Der Basler Fotograf Claudio Rasano sucht in seinen Porträts die unmittelbare Begegnung mit Menschen. Nun hat er den mit 15’000 Pfund dotierten Taylor-Wessing-Preis gewonnen.
Ein dunkelhäutiger Junge in Schuluniform, der Blick direkt auf den Betrachter gerichtet, ein Anflug von Trotz im Gesicht. Er trägt ein weisses Hemd unter einem dunkelgrünen Jackett, eine grün-orange-gestreifte Krawatte. Auf der Brusttasche ein faustgrosses Abzeichen mit der Aufschrift «scentia artesque». Es ist das Porträt von Thembinkosi Fanwell Ngwenya, für das der Basler Fotograf Claudio Rasano kürzlich in London den Taylor Wessing Photographic Portrait Prize 2016 erhalten hat.
Es sei Rasano gelungen, aus dem Alltäglichen etwas Schönes zu schaffen, begründet die Jury ihren Entscheid. Rasano hat bereits 2011 und 2013 seine Arbeiten für diesen Preis eingereicht, sie wurden beide Male in die Ausstellung in der National Portrait Gallery aufgenommen, beim dritten Mal gewann er nun den mit 15’000 Pfund dotierten ersten Preis.
Dieser verändert seinen Alltag nicht direkt – Rasano arbeitet Vollzeit bei Coop Pronto in Kaiseraugst –, aber insofern, als er ihm eine Bestätigung für seine künstlerische Arbeit ist. «Ich möchte die Chance wahrnehmen, meine Arbeit nach aussen zu tragen, national und international», sagt Rasano.
Sein nächstes Projekt startet im April. Während zwei Wochen wird er «street people» in Ghana porträtieren, Menschen, die auf der Strasse leben. Warum dieses Sujet? Ihr Ausdruck fasziniere ihn, ihre Haltung zum Leben. Und: «Ich möchte sie für einen Moment aus ihrem Alltag holen.»
In Kaiseraugst anzutreffen: Wenn er nicht gerade ferne Länder bereist, arbeitet Claudio Rasano im Coop Pronto. (Bild: Crispin Appius)
«Similar Looking: We Refuse to Compare» heisst die Serie, aus der das prämierte Bild stammt. Sie ist vor einem Jahr in Johannesburg entstanden. Eine Woche lang fotografierte Rasano mit einer Mittelformat-Kamera, einer Rolleiflex 6008, etwa 50 Schüler einer einzigen Schule.
Die Stadt kennt Rasano gut: 2012 verbrachte er mit einem Werkstipendium des IAAB (heute Atelier Mondial) ein halbes Jahr in Kapstadt und Johannesburg. Dort fotografiert er Trolleypusher: Müllsammler, die Mülltonnen und Trottoirs der Wohn- und Geschäftsviertel nach festen Abfällen durchforsten, die sich verkaufen lassen. Zu Fuss und allein mit Muskelkraft ziehen sie ihre behelfsmässigen Trolleys viele Kilometer durch die Strassen zu privaten Rückkaufzentren, wo der Abfall gewogen und verkauft wird.
Individualität trotz Schuluniform
Schwarz arbeitende Recycler in Johannesburg bestätigen die konventionellen Vorstellungen von Obdachlosigkeit. Viele schlafen im Freien. Oder sie wählen eine Unterkunft, die zwar unbequem sein mag, wo sie aber die gesammelte Ware lagern und aussortieren können, bis sie genügend Material beisammen haben, um es einzutauschen.
In Johannesburg lernt Rasano die Kunstvermittlerin Susanne König kennen, die zur selben Zeit beruflich in der Stadt ist. Zurück in der Schweiz, beginnt König mit Rasano zusammenzuarbeiten; bis heute vertritt das Büro König in Zürich den Künstler.
Vier Jahre später, 2016, porträtiert Rasano in der gleichen Stadt Studenten in ihren Uniformen. Er lichtet sie bei Tageslicht ab, draussen, vor einem grossen weissen Papierhintergrund. Mit den Porträts thematisiert er unweigerlich auch das Bewahren von Individualität im Kontext von Schuluniformen. «Kinder rebellieren gegen Uniformen, sobald sie das merkwürdige Alter erreichen, in dem sie gleichzeitig das Bedürfnis haben, dazuzugehören, und den Wunsch, sich abzugrenzen und abzuheben», so Rasano. Es ist die Frage also nach der Vereinbarkeit von Zugehörigkeit und Individualität. Eine Frage, die auch den Künstler selbst als Sohn italienischer Immigranten in der Schweiz beschäftigt haben muss.
Menschennahe Porträtkunst
Ob die Porträts von Trolleypushers, von Geflüchteten an der Grenze in Presevo, Serbien, oder die Serie «Dosoliated Tblisi», fotografiert unter anderem in einer Klinik in Georgien: Rasanos Porträts, fast ausschliesslich von Männern, halten einen Moment einer menschlichen Begegnung fest. Er interessiert sich für den Menschen, begegnet ihm mit Respekt, der Porträtierte scheint mit Vertrauen zu antworten. «Meine Arbeit dreht sich immer um den Menschen. Ich versuche, mein Gegenüber ehrlich und wahr zu zeigen, ohne es künstlerisch zu verfälschen. Und ich fotografiere nur, wenn jemand zustimmt», so Rasano.
Jede politisch motivierte Interpretation seiner Arbeit lehnt er ab. Dennoch ist in seiner Arbeit unweigerlich auch eine gesellschaftliche Dimension vorhanden. Er fotografiert analog in quadratischem Bildformat. Und nur mit Tageslicht. Die Technik erlaubt keinen Kontrollblick auf dem Bildschirm der Kamera. Erst auf den Kontaktbögen wählt er das jeweilige Bild aus. Um es dann zu vergrössern.
Das ungewöhnliche Format in der analogen Fotografie ist inzwischen fester Bestandteil von Rasanos Bildern. Er inszeniert nicht, arrangiert nicht. In seinen Porträts sucht er die unmittelbare Begegnung, die Offenheit eines Moments. Kennzeichnend für seine Arbeit ist die Direktheit und Klarheit, mit der er Menschen abzubilden vermag, stets auf Augenhöhe mit den Porträtierten. Es ist die gleiche Direktheit, mit der er ihnen begegnet – ungefiltert und prompt.
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Rasanos ausgezeichnetes Bild «Thembinkosi Fanwell Ngwenya 2016» ist bis zum 26. Februar 2017 in der National Portrait Gallery in London zu sehen.
Danach wird die Ausstellung vom 18. März bis 4. Juni im Sunderland Museum and Winter Gardens zu sehen sein und vom 8. Juli bis 29. Oktober im The Beaney House of Art and Knowledge in Canterbury.