«Dürrenmatt»: Leben und Leiden eines geduldeten Verrückten

Filmemacherin Sabine Gisiger bringt das Leben von Friedrich Dürrenmatt ins Kino. Sie rückt die Beziehung zu seiner ersten Frau Lotti ins Zentrum und deren Hinterbliebene ins Bild. Dennoch bleibt eine Distanz zum Privatmann Dürrenmatt – und die Frage, ob der Film fürs Kino nicht eine Nummer zu klein ist.

Er kokettierte damit, dass er einen Vogel hatte: Friedrich Dürrenmatt.

Filmemacherin Sabine Gisiger bringt das Leben von Friedrich Dürrenmatt ins Kino. Sie rückt die Beziehung zu seiner ersten Frau Lotti ins Zentrum und deren Hinterbliebene ins Bild. Dennoch bleibt eine Distanz zum Privatmann Dürrenmatt – und die Frage, ob der Film fürs Kino nicht eine Nummer zu klein ist.

In den letzten Tagen füllte er wieder die Zeitungsspalten: Friedrich Dürrenmatt. Die einen fühlten sich durch Lukas Bärfuss‘ Wutrede («Die Schweiz ist des Wahnsinns») an ihn erinnert. Die anderen betonten, dass Bärfuss eben gerade nicht an die politisch-prosaische Kraft des grossen Dichters und Denkers herankomme. Fakt ist: Dürrenmatt ist seit 25 Jahren tot – und bleibt doch unsterblich.

Ins Gespräch bringt ihn derzeit auch ein Dokumentarfilm, der auch in Basel zu sehen ist«Dürrenmatt – eine Liebeserklärung». Dem Film voraus ging der Titelsong von Züri West: «Lied für Lotti».

Das «Lied für Lotti» ist Kuno Laueners Mundartversion von Friedrich Dürrenmatts Gedicht «Vor uns hintastend, Liebes». Dürrenmatt hatte es seiner ersten Gattin gewidmet, seiner grossen Liebe, bis dass ihr Tod sie schied. 1946 schlossen Lotti Geissler und Friedrich Dürrenmatt den Bund der Ehe. Fast 40 Jahre lang gab sie ihm Halt, unterstützte sie ihn bei seiner Suche nach einer eigenen Sprache, einem eigenen Ausdruck, einem sinnvollen Leben.

Qualvolle Jugendjahre

Zuvor hatte der Pfarrerssohn nach eigenen Aussagen «qualvolle, orientierungslose Jahre» verlebt. Zwar wuchs er in einem fürs Emmental liberalen Haushalt auf. Seine Eltern versprachen dem Adoleszenten, dass er nach der Matur Maler werden könne. «Nach der Matur aber lachten alle über meine Bilder.»

So labyrinthisch, wie er mit dem Pinsel seine Gefühle auf die Leinwand brachte, fühlte sich auch sein Leben an, erst recht, als die Familie vom Dorf in die Stadt zog. Sein Leben in Bern sei chaotisch gewesen, sagte Dürrenmatt. Er brach ein Studium in Philosophie und Germanistik ab, brach zusammen.

Eine Familie der Künste

Gerettet hat ihn die Erkenntnis und die Liebe: Er wollte Schriftsteller werden und eine Schauspielerin heiraten. Diese Nachrichten besorgten seine Eltern, wie sich seine Schwester im Film erinnert. «Der Vater sagte: Zuerst bringt er eine Malerin, dann eine Schauspielerin nach Hause. Was kommt danach? Eine Tänzerin?» Man sorgte sich um den Sohn. «Wovon wollten die denn leben?»

Dürrenmatt selber, ganz rhetorischer Showman, sagte vor der Kamera in schon fast patriarchalischem Ton, dass ihm die eigene Familiengründung Schwung verliehen habe, denn «ein Mann muss Ballast haben, einen Karren haben, den er zu ziehen hat».

Der Dichter und Denker

Mit Kriminalromanen versuchte er die existenziellen Engpässe zu überbrücken. Mit grossem Erfolg, wie die meisten von uns seit dem Schulunterricht und der Lektüre von Krimis wie «Der Richter und sein Henker» wissen. Die Erlösung aus seiner Orientierungslosigkeit sah er aber nach eigenen Angaben «in der Synthese von Literatur und Malerei – dem Theater».

Die Karriere verlief nicht reibungslos, wie man im Film erfährt. Sein erstes Stück «Es steht geschrieben» fiel am Schauspielhaus Zürich durch, die Eltern waren bestürzt, als sie an der Premiere miterleben mussten, wie ihr Sohn ausgepfiffen wurde. Dürrenmatt selber lachte zumindest im Nachhinein genüsslich darüber. Wie sehr er sich damals runterziehen liess, das offenbarte er nicht.

