«Don Giovanni»: 26 Türen und kein Ausweg aus der Finsternis

Wenn das Diabolisch-Böse zum einzigen Lichtblick in einer düsteren Welt wird: Der britische Regisseur Richard Jones setzt Mozarts Opern-Meisterwerk «Don Giovanni» als finsteren Stationenweg in Szene und treibt der Geschichte jeglichen feierlichen Ganz aus.

Wenn das Böse überlebt: «Don Giovanni» (Riccardo Fassi), skrupellos und verführerisch.

(Bild: Priska Ketterer)

Wenn das Diabolisch-Böse zum einzigen Lichtblick in einer düsteren Welt wird: Der britische Regisseur Richard Jones setzt Mozarts Opern-Meisterwerk «Don Giovanni» als finsteren Stationenweg in Szene und treibt der Geschichte jeglichen feierlichen Ganz aus.

Don Giovanni will und bekommt sie alle: Die fülligen Frauen im Winter, die dünnen im Sommer, kleine und grosse, «Kammerzofen, Baronessen, hochgeborene Prinzessen», wie sein Diener Leporello in der berühmten Register-Arie aufzählt.

Noch während der Ouvertüre präsentiert sich der grosse Verführer (oder, wie man es nimmt: Wüstling) als Fliessband-Rammler: Eine Frau nach der anderen schafft es nicht, an ihm vorbeizugehen, verfällt seinem diabolischen Charme. Leporello hält die Türe auf, und ab geht es ins Liebesnest. (Die Szene wiederholt sich zum Schluss. Aber davon später.)

Viel Zeit pro Frau bleibt da nicht. Man rechne nach: Über 2000 Frauen finden sich in Leporellos Register. Und dieser Don Giovanni auf der Grossen Bühne des Theaters Basel ist noch jung. 25 Jahre jung ist der Sänger der Titelrolle (Riccardo Fassi). Es ist sein Debüt in dieser grossen Partie, die er aber spielerisch und sängerisch wunderbar meistert.

Die Verführungskraft des Diabolischen

Der britische Regisseur Richard Jones hat für diese Ko-Produktion mit der English National Opera (allerdings mit unterschiedlichen Besetzungen) zusammen mit seinem Ausstatter Paul Steinberg ein ausgesprochen düsteres Setting geschaffen. Nichts ist übrig geblieben von einer feudalen Umgebung des barocken, üppig bestückten Sevilla. Grau und braun, karg und düster ist alles. Mächtige Strassenkandelaber draussen und Leuchtstoffröhren in den Innenräumen verbreiten ein fahles Licht.

Grau, trostlos und trist ist auch das Leben der Figuren: der edlen Damen Donna Anna und Donna Elvira, der jungen Braut Zerlina sowie ihrer Verlobten Don Octavio und Masetto. Sie alle tragen Schwarz, als wären es Trauergewänder für ihre verstorbene Lebenslust. Einzig Zerlinas weisses Brautkleid strömt noch Zukunftshoffnung aus (Kostüme: Nicky Gillibrand).

Nur Don Giovanni scheint in dieser Umgebung noch eine wirkliche Passion zu haben. Es ist, wie man natürlich weiss, diejenige, Frauen zu erobern, von einem Bett ins andere zu hüpfen, ohne Rücksicht, ohne jegliche Skrupel. Es ist ein diabolisches Verlangen, alles zu bekommen, um es gleich wieder wegzuwerfen, wenn seine nie versiegende Lust ihm ein neues Ziel vor Augen führt.

Rache aus Selbstschutz?

Dieser Don Giovanni trägt eine Glatze, was das Diabolische seiner Erscheinung betont. Das Böse und Rücksichtslose hat aber offensichtlich seinen Reiz. Einen Reiz, der viel stärker ist als derjenige der anderen Männer: Donna Annas Verlobter Don Octavio ist ein weinerlicher Waschlappen, Masetto ein durch und durch eifersüchtiger Miesepeter.

Kein Wunder, haben die Damen die allergrösste Mühe, diesen Reizen zu widerstehen. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum sie sich zum grossen Rachefeldzug gegen Don Giovanni zusammentun. Rache als Selbstschutz?

Rasante Szenenwechsel

Die grosse und nicht einfache Aufgabe einer Inszenierung von «Don Giovanni» ist es, die immense Zahl an schnellen und zum Teil fliessenden Szenenwechsel zu bewältigen, ohne den wunderbaren Fluss von Mozarts phantastischer Musik zu unterbrechen.

Jones hat hier zu einem bewährten Mittel des Boulevard-Theaters gegriffen: Türen. 26 an der Zahl, die in diesem faszinierend flexiblen Bühnenbild immer wieder in neue kleine, grössere oder riesige Kammern, Gänge, Hallen oder Plätze führen. Mit einer bewundernswerten Präzision bei der Führung der Figuren und der Technik bleibt das Spiel stets in Bewegung, bekommt der Ablauf der Handlung einen fesselnden Drive vom Anfang bis zum Schluss.

Und dieser Schluss hat es in sich. Denn hier in Basel ist Don Giovanni so durchtrieben, dass es ihm – entgegen dem vom Libretto vorgegebenen Verlauf – sogar gelingt, dem Teufel selbst ein Schnippchen zu schlagen. Nicht er ist es, der vom Geist des von ihm ermordeten Komtur in die Hölle gezogen wird, sondern sein armer Diener Leporello.

Überzeugendes Spiel

Der Basler «Don Giovanni» überzeugt in erster Linie durch das spielerische Auftreten der Protagonisten. Auf der Bühne ist ein Ensemble zu erleben, das mit sehr viel Spielfreude und einer stupenden Präzision zur Sache geht. Don Giovanni ist diabolisch, ohne das Teuflische zu übertreiben. Leporellos Auftritte sind rührend-komisch, ohne ins Possenhafte abzutauchen.

Sängerisch sorgen Riccardo Fassi in der Titelrolle, Biagio Pizzuti als Leporello und Kiandra Howarth für die Glanzpunkte. Das Sinfonieorchester Basel entwickelt unter der Leitung von Erik Nielsen einen höchst gefälligen Drive, ohne jemals gehetzt zu wirken.

Einzig bei den grossen Ensembleszenen schlichen sich da und dort einige Ungenauigkeiten beim Zusammenspiel zwischen den Sängern auf der Bühne und den Musikern im Graben ein. Das mag der Aufregung an der Premiere geschuldet sein und wird sich sicherlich noch legen.
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Theater Basel: «Don Giovanni» von Wolfgang Amadeus Mozart. Die nächsten Vorstellungen: 29. Januar, 5., 10., 12., 16., 25. Februar und im März.

 

 

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