«Dr beschti Summer vo allne»

Kraftvoll, temporeich, witzig und frisch: Das junge Theater Basel überzeugt mit einer Dramatisierung des erfolgreichen Jugendromans «Tschick» von Wolfgang Herrndorf.

Zwei Jungs in rasanter Fahrt: Maik (Julius Schröder) und Tschick (Marco Jenni) (Bild: Uwe Heinrich)

Mit einem fulminat aufspielenden Darstellertrio und einer ausgesprochen temporeichen und stringenten Inszenierung des gefeierten Jugendromans «Tschick» von Wolfgang Herrndorf weiss das Junge Theater Basel zu begeistern.

«Tschick» ist hier nicht die phonetische Schreibweise von Chick. Tschick ist die Namensverkürzung von Andrej Tschichatschow. Ein neuer Klassenkamerad russischer Abstammung. Und ein «Assi», gemeint Assozialer, wie der 15-jährige Gymnasiast Maik auf einem Berg von Autoreifen sitzend erzählt. Von Tschick wisse man nicht, ob er schlafe, hackedicht oder einfach nur cool sei, sagt er.

(Er ist cool, und wie!) Maik selber ist ein «Psycho», das wohlstandsverwarloste Kind einer alkoholkranken Mutter und einem Vater, der sich mit seiner Assistentin vergnügt und sich einen Deut um seinen Sohn kümmert. Wie Tschick ist Maik ein Aussenseiter in der Klasse, der es nicht einmal zu einem Übernamen gebracht hat. Einer, der nicht zur Party der begehrten «Superporno»-Klassenschönheit eingeladen ist. Also lässt er sich von Tschick zu einer Verrücktheit überreden, zu einer Fahrt im geklauten Auto ins Blaue bzw. in die Walachei – eine Fahrt, die natürlich nicht gut ausgeht, aber nur oberflächlich nicht gut.

«Tschick» ist der Titel eines fulminant geschriebenen Romans von Wolfgang Herrndorf. «Ein Buch wie ein Roadmovie – nur besser», schrieb der begeisterte Rezensent in der «Süddeutschen Zeitung». Und wie ein Roadmovie kommt auch die Dramatisierung des Bestsellers daher, die das vielköpfige Personal aus dem Roman auf ein Trio eingeschmolzen hat. Zu den beiden Jungs gesellt sich zwischenzeitlich das ebenso geheimnisvolle wie ebenfalls coole Mödchen Isa. «Tschick» ist eine ausgesprochen temparamentvolle Geschichte, die natürlich viel mehr enthält, als der hier beschriebene Handlungsfaden, der so kurz zusammengefasst wohl etwas haarsträubend klingt. Es ist eine Geschichte über junge Menschen in der Pupertät, über Liebe, Freundschaft und Selbstfindung. Aber auch das trifft es nicht ganz. Letztlich ist es ein extravagantes, fetziges, witziges und poetisches Traumspiel, eine Ode an die Randständigkeit oder Eigenwilligkeit mit einem überaus originellen Happy End.

Präzise Bewegungschoreografie

Uwe Heinrich, der erfolgreich agierende Leiter des Jungen Theater Basel, hat für einmal nicht einen gestandenen Profiregisseur mit der Inszenierung betraut, sondern die erst 24 Jahre alte Suna Gürler, die bis jetzt vor allem als Schauspielerin und Regieassistentin in Erscheinung trat – unter anderem in Produktionen unter der Leitung Sebastian Nübling.

Man merkt es der Inszenierung an, dass sie durch die Schule des international bekannten Vorzeigeregisseurs des Jungen Theaters Basel gegangen ist. Dass sie es versteht, durch eine exakt gestrickte und temporeich in Szene gesetzte Bewegungschoreografie die Laiendarsteller so zu positionieren, dass man ihnen den allenfalls noch vorhandenen Mangel an Professionalität in keinem Moment anmerkt. Gürler ist eine hochbegabte Spielleiterin, von der man wohl noch einiges erwarten darf.

Eine grosse Hilfe bei der Bewältig der Hürden zum professionellen Gesamteindruck ist die Ausstattung von Ursula Leuenberger, die viele Dutzend Autoreifen auf die Bühne gekippt hat. Aus diesen Reifen lassen sich weit über ihren symbolischen Charakter als visueller Rahmen für ein theatrales Roadmovie hinaus spielerisch und spielend alle erdenklichen Szenerien formen: von der Strasse, über die Müllhalde bin zum Berggipfel, Villen-Garten oder Gerichtssaal. Dazu kommt der klug-präzise Musik- und Soundeinsatz von Singoh Nketia, der, ohne je aufdringlich zu wirken, eingängige Stimmungslagen schafft.

Fulminant aufspielendes Schauspiel-Trio

In diesem stimmigen Rahmen ist nun ein Trio mit zwei jungen Schauspielern und eine Schauspielerin zu erleben, das in einer Verve aufspielt, als ob es ums nackte Überleben geht. Da sind der drahtige und ausgesprochen agile Tschick (Marco Jenni), sein rührend-komisches und von allerlei Gefühlswallungen heimgesuchtes Gegenüber Maik (Julius Schröder) und die burschikos-eigenwillige Isa (Sina Keller). Diese drei rennen, stampfen und springen ganze anderthalb Stunden auf der Bühne herum, klettern auf Reifentürme und hechten durch und über Reifenberge, dass man sich wundert, dass sie bei diesem Körpereinsatz überhaupt noch Luft zum Sprechen bekommen. Aber letztlich ist es gerade diese besondere Sprache, die zu fesseln mag, der lakonische Unterton, der ständige und absolut leichtfüssige Wechsel zwischen Erzähl- und Dialogmomenten, der hintersinnig-unaufdringliche Humor. Auch wenn die Übersetzung ins Baseldeutsche da und dort etwas hölzern ausgefallen ist, weiss das junge Darstellertrio auch hier mit einer glaubwürdigen Präsenz zu überzeugen.

Alles in allem ist «Tschick» Jugendtheater der besten Güteklasse: gescheit, aber kein bisschen schulmeisterlich, rasant und temporeich, aber niemals überbordend, unterhaltsam aber nicht anbiedernd. Mit seiner neusten Produktion hat das Junge Theater Basel nicht nur zu den landesweit ältesten Institutionen seiner Art gehört, sondern einen festen Platz an der qualitativen Spitze innehat, der ihm kaum eine andere Truppe streitig machen kann.

«Tschick»

Von Wolfgang Herrndorf (in der Bühnenfassung von Robert Koall)

Regie: Suna Gürler, Ausstattung: Ursula Leuenberger, Sound: Singoh Nketia, Dramaturgie: Uwe Heinrich

Mit: Marco Jenni, Sina Keller und Julius Schröder

Weitere Vorstellungen: Jeweils Mi-Fr bis 21.12.2012 und vom 09.01.-12.01.2013

Junges Theater Basel

 

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