Doppelter Dylan: Der Altmeister spielt gleich zweimal in Basel

Was hat die Schweiz mit Bob Dylan zu tun? Und was kann man beim ersten Doppelkonzert des Altmeisters hierzulande erwarten? Unser Autor weiss die Antworten.

2015 tritt Bob Dylan gleich zweimal in der Stadt Basel auf. 

Was hat die Schweiz mit Bob Dylan zu tun? Und was kann man beim ersten Doppelkonzert des Altmeisters hierzulande erwarten? Unser Autor weiss die Antworten.

Bob Dylan kommt nach Basel. Na und, mag der übersättigte Popkonsument sagen, der war doch schon öfter hier, zuletzt grade im Sommer in Lörrach – was ist daran schon Besonderes? Besonders ist zunächst einmal der Rahmen – gleich zwei Abende nacheinander im Musical Theater, im Fachjargon also eine sogenannte «residency» in relativ intimem Rahmen. Das war offenbar sein ausdrücklicher Wunsch – und das hat es bei Dylan (in der Schweiz) noch nie gegeben.

Dass er damit ins Hochpreissegment für zahlungskräftige Althippies wechselt, die einstige «Gegenkultur» also definitiv zum gediegenen Entertainment macht, mögen manche bedauern, aber hey, «Things Have Changed», so heisst schliesslich sein Anfangssong seit einigen Jahren, das gehört doch zur Realität. Doch dass Dylan unter diesen geänderten Vorzeichen ausgerechnet (wieder) nach Basel kommt, wo er einst in den Achtzigerjahren seine ersten drei Schweizer Konzerte absolvierte, das hingegen ist schon fast ein symbolträchtiger Zufall.

Wieder Glück für Basel 

«Der Ort, an dem ich leben will, wenn ich nicht in einem Dylan-Lied leben kann» – so ist Basel kürzlich im Literaturmagazin «Das Narr» gefeiert worden. Aber was hat Basel mit Dylan zu tun? Dass sein erstes Schweizer Konzert im Juli 1981 in der St. Jakobshalle und nicht im grösseren Zürcher Hallenstadion stattfand, hatte einen banalen Grund: «Die Halle in Zürich war besetzt», erinnert sich André Béchir, damals Chef von Good News und mit seiner neuen Firma ABC Production jetzt Veranstalter im Musical Theater. Diesmal wäre in der Schweiz nur noch das KKL in Luzern infrage gekommen, doch das war nicht verfügbar, …also wieder Glück für Basel.

1981: Bei seinem ersten Basler Konzert sass Brigitte Bardot im Publikum.

Dass Dylan anno 1981 immer noch als kommerzielles Risiko galt, nach seiner damals neuesten Wende zu einem mitunter peinlich missionarischen Christentum, das lässt sich also nicht bestätigen. Trotzdem, Dylans erster Auftritt in der Schweiz war atmosphärisch aufgeladen: Das «opening set» der vier Gospel-Sängerinnen wurde von Buhrufen gestört – und das Repertoire war immer noch geprägt von Dylans eigenen frommen Songs, auch wenn «Like a Rolling Stone» unterdessen wieder dabei sein durfte. Bei den Fans ist das 1981er-Konzert aber aus einem andern Grund berühmt: weil Brigitte Bardot im Publikum sass – und Dylan ihr eine unidentifizierbare Instrumentalnummer widmete.

Warum Dylan gleich für die ersten drei Schweizer Konzerte nach Basel kam, bleibt ein Rätsel. Hatte er, wie man munkelte, gar Freunde im nahen Elsass? Klar, die grossen Open Airs fanden damals regelmässig in St. Jakob statt, darum logischerweise – am 2. Juni 1984 – auch jenes mit Dylan, Santana und dem wunderbaren Willy De Ville. Die gut 40’000 Zuhörer waren, verglichen mit den über 50’000 für die Rolling Stones 1982, zwar kein Rekord, doch Veranstalter André Béchir war zufrieden.

Carlos Santana als Gast

Allerdings erlebte man trotz Ex-Stone Mick Taylor an der Gitarre nicht Dylans beste Phase. In Erinnerung geblieben ist allenfalls ein seltener Song als Zugabe, Willie Nelsons «Why Do I Have To Choose» mit Carlos Santana als Gast. War das gar Dylans Antwort auf die Frage, ob er nun christlich oder jüdisch sei? Mir machte er die grösste Freude mit «To Ramona» – weil ich exakt nach diesem Lied gerufen hatte. Purer Zufall, vermutlich!

