Drei Nüsse für Hazelbrödel

Die Weihnachtszeit ist wie eine Schwangerschaft: unendlich viel Vorbereitung für einen einzigen Termin.

Fit für die Familienfeier? Die Poetry-Slam-Schweizermeisterin kredenzt uns zum Fest gedankliche Dehnübungen. (Bild: Nils Fisch)

Die Weihnachtszeit ist wie eine Schwangerschaft: unendlich viel Vorbereitung für einen einzigen Termin.

Die fünfte Jahreszeit dauert sechs Wochen und läuft auf die Klimax Weihnachten hinaus. Dieser nach Zimt und Anis duftende Festtagsfaschismus, die herzerwärmende Struktur von berechneter Harmonie und Nächstenliebe ist es, welche auch den unchristlichsten Schweizer von allen Seiten her zu penetrieren versucht.

Hazel Brugger
Die 20-Jährige ist amtierende Poetry-Slam-Schweizermeisterin und der TagesWoche-Leserschaft bestens ­vertraut durch ihre Online-Beiträge unter dem Motto «Hazel Unchained»

Jeder Ladenbesitzer tut gehirngewaschen so, als liege ihm etwas an der Musik, die er abspielt und die im besten Fall irgendwo zwischen Enya und Schwangerschafts-Gymnastik-Harfenklängen hin- und herpendelt. Wenn man Pech hat, wird man auch auf der Strasse von Lautsprechern mitten in die Fresse ge-wham!-t und mit glockenbimmelndem Herzschmerz dem Tod durch Seelendiabetes nahegebracht.

Weihnachten heisst, wie die Lachse zur Brutstätte zurückzukehren.

Hinzu kommt der gesellschaftliche Zwang, wie die Lachse zur Brutstätte zurückzukehren. Familienmitglieder zu beglücken, die man sich nie als Freunde aussuchen würde, und in steinzeitliche Muster zurückzufallen. Da ist zum Beispiel der Jäger, der Hausmann, der im Schweisse seines Angesichts den eingepackten Baum vom Familienwagen loslöst und in der Stube labradorgleich hechelnd seiner Frau vor die Schuhe wirft wie die tote, nasse Ente.

Und sie, die Sammlerin, die ihm darauf einen Kuss gibt (ohne Zunge, das wäre unangebracht), den Baum in den Sockel steckt und das schützende Netz mit gekonntem Messerschlitzer-Move von der Beute ­ablöst. Und die Kinder, die bei der Herrichtung des Erbeuteten helfen, mit gestärktem Kragen Christbaumkugeln aufhängen und Süssigkeiten arrangieren dürfen. Knochige Erdnüsse, Mandarinen, so prall und saftig wie gut gereifte Ödeme, und Schokolade, die im Mund schmilzt, nicht in der Hand. (Es sei denn natürlich, man steckt sie sich mitsamt der Hand in den Mund. Dann explodiert einem vermutlich der Kopf vor lauter aggregater Ungewissheit.)

Bethlehem-Roulette

Die Vorweihnachtszeit ist, wie ich mir die letzten Monate einer Schwangerschaft ausmale: unendlich viel Vorbereitung für einen einzigen Termin. Und obwohl alle anderen es auch ­irgendwie hinkriegen, denkt man doch, dass es – wie mans auch macht – verkehrt sein muss, ob durchorganisiert und hübsch dekoriert oder anarchistisch à la Bethlehem-Roulette.

Sowohl zum Elternsein als auch zum Festeschmeissen braucht man keine Prüfung. Man kann lediglich hoffen, dass alles gut wird und am Schluss nicht zu viel Unordnung bleibt. Gleichzeitig ist klar, dass man eigentlich nur alles falsch machen kann – das Kind stürzt und fällt auf die Jesuspuppe im Krippenset, man eilt daher und pfercht zur Instant­beruhigung eine Lindorkugel in den Kindermund. Bumm, zack, Totalschaden auf immer und ewig. Denn fortan assoziiert der Nachwuchs Schmerz und Jesusbaby mit Schokolade und muss beim Anblick von Kirchen sabbern und sich geisseln lassen. Sowohl Kind als auch Weihnachten sind auf immer ruiniert, die ganze Arbeit für nichts, halleluja, und all das nur, weil man zum Feiern keinen Eignungstest gemacht hat.

Rollschinkli, das ist Schweinefleisch im dekorativen Burlesque-Look.

Aber es muss nicht immer so hochdramatisch sein. Die ganze Feiertagsspezialisierung hat auch ihre guten, bildreichen und nachdenklichen Seiten. Ich stelle mir zum Beispiel gerne vor, dass diese im Winter vor Supermärkten stehenden Tannenbaum-­Benetzungstrichter im Herbst davor auch gleich die Rolle der Verrollschinkung des weihnachtlichen Festmahls übernehmen. Dass man also Mitte Oktober vor gut sortierten Schinkenfachgeschäften sein ordinäres Schinkli durch die Röhre schicken, einrollen und einzigartig werden lassen kann. Einmal durchgeschoben, et voilà, schon kommt das Schweinefleisch im dekorativen Burlesque-Look daher. Lasziv und prall glänzend wie ein ­tanzender Oberschenkel, nur darauf wartend, unter Grölen und Streiten an Heiligabend zerfetzt und in Bratensauce ertränkt zu werden.

Das Festmahl als Metapher

Das Rollschinkendasein muss für Fleisch das sein, was für thailändische Melonen die Würfelform und für babyspeckige Skateboard-Teenager die Skinnyjeans sind: eine Grenzen ziehende Definitionshilfe für das eigene Ich. Eine Schutzmembran, die einem einerseits die Zugehörigkeit zum System bewusst macht und andererseits zeigt, wie unpassend und pervers das einzelne Dasein unter vielen doch ist. Ja, man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass das äussere Netz das ist, was den Schinken in seinem Innersten zusammenhält, das Festmahl also nur Metapher sein kann für das grosse Ganze, das am Ende ­irgendwo zerfleddert, rumschwebt und nach zu viel Bratfett stinkt.

Und wenn Weihnachten dann weder vor, noch in oder gar hinter der Tür steht, sondern das Haus endlich, endlich in vom Balkongeländer stürzender Manier verlassen hat, dann ist Zeit für die richtig wichtige Frage im Leben. Nämlich welches Fondue man an Silvester denn nun kochen soll

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.12.13

Nächster Artikel