Dirk Koy schafft Gott gleich gegen visuellen Durchfall – zum Beispiel für Yello

Nicht nur die Elektro-Pioniere von Yello setzen für Videos und Bühnenbilder auf Dirk Koy. Der visuelle Künstler aus Basel kreiert mit Stift und Computerfehlern neue Bildwelten, die verstören und betören.

Der visuelle Künstler Dirk Koy schafft virtuelle Welten: «Vieles sieht sehr einfach aus, doch steckt enorme Handarbeit dahinter.»

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Nicht nur die Elektro-Pioniere von Yello setzen für Videos und Bühnenbilder auf Dirk Koy. Der visuelle Künstler aus Basel kreiert mit Stift und Computerfehlern neue Bildwelten, die verstören und betören.

Sein Büro ist aufgeräumt, fast schon steril, wie die Sicht aus dem Fenster über den Campus der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel auf dem Dreispitz-Areal. Dort doziert Dirk Koy über das bewegte Bild in der Visuellen Kommunikation. Doch wirkt der 39-jährige Familienvater selbst eher wie ein Student – wohl wegen des jugendlichen Enthusiasmus, mit dem Koy seine Arbeiten ausserhalb des Lehrauftrages beschreibt. 

Auf seinen Bildschirmen wuchern und verschwinden Häuser, winden sich Strassen zu Spiralen in die Unendlichkeit. «The City» heisst der Clip, den er für die Band Five Years Older animierte. Ein rasanter Trip mit Schwindel-Effekt. Während der Besucher einen Schluck Espresso braucht, um wieder Boden unter die Füsse zu bekommen, meint Koy mit spitzbübischem Lächeln: «Spielt man nächtelang mit virtuellen Städten, fühlt man sich manchmal schon ein bisschen wie Gott.»

 

Ihn (oder auch sie) hat er noch nicht getroffen. Die Halbgötter von Yello dagegen lassen sich ihre Bildwelten gerne von Koy kreieren. Für ihre mit Spannung erwartete Bühnenpremiere entwickelt er einen Weg, «wie man die Live Show visuell bereichern kann.» Visuals – den gängigen Begriff für bewegte Bühnenbilder mag Koy nicht in den Mund nehmen: «Die sind in Verruf geraten, weil seit ein paar Jahren viele Computerprogramme die Möglichkeit bieten, 20 beliebige Bilder übereinander zu legen. Diesen visuellen Durchfall projiziert man dann zur Musik.»

Ihm geht es bei seinen Arbeiten nicht um das Ausreizen der Rechnerleistung. Wenn schon, dann will er die Maschinen überreizen: «Ist der Computer überfordert, entstehen teils Fehler von toller Ästhetik.» Man denkt dabei an Google Deep Dream. Nicht ein Programm, sondern Koy setzt hier die Fehler zu etwas Passendem in einen Kontext. «Vieles sieht sehr einfach aus, doch steckt enorme Handarbeit dahinter.» Was Koy aber kaum stört: «Das Analoge kommt zurück und ist die Seele der Arbeiten, während das Digitale oft nur die Technik ist, um die Elemente zusammenzuführen.»

 

Die morphende Typo im Clip zur Yello-Briefmarke zeichnete er von Hand. Ein Computerprogramm hätte die komplexen Buchstabenübergänge nicht lösen können, ohne den Schriftcharakter zu zerstören. Koys Arbeitsweise hat Parrallelen zu der von Yello: Altes Handwerk – also Stift und Pinsel beziehungsweise klassisches Songwriting – mit digitaler Technik kombinieren und so etwas Neues kreieren, das sich doch so schnell vertraut anfühlt, dass man es auf Anhieb mag.

Boris Blank, die musikalische Hälfte des Elektro-Pionier-Duos, engagierte Koy bereits für sein Soloalbum «Electrified». Für den Clip zu «The Time Tunnel» schraubte Koy zwei Kameras an Vorder- und Hinterrad seines Autos und fuhr auf Bilderfang. Nach mehreren Runden wusste er: Bei 93 km/h ist die Verschlusszeit der Kamera synchron mit den Radumdrehungen. Das Bild bleibt also stabil, durch das Tempo gibt es dennoch schöne Verzerrungen. Beide hier erwähnten Videos wurden an diversen Filmfestivals gezeigt und heimsten Auszeichnungen ein – wie auch andere Werke Koys, etwa die Porträt-Animationen für die Blinddate-Serie auf SFR1.

 

Trophäen findet man in seinem Büroatelier jedoch keine. Die Vergangenheit hat er nur vor Augen, wenn er auf die fette Porsche-Leuchtschrift einer Garage vis-à-vis des Campus blickt. Das Erscheinungsbild hat er 2003 während seiner Arbeit in einer Münchner Agentur für Porsche Design mitentwickelt. Nach ein paar Jahren zog es ihn aber als Assistent zurück an die Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel (HGK), wo er seine Ausbildung gemacht hatte – und nach Allschwil, wo er aufgewachsen ist. Das Zeichnen und Gestalten war schon damals seine grosse Leidenschaft.

Den ersten Wettbewerb gewann Koy in Teenagertagen, als er für eine Kantonalbank ein Badetuch entwarf. Digital bewegte Bilder waren in den Tagen von Commodore und Atari jedoch noch kein Thema. «Ich experimentierte aber schon mit Rückkopplungen von Kameras auf TV-Geräte und schnitt mit zwei VHS-Kassetten visuelle Mixtapes.» Den Computer nutzte er damals vor allem, um Hip-Hop und später House zu produzieren.

Über all das kann Koy herzlich lachen. «Wenn ich heute mit so grossartigen Musikern zusammenarbeite, inspiriert das schon, mal wieder selber etwas zu machen. Doch ist deren Qualität auch beängstigend.» Bis auf Geräuschkulissen für seine Animationen folgt er deshalb dem Motto: Schuster bleib bei deinem Leisten. Die berufliche Kombination von Dozent und Freischaffendem ist für ihn perfekt, um beim bewegten Bild à jour zu bleiben. Die Entwicklung rast mit dem technischen Fortschritt immer schneller.

Dass heute – zusätzlich zu TV und Computer – immer mehr Flimmerboxen unseren Alltag prägen, stösst bei ihm nicht nur auf Begeisterung. Der Mensch lenkt seine Aufmerksamkeit zwar sofort auf Dinge in Bewegung. Doch entwickelt man auch neue Schutzfunktionen, filtert etwa bewegte Plakate in ÖV – diese Liftmusik für die Augen – automatisch aus. «Eine komplett neue Sehgewohnheit werden die 360°-Filme. Was heisst das für den Betrachter, wenn man das meiste immer verpasst?»

Eine neue Ära, die Koy sicher nicht verpassen wird, sind die ersten Konzerte von Yello Ende Oktober in Berlin – 38 Jahre nach ihrer Gründung. Was die Besucher dort genau erwartet, kann Koy nicht verraten: «Alles kenn ich ja selber nicht. Umso mehr freu ich mich auf den Gänsehaut-Moment, wenn Musik, Licht und die Bilder erstmals live zusammenspielen.»

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