Spannender, aber viel umstrittener, war dann Dylans drittes Basler Konzert im September 1987: Diesmal nicht wegen der Band, das waren immerhin die Heartbreakers von Tom Petty, die auch das grundsolide Vorprogramm lieferten. Nein, das Problem für viele war Dylan selber, der einmal mehr sein Format radikal geändert hatte: zu einem kompromisslosen «Menu surprise», in das er ausser einem kaum erkennbaren «Like a Rolling Stone» fast nur unvertraute Songs mischte – darunter solche, die er noch nie oder kaum je live gesungen hatte wie «The Ballad of Frankie Lee & Judas Priest».

1987: Sternstunde für die einen, Zumutung für die andern.

Sternstunde für die einen, Zumutung für die andern, zumal bei einem Soundbrei, wie er in der St. Jakobshalle leider nicht selten war. «Comme une bière qui coule», titelte tags darauf eine welsche Zeitung – wohl auch eine Anspielung darauf, dass Dylan auf der Bühne schwankte wie ein chassidischer Bräutigam, während sich die Heartbreakers alle Mühe gaben, den eben angestimmten Song oder wenigstens die richtige Tonart zu erkennen. Wie auch immer: Es sollten viele Jahre vergehen, bis Dylan wieder nach Basel kam. Und dann war er wieder ein ganz anderer, eigentlich rehabilitiert dank einem grandiosen Spätwerk (von «Time Out of Mind» bis «Modern Times») und seiner epischen «Never Ending Tour». 

Unbestritten ein Grand Old Man unterdessen, aber o weh, es war (2009) nochmals in der St. Jakobshalle, wo ausser Leonard Cohen noch kaum jemand eine anständige Tonqualität hingekriegt hat. Wieder musste man den Umstehenden erklären, welchen Song Dylan gerade sang – «Masters of War» und «John Brown» am selben Abend, wer hats im Lärm gemerkt?

2009: Ein verblasenes «Blowin‘ in the Wind.

Und bei «Blowin‘ in the Wind» fiedelte Donnie Herron sichtlich wacker, nur zu hören war davon nichts – von den Feinheiten des Gesangs, der bei Dylan so wichtigen Diktion und Phrasierung noch weniger. Mindestens das wird im Musical Theater mit seiner exzellenten Akustik ganz anders sein.

Vor allem weil Dylan, übrigens mit derselben erstklassigen Band wie vor sechs Jahren, Gott sei Dank die Lautstärke auf ein vernünftiges Mass reduziert – und sein Repertoire nochmals radikal erneuert hat. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein zuerst kaum beachtetes Lied aus «Tempest» (2011), eine Art resigniertes Rezitativ, «Long and Wasted Years», das unterdessen in der Dramaturgie des Abends zum geheimen Höhepunkt geworden ist. 

Und zwar exakt anstelle von «Like a Rolling Stone», dem Jahrhundertsong, mit dem Dylan einst effektiv «The Cutting Edge» markierte, die Speerspitze der Rock-Geschichte, wie sie die neueste Ausgabe der «Bootleg Series» in Erinnerung ruft.

2015: Abgesang auf die «langen und verschwendeten Jahre». 

Stattdessen intoniert er in seinen aktuellen Konzerten ausgerechnet einen absichtsvollen Abgesang auf all die «langen und verschwendeten Jahre» – wie ist das zu verstehen? Etwa gar ähnlich wie seine unerwartete Hommage an Frank Sinatra auf «Shadows in the Night»? Nämlich als tätige Reue, eine explizite Entschuldigung für alles, was dieser arrogante Querkopf im Lauf der letzten fünfzig Jahre angerichtet hat? «If I hurt your feelings, I apologize» – es ist zwar nicht das erste Mal, dass Dylan um Vergebung bittet für seine Sünden, aber dass er gerade diesen Text so prominent platziert, kann kein Zufall sein. Was will er uns damit sagen? Vielleicht genau das, was er ja doch auch schon seit über fünfzig Jahren nicht müde wird zu betonen: «It Ain’t Me Babe», ich bin nicht der Messias, zu dem ihr mich immer wieder machen wollt, ich bin nur ein Sänger in einer grossen Tradition, die viel weiter zurückgeht, ein «Song and Dance Man», wie er es einst formuliert hat.

