Diese Kunst kann was!

In der Kunsthalle Basel stellen derzeit die Absolventen des Masters in Fine Arts aus. Zu sehen gibt es barocke Ungetüme, die volle Dröhnung Musikdosensound und gratis Brot.

Bald sind sie weg: Die Absolventen der Hochschule für Gestaltung Basel zeigen derzeit, was sie drauf haben. (Bild: Christian Knörr)

In der Kunsthalle Basel stellen derzeit die Absolventen des Masters in Fine Arts aus. Zu sehen gibt es barocke Ungetüme, die volle Dröhnung Musikdosensound und gratis Brot.

Oh weh: Die Vernissage der Diplomausstellung fängt am Sonntag um 11 Uhr an. Eine unchristliche Zeit, schliesslich geht es hier um die Arbeiten von Studenten (obwohl das Durchnittsalter der Abschliessenden doch schon 35 Jahre beträgt), die an einem Wochenende erfahrungsgemäss kaum vor zwei Uhr nachmittags aus dem Bett zu kriegen sind.

Wie ich. Das heisst aber nicht, dass ich vorhabe, da erst um zwei hinzugehen. Am Abend zuvor stelle ich mir vor, wie ich früh aufstehe, in aller Frische hinradle, Orangensaft anstatt Sekt schlürfe und geistreiche Gespräche mit gutgekleideten Menschen führe.

Leider stehe ich dann doch zu spät auf. Schleppe mich übellaunig in die Kunsthalle, wo mich eine weitere, etwas weniger übellaunige Freundin erwartet.  Bei soviel übler Laune ist das Ansetzen einer Vernissage auf 11 Uhr ziemlich mutig. Oder clever: Denn Kunst, die unter solch widrigen Umständen zu überzeugen vermag, kann was.

Guter Stoff

Und tatsächlich: Diese Absolventen können was. Bereits im ersten Raum springt uns ein Gebilde aus schwarzen gestapelten Leinwänden ins Auge, das auf den ersten Blick einschüchternd konzeptuell wirkt. Doch der Schein trügt: Dem vermeintlich über-aufgeladenen Ding liegt ein intelligente Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum zugrunde.

Olivier Rossel hat Keilrahmen mit einem Material aus der Landschaftsarchitektur bespannt, das zum Stützen von unebenem Grund gebraucht wird. Zusätzlich verhindert es das Eingreifen der Natur in die künstliche Landschaft. Rossel hat es in Rahmen eingepfercht – in einem Ausstellungsraum hat die Natur des Künstlers das letzte Wort, nicht die Bausubstanz.

Ein Vorhang aus Barock-Ungetümen

Viel Stoff zeigt auch Marcel Freymond: Er hat riesige Bahnen aus Leinenstoff an der Wand und am Boden angebracht, als Teppich und Vorhänge. Darauf sind plastisch gemalte Schnörkel und Kelche zu sehen, die sich zu barocken Ungetümen auftürmen. Barocke Kelche auf dekorativen Vorhängen? Irgendwie ungewöhnlich für einen jungen Künstler.

Ungewöhnlich ist auch Freymonds Werkzeug: Der Bieler malte ausschliesslich mit Kohle auf die Stoffbahnen. Dass Zeichenkohle zur Malerei auf Stoff taugt, ist uns neu. Aber es funktioniert: Das Resultat ist, nicht zuletzt auch wegen Freymonds beeindruckenden Zeichentalent, eine Augenweide.

Reizlose Tonobjekte, billiges Regenrohr

Der zweite Saal hat was Irritierendes. Wir schauen uns die wenig reizvollen 382 Tonobjekte Raphael Bottazzinis an und besprechen Christoph Eisenrings lustigen verkehrten Kussmund an der Wand, finden aber nicht heraus, was es ist, das uns aufwühlt. Ein paar Kinder scharen sich in der vorderen Ecke des Raumes um ein billiges Regenrohr, das in den Raum hineinragt. «Gebastel» meckern wir und gehen in den nächsten Saal.

Auch hier wieder Kinder. Sie stehen um eine grosse helle Holzkiste und ziehen an Bändeln, die auf allen Seiten hinausragen. Das Ergebnis ist ein gewaltiges musikalisches Durcheinander: Jeder Bändel führt zu einer Musikdose im Innern der Kiste, die «Weisst Du, wieviel Sternlein stehen» abspielt.

Mit einem sanftmütigen Kinderlied hat das beklemmende Spektakel nichts mehr zu tun – eine gekonnte Vorstellung legt der Künstler Philippe Reinau hier hin, man will dem Unheimlichen dieser Arbeit sofort nachgehen, kommt ihm aber nie ganz auf die Spur. Chapeau vor dem, der die frisch aus dem Bett Gestiegenen aus ihrer Lethargie reisst!

Die Auflösung der Europäischen Union

Im nächsten Raum findet die einzige Performance der Ausstellung statt. Katharina Rüll sitzt in schwarz-weiss getreiftem Pullover auf einem Stuhl und löst mit den Fingern eine EU-Flagge auf. Wie ein übergrosser Rock liegt der Stoff auf ihrem Schoss, der rausgelöste Faden liegt zu ihrer Rechten und bildet kleine Wölkchen, so fein ist er.

Politische Kunst ist gefährlich, allzu schnell kann sie angestrengt und einseitig ausfallen, überspitzt und langweilig werden. Rülls ruhige, tiefgründige Performance beweist das Gegenteil.

Es liegt was in der Luft

Wir haben genug gesehen. Um wieder aus der Ausstellung zu kommen, müssen wir durch die Räume zurück und kommen wieder in den Saal mit dem Regenrohr. Jemand schnüffelt gerade daran herum. Etwas verwirrt treten wir näher und bemerken es plötzlich auch: Im Rohr riecht es nach frischer Backware – irgendjemand backt hier Brot und leitet den Duft in den Ausstellungsraum.

Der Bäcker ist mit einem Blick aus dem Fenster schnell gefunden: Diplomand Johannes Willi steht unten im Hof und betreibt einen Backstand. Während der Ausstellung wird er täglich hier stehen, Brötchen backen und an die Besucher verteilen. Das Brot ist gut, die Idee lustig, das letzte bisschen Sonntagmorgen-Groll verflogen. Besser kann eine Vernissage nicht enden, vielfältiger eine Diplomausstellung nicht sein.

  • Diplomausstellung des Master Fine Arts der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst: 04.- 08. September 2013, Kunsthalle Basel

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