Wenn die Künstlerin Doris Lasch im Kunsthaus Baselland über Fotografie nachdenkt, kann dabei auch mal ein Ungetüm aus Alublech entstehen. Oder ein Schranktürendings.
Wie entsteht eigentlich ein Bild? Gute Frage, aber eine, die man sich heute kaum noch stellt. Einmal kurz getippt und fertig ist der Schnappschuss. Dann nochmal kurz getippt und schon ists in die weite Welt versandt, zugänglich und öffentlich, beliebig reproduzierbar. Ein Bild passiert so schnell wie ein Blinzeln – und ist so schnell auch wieder weg.
Nicht bei Doris Lasch. Die in Basel lebende Künstlerin packt das Flüchtige am Bild, an der Fotografie – und zieht es näher ran, zoomt sich rein. Findet die Möglichkeiten und Prozesse dahinter und breitet sie aus – zurzeit gerade im Kunsthaus Baselland.
Wie das aussieht? Nun, erstmal ziemlich klobig. Gleich nach dem Eintreten steht da ein wuchtiger Klotz aus schwarz lackiertem Aluminiumblech. Nein, kein Klotz, vielmehr ein erstarrter Kamerabalgen. «Ein Vorwort», sagt Lasch leise und man hört sofort hin – es ist eine von vielen kleinen Aussagen, die die zierliche Künstlerin in diesem Rundgang sagen wird, sorgfältig platziert und eindringlich rührend. Wie ihre Kunst.
Bäm!: Das Vorwort. (Bild: Serge Hasenböhler)
Ein Vorwort also. Was suggeriert: Hier ist eine Zeitlichkeit am Werk, ein Beginn und ein Ende. Das «Phantom», wie Lasch den riesigen Balgen betitelt hat, bildet den Anfang, ein massives Statement, uns erwartet Fotografie, ja, aber auch noch etwas anderes, etwas Zartes, Unterschwelliges. Etwas, das sich entwickelt, von einem Ort an den anderen. Wie die Fotografie eben.
Störrisches Objekt im Schlauchraum
Nach dem Kamerabalgen schielt man um die Ecke, in diesen seltsamen Schlauchraum, der den linken Teil des Kunsthauses einnimmt und immer ein bisschen mühsam ist, zu lang, zu endlos. Doch dieses Mal macht uns wieder ein Objekt einen Strich durch die Rechnung.
Ganz hinten im Raum nämlich steht ein unheimliches Gebilde: Eine Konstruktion aus weissen Schranktüren ohne Griff, dafür mit briefkastenartigen Schlitzen und Gucklöchern. Sieht man da etwa… nichts sieht man. Die Gucklöcher sind nur aufgemalt. Vielleicht liefert ja die Rückseite des seltsamen Dings eine Antwort? Doris Lasch lächelt verschwörerisch. Einmal drum und – wieder nichts. Dafür hat man diesen ganz hinteren Teil des Schlauchraumes gesehen, den man sonst immer übersieht, weil wer mag schon bis nach hier hinten laufen.
Foucault hätte seine helle Freude daran: Doris Laschs Panoptikum beobachtet euch. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Und während man zum ersten Mal den dort versteckten Aufgang inspiziert, schleicht sich ein unbequemes Gefühl ein: Das Gebilde hat uns getäuscht, da ist nichts zu sehen, aber wieso kriegen wir das Gefühl nicht weg, dass dafür wir gesehen werden – von irgendwem, irgendwas? Irgendwas, dass sich im Innern des Schranktürendings versteckt. Foucault lässt grüssen.
Das Panoptikum ist das eine, es hat aber auch was von einem Diorama, einer Schaubühne, die den Zuschauer durch ihre Beschaffenheit aber immer wieder aufs Neue enttäuscht, weil da nichts zu sehen ist. Auch hier mischt die Fotografie mit. Auch sie ist ein Versprechen einer Realität, die sie nicht sein kann. Sie ist zugleich Illusion und Dokumentation, Wahrheit und Lüge. Lasch sagt: «Manchmal muss man sich dem Unsichtbaren hingeben.» Wieder so eine Aussage.
Sogar der Spiegel spielt uns was vor
Die auch für den Spiegel gilt, der an der Stirnwand angebracht ist: ein staubiges, trübes Ding, dass den Betrachter mehr verklärt als spiegelt. Aber dafür Geschichten erzählt: Von verwitterten Schminkstuben, vergessenen Bädern oder verstaubten Künstlerateliers. Oder? Lasch schüttelt den Kopf. Höchstens das verstaubte Atelier trifft zu: Sie hat den Spiegel präpariert, eigenhändig mit der Staubschicht überzogen. Eine Heidenarbeit für ein Objekt, das man in ähnlichem Zustand in jedem Brocki-Keller findet. Aber darum geht es eben nicht.
Im trüben Spiegel lässts sich besser sehen: Doris Lasch im präparierten Spiegelbild. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Wer die Kunst von Doris Lasch verstehen will, der muss sich nicht auf das Produkt, sondern auf das dahinter einlassen, auf die Entscheidungen und Handgriffe. Und auf das Handwerk: Laschs Faszination gilt nicht dem Bild, sie gilt seiner Entstehung.
Wie bei den kleinformatigen Aufnahmen, die sie von ihrem Atelier machte und mit einer aufwendigen Prozedur entwickeln liess: Heliogravüre. Eine Vorgänger-Technik des heutigen Tiefdrucks, bei dem eine Kupferplatte mit Asphaltpulver und einer Gelatineschicht behandelt, lichtempfindlich gemacht und schliesslich belichtet und gebadet wird.
Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit
Weiter hinten im Raum regiert derweil das Licht: Ein riesiger Mittelformat-Diaprojektor projiziert surrend das immergleiche Bild auf die Schrägwand vis-à-vis. Die Künstlerin hat ihn ausgeliehen, von einem lustigen Herrn, der die Dinger sammelt. Sie wollte unbedingt Mittelformat, eine etwas ältliche Art der Präsentation, aber auch ein Klassiker, etwas Zeitloses. Womit wir wieder bei der Zeitlichkeit wären.
Künstlerin und Autorin und Projektor. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Auch das Bild zeigt einen Augenblick, der in sich aber unendlich scheint – oder aus der Zeit gegriffen: Ein Ufer, dahinter Nebel. Links eine Treppe, die irgendwohin führt. Keine Menschen, keine Hinweise auf Jahres- oder Tageszeit.
Zugegeben: Um die Elemente dieser Ausstellung zu verbinden braucht es Geduld und Gedankenlust. Und eine gewisse Sensibilität. Viel läuft über das Konzept Fotografie und seine Entstehung, viel ist da und konkret: Der Kamerabalgen, das Panoptikum, die Heliogravüre. Vieles aber ergibt sich erst über etwas, das über den Sehsinn hinausgeht. Gefühl könnte man es nennen, aber das klingt so aus der Luft gegriffen. Halt genau das, was auch die Faszination der Fotografie ausmacht: das Bewusstsein, einen gefangenen Augenblick vor sich zu haben, etwas Endgültiges und zugleich Unendliches. Das Unsichtbare.
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«Doris Lasch», Kunsthaus Baselland. Noch bis zum 19. März.
Konzert der Basler Madrigalisten: Sonntag, 19. Februar, 17h.