Saison – auch in diesem Jahr: Am Freitag, den 2. September, laden die Galerien des Basler Vereins gemeinsam zur Eröffnung ihrer neuesten Ausstellungen. 14 Galerien nehmen teil – und wenn wir einen Rundgang vorschlagen müssten, dann wäre es dieser: Wir beginnen im Kleinbasel an der Feldbergstrasse bei Idea Fixa. Von da geht’s über die Johanniterbrücke zu Tony Wüthrich, dort zeigt der Basler Künstler Markus Schwander seine Collagen (und bei schönem Wetter gibt es einen Gartengrill!). Wir bleiben im St. Johann und wandern hoch zum Kannenfeldplatz, wo die Galerie von Bartha Arbeiten von US-Künstler James Howell zeigt. Der arbeitete vorwiegend in Grau und fast monochrom – wem das zu wenig Figur und Farbe ist, der schnappt sich den Bus zum Bahnhof und schaut bei Gisèle Linder vorbei. Dort gibt es subtil-filigrane Gemälde von Luo Mingjun zu sehen. Gleich ums Eck wird’s bewegt, dort zeigt Balzer Projects Foto- und Videoarbeiten der deutschen Künstlerin Kerstin Honeit. Und zum Schluss noch ein altbekannter Name in der Innenstadt: Bei Stampas präsentiert Zilla Leutenegger Neues. Wir sind gespannt.
>> Seasonopening, Freitag, 2.9., 17–21 Uhr. www.kunstinbasel.ch