Die Liebe geht durchs Lektorat

Nur Lotti, so der Film, hielt zu ihm, drang ganz zu ihm durch. Sie war seine Lektorin, seine Kritikerin, seine Vertraute. Wer allerdings nun private Aufnahmen der beiden oder gar Aussagen von Lotti selber erwartet, könnte enttäuscht werden. Filmemacherin Sabine Gisiger rückt zwar die Symbiose dieser Eheleute ins Zentrum, die meisten Aufnahmen aber – so zumindest unser Eindruck – stammen aus bekannten Archiven, allen voran aus dem Film, den Charlotte Kerr nach Lottis Tod drehte. Sie besuchte den Witwer, den einsamen, leidenden Mann. Ihr vertraute er an: «Wenn die Frau stirbt, sorgt das für Verwirrung, man weiss nicht mehr, wie man leben soll.»

Charlotte Kerr und Dürrenmatt heirateten wenige Monate später. Doch das ist Nebensache in dieser Annäherung, Gisiger fokussiert auf Dürrenmatts erste Ehe. Und konnte für dieses Vorhaben – sie kannte die Dürrenmatts schon als Kind – das Vertrauen der Nachkommen gewinnen. Karg inszeniert, hat sie mit Sohn Peter und Tochter Ruth, heute Rentner, über die Eltern gesprochen.

Die Distanz der Kinder

Ebenso konnte sie Dürrenmatts Schwester sprechen. Mal sagen die drei wenig aus, mal aber auch mit wenig sehr viel. Denn es ist auffallend, wie unerreichbar der Vater auch für diese Nächsten oft gewesen sein muss. Versunken in seiner eigenen Welt, in seinen Gedanken, in seinen Texten. «Wenn er korrigierte, durfte man keinen Lärm machen. Und ihn nie stören», sagt die Tochter. «Wie eingebunkert» sei man aufgewachsen, am Hügel über Neuenburg, dem Rückzugsort der Eltern, erinnert sich Sohn Peter. 

Die Distanz zum Schriftsteller überwand wohl Lotti wie keine andere. Nur, und das ist eine Schwäche des Films, nahm sie ihre Einsichten mit ins Grab. Eine andere ist, dass wohl manche Kinobesucher, die nicht mit dem Werk des Dichters und Denkers vertraut sind, sich streckenweise ein bisschen hilflos vorkommen dürften.

Mehrfach deuten die Nachkommen an, dass Dürrenmatt in der Familie durchaus egozentrisch auftrat – so deutlich sagen sie es aber nicht. Nur angedeutet werden auch die depressiven Verstimmungen der Mutter. Lotti und Friedrich verstanden sich blind. Und litten gemeinsam. Sie an Depressionen. Er mit ihr. «Wie eine Wolke legte sich manchmal ein Schatten über beide», erinnert sich Tochter Ruth in einem der berührendsten und intimsten Momente.

 

Ein «geduldeter Verrückter»

Mehr lässt sich über diese spannende psychologische Komponente retrospektiv nicht erfahren, Dürrenmatt selber versteckte sich gerne mit markigen Worten hinter seinen echten Gefühlen, so scheint es. «Ich bin ein geduldeter Verrückter», sagt er einmal. Und: «Schreiben ist immer ein Nachdenken und arbeiten an sich selber.»

Dass er ein Getriebener, ein Zweifler, ein Denker war, betont der Film überdeutlich, und es wird die Hilflosigkeit manifest, mit der die Familie feststellen musste, dass er auch für sie unergründlich blieb. Wundern tun sich auch die Gesprächspartner: Sohn Peter etwa, der Pfarrer wurde, wundert sich darüber, dass er mit seinem Vater nie über Theologie gesprochen habe. Viel lieber sinnierte der Vater über Bordeaux-Weine. Und übers Essen. 

So gern man als Dürrenmatt-Bewunderer diese Künstlerbiografie zu Ende schaut, fragt man sich danach doch, warum man diesen Film im Kino sehen sollte – scheint er doch fürs Fernsehen gemacht. So wie Gisigers letzter Film, der zu Beginn dieses Jahres in Solothurn und dann in der «Sternstunde Kunst» des SRF zu sehen war: «Friedrich Dürrenmatt – Im Labyrinth». 

Seinen Sinn fürs Pointierte behielt Dürrenmatt übrigens bis zum Schluss: So erinnert sich seine Schwester, wie er sie anrief und ihr sagte: «Der Schreibtisch ist aufgeräumt.» Am 14. Dezember 1990 starb er an Herzversagen.

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«Dürrenmatt – eine Liebesgeschichte» läuft derzeit in den Schweizer Kinos. Unter anderem im Basler Kino Camera. 

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