Sie ermordet die Geliebte ihres Mannes und ihre beiden Kinder. So tief ist Medea gekränkt, dass ihr Mann Jason sie verstossen hat. Es ist eine unvergleichliche Racheaktion, und «Medea» eine der schauerlichsten Tragödien, welche die Theaterliteratur des antiken Griechenlands hervorgebracht hat. Und die ist nun wahrlich nicht arm an fürchterlichen Schicksalsbeschreibungen.
Weil solche Schauergeschichten faszinieren, haben Hunderte von Autoren, Komponisten und Bildende Künstler den Mythos «Medea» von Euripides seit der Antike immer wieder aufgenommen und bearbeitet. Sie tun dies auch heute noch.
Dazu gehören die australischen Autorinnen Kate Mulvany und Anne-Louise Sarks – letztere führte in Basel auch Regie. Bei ihrer Neudichtung von «Medea» haben die beiden einen neuen Weg eingeschlagen: Sie erzählen die Geschichte aus der Sicht der beiden Buben, die im Original und den meisten Bearbeitungen nur namenlose Opfer-Staffage sind. Sie bekommen im Stück, das auf der Kleinen Bühne des Theater Basels seine deutschsprachige Erstaufführung (Fassung: Almut Wagner) erlebte, eigenständige Charaktermerkmale.
Todeszone Kinderzimmer
Ort der Handlung ist das Kinderzimmer. Auf dem hellblauen Spannteppich breitet sich zwischen den beiden Betten die ganz alltägliche Unordnung mit herumliegendem Spielzeug aus (Bühne und Kostüme: Mel Page). Die beiden Buben Leon und Jasper necken sich, spielen, wie Brüder halt so spielen. Sie schiessen mit Plastikgewehren aufeinander, überbieten sich gegenseitig mit theatralischen Sterbensszenen.
Und doch weiss man natürlich, dass hier nichts alltäglich ist. Man weiss vom «Medea»-Mythos her, dass dieser Tag mit der Ermordung der beiden Buben enden wird. Die Kinder selber wissen ebenfalls, dass etwas nicht stimmt. Die Eltern haben sie im Kinderzimmer eingeschlossen. Weil sie verhandeln oder genauer: «Ehesachen klären müssen.»
Dass an diesem Tag ganz und gar nichts in Ordnung ist, spüren sie spätestens dann, wenn die Mutter ab und zu ins Zimmer schaut und geistig abwesend wiederholt ihre «unendliche» Mutterliebe verkündet. Dass sie bald sterben werden, wissen sie aber nicht, beginnen sie vielleicht erst ganz am Schluss zu ahnen, wenn die Mutter ein letztes Mal eintritt, mit zwei Gläsern mit einem grünen Getränk in den Händen, und die Buben die Sonntagskluft anziehen müssen.
Der Ansatz des 65 Minuten dauernden Abends, die unsägliche Tat der Kindermörderin Medea von ihrer Ungeheuerlichkeit zu befreien, mag nicht ganz aufgehen – auch wenn Barbara Horvath das von der Verzweiflung getriebene Wesen eindrücklich darstellt. Aus dem Racheengel lässt sich nicht so leicht ein verzweifeltes Opfer machen, zumal Medea ihre Taten ja ganz und gar nicht im Affekt begeht.
Mitreissendes Spiel
Berührend und beklemmend aber ist, wie die beiden Kinder in einer Mischung aus Naivität und kindlicher Abgeklärtheit ihre Rolle in diesem unsäglichen Spiel bewältigen. Wie sie Hiobsbotschaften – die Eltern trennen sich, Vater zieht in die Villa der Geliebten – ins Positive zu kehren versuchen: Ein Leben in der Villa, wie toll. Da kann man vom Fenster aus aufs Trampolin im Garten springen.
Mitreissend ist vor allem das Spiel der beiden 11- und 14-jährigen Kinderdarsteller (Premierenbesetzung: Jacob Baumann und Nils Treuer). Es wirkt derart authentisch, dass man sich an die eigenen Rollenspiele und Zwistigkeiten erinnert, die man vor vielen Jahren mit seinem Bruder erlebt hat. Nur dass einem glücklicherweise dieser schreckliche Schluss erspart geblieben ist.
Theater Basel: «Medea», für die Vorstellungen ab 2. Mai gibt es noch Karten.