In der Tradition jüdischer Songhandwerker

Seit Anfang Oktober ist unser Lieblings-Chamäleon bereits wieder in Europa, und wie immer war man gespannt, welche neuen Farben es zeigen würde. Menu surprise war ja lange Zeit das Einzige, worauf man sich verlassen konnte, aber das ist vorbei, die Songliste praktisch jeden Abend dieselbe. Doch keine Angst, die bei so vielen alten Helden unvermeidlichen Greatest Hits sind weniger angesagt denn je. Wo Dylan schon letzten Sommer gern zwei oder drei Nummern aus dem «Great American Songbook» eingestreut hat, sind es jetzt gleich sechs oder sieben: Der «grösste lebende amerikanische Songschreiber» («Rolling Stone») erlaubt sich, gut ein Drittel des Konzerts ein paar verehrten Vorbildern zu widmen, und zwar nicht Woody Guthrie oder Hank Williams, wie wir das erwartet hätten, sondern Irving Berlin, Richard Rodgers oder Harold Arlen.

Fällt etwas auf? Richtig: Dieses «Great American Songbook» könnte fast «Great Jewish Songbook» heissen – so unmissverständlich stellt sich Dylan in die grosse Tradition der zumeist jüdischen Songhandwerker der New Yorker «Tin Pan Alley», der er doch – zusammen mit den Beatles – scheinbar endgültig den Garaus gemacht hat. Mit Songs wie Berlins «What’ll I Do?», «Melancholy Mood» oder «All or Nothing at All» (die letzten beiden noch nicht mal auf dem Album) hätte man mich vor fünfzig Jahren locker in die Flucht geschlagen – war denn nicht «Like a Rolling Stone» das pure Gegenteil davon? Jetzt stellt der Mann frecherweise auch noch die letzten Gewissheiten der Rock-Generation infrage!

Kann er sich das leisten? Dylans Stimme hat bekanntlich schon immer polarisiert: für die einen «die menschlichste aller Stimmen», wie es Günter Amendt mal so schön formulierte – für die andern «wie ein Hund, der sich mit einem Fuss in Stacheldraht verfangen hat» (der famose Satz stammt von einem frühen Konkurrenten aus der Folk-Szene). «Die Kritiker sagen, ich könne nicht singen. Ich krächze. Klinge wie ein Frosch. Warum sagen sie nicht das Gleiche von Tom Waits?», hat Dylan kürzlich gefragt. Seine wahre Kunst, wie die aller wirklich grossen Sänger, ist die des Phrasierens, das hat sogar noch Frank Sinatra erkannt, der Dylan an seinem achtzigsten Geburtstag auftreten liess.

Jetzt aber, Überraschung: Die «neuen», das heisst uralten Songs aus dem «Great American Songbook», interpretiert Dylan so zart und sorgfältig, wie es ihm manche nie zugetraut hätten. Mit 74 Jahren hat er also nochmals eine unerwartete Herausforderung für sich entdeckt, er will beweisen, dass er einem Repertoire gewachsen ist, mit dem sich bis dato lauter Belcanto-Stimmen profiliert haben. Und da bin ich, ehrlich gesagt, etwas hin- und hergerissen. Natürlich würde ich immer noch lieber «To Ramona» hören, «Simple Twist of Fate», «Trying to Get to Heaven», «Forgetful Heart» – sicher nicht seine Greatest Hits, dafür ein paar der überirdisch schönen Lieder, wie er sie immer wieder zu schreiben imstande ist.

Aber werde ich damit nicht auch zu einem der Betonköpfe, die diesem kompromisslosen Künstler vorschreiben möchten, was er zu singen hat, statt unbeirrt seine eigene Vision zu verfolgen? Vielleicht hatte mein Freund Günter Amendt recht, der mir in solchen Momenten zu sagen pflegte: «Ist doch egal, was er singt – was zählt, ist nur, wie er es singt.» 
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Bob Dylan live: 13./14. November 2015, Musical Theater Basel.

Bob Dylan – Bob Dylan: «1965–1966: The Cutting Edge» (Sony/Columbia Legacy).

Martin Schäfer trug zu «Refractions of Bob Dylan» das Kapitel «Bob Dylan in Switzerland» bei; Herausgeber Eugen Banauch, Manchester University Press 2015. 

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