Ein beschwingtes Sommernachtsmärchen

Die Theatergruppe Rattenfänger serviert Molières berühmte Komödie «Der eingebildete Kranke» auf dem Muttenzer Kirchplatz als fröhlich-beschwingtes Sommernachtsmärchen.

Die Böse (Stephanie Feddern) und der Dumme (Niggi Reiniger) (Bild: Markus Ruggiero)

Gradlinig, beschwingt und luftig leicht: Die Theatergruppe Rattenfänger zeigt Molières unsterbliche Komödie «Der eingebildete Kranke» auf dem Muttenzer Kirchplatz als vergnügliches Spiel unter freiem Himmel.

«Wer will noch eine kratzige Decke aus einem Gemisch aus Baumwolle und Stacheldraht?», fragt der Helfer am Eingang gut gelaunt. Und die ebenso gut gelaunten Zuschauerinnen und Zuschauer greifen dankbar zu. Die Theatergruppe Rattenfänger denkt wirklich an alles. Es ist kühl geworden zur Pause von Molières «Der eingebildete Kranke» auf dem Muttenzer Kirchplatz; eine Wolldecke ist da tatsächlich überaus genehm. Und wirklich kratzig ist sie auch nicht. So wie es auch die Inszenierung nicht ist – vielleicht hätte ihr ein bisschen mehr Kratzbürstigkeit gar nicht so schlecht getan. Vielleicht. Aber dazu später mehr.

Beginnen wir ganz am Anfang. Denn die Rattenfänger denken wirklich an alles. Der Theaterabend unter dem wunderbar wolkenlosen Himmel auf dem schönen Muttenzer Kirchplatz beginnt für viele Zuschauerinnen und Zuschauer nämlich bereits einige Zeit bevor sich der Vorhang öffnet: Bei Speis und Trank auf dem Platz neben dem abgesteckten Theaterbereich. Die Tische und Bänke des Theater-Strassenrestaurants vor der schönen Dorfkirche St. Arbogast sind voll, die Gäste vergnügt. Auf der anderen Strassenseite beleuchtet die Abendsonne den roten Vorhang der kleinen Barockbühne, die eingebettet ist von den postmodernen Bauten des Hotels und Kongresszentrums Mittenza, die – weiss Gott warum – irgend einmal als gute Bauten ausgezeichnet wurden.

Verwitterte Barockbühne

Bei Vorstellungsbeginn müssen dann die Scheinwerfer die Beleuchtung der Bühne übernehmen. Zu sehen ist ein reizendes kleines Barocktheäterchen (Bühne: Kurt Walter), das seine besten Tage hinter sich hat: Die Zierelemente am Portal und die Wände sind ziemlich verwittert und etwas schäbig. Ganz anders die prächtigen Kostüme der Protagonistinnen und Protagonisten, die mit ihren zum Teil bleich geschminkten Gesichtern und den barocken Frisuren aussehen, als seien sie direkt aus der Zeit Ludwigs XIV. in die Gegenwart versetzt worden.

Diese Szenerie und auch die beiden Musiker (Zoe Wehrmüller und Luc Lutz), die zwischen den Akten mit Barockmusik aufspielen, machen sogleich klar, dass es Regisseur Danny Wehrmüller, auch wenn er den Text in eine zeitgemässe Sprache übertragen hat, nicht darum geht, mit der Handlung einen expliziten Gegenwartsbezug zu schaffen. Zu erleben ist Barocktheater pur, ohne Mätzchen, gradlinig und erfrischend in Szene gesetzt. Und von den Laiendarstellerinnen und -darstellern mit viel Spielfreude auf die Bühne gebracht.

Unkränklicher Kranker

Im Zentrum des Stücks und somit auch dessen Aufführung steht natürlich Argan, der eingebildete Kranke. Er wird von Niggi Reiniger im schmutzig weissen Schlafanzug und tief über die Ohren gezogener Schlafmütze mit beachtlicher komödiantischer Bühnenpräsenz gespielt. Aber wirklich krank erscheint diese Version des grossen Hypochonders nicht. Dafür sind Argans Auftritte viel zu energiegeladen. Und auch der unsägliche Miesepeter, der die Umgebung mit seinem Krankheitswahn tyrannisiert, ist nicht wirklich zu erleben. Dafür erscheint die Figur einfach zu sympathisch – trottelig natürlich, aber letztlich doch ganz liebenswert.

Regisseur Wehrmüller legt das Gewicht seiner Inszenierung denn auch mehr auf die Typen- als auf die Charakterkomödie. So wird Argan zum Zentrum eines Karussells der menschlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen. Da ist die rücksichtslos geldgierige Ehefrau (Stephanie Feddern), die mit Hilfe des schrecklich schleimigen Nortars (Christian Vontobel) das Vermögen Argans erschleichen möchte. Letzterer ist ganz nach Molières Vorlage eine unsägliche Karikatur, so wie es auch die verschiedenen Ärze und die Apotekerin sind, die sich am eingebildeten Kranken eine goldene Nase verdienen (Romeo Schmid, Sämi Bally, Rainer Hettenbach, Brigitte Jost). Als erfrischender Gegenpol erscheint das dreist-selbstbewusste Dienstmädchen Toinette (ein überaus beherzter Auftritt von Kristiina Kanholt-Siemer), die zusammen mit Argans Schwester (Evelyne Nidegger) mit einer Gegenintrige die rücksichtslosen Doktoren und die erbschleichende Ehefrau auflaufen lassen.

Satire auf die Doktoren

Die satirsche Posse auf die Doktoren der Rechte und Medizin sorgt denn auch für die Höhepunkte der Inszenierung. Da haben es Angélique, die verliebte Tochter Argans, und ihr Liebhaber (Joelle Leu und Alain Sigg), die den Gegenpol der Rechtschaffenheit besetzen müssen, nicht ganz so leicht. Mit einem einem besonderen Szenenapplaus indes wurde der Auftritt von Angéliques kleiner Schwester (mit Anouk und Salomé Héritier doppelt besetzt) bedacht, den sie mit ihrem beherzten kurzen Auftritt wirklich verdient hat.

Alles in allem kommt «Der eingebildete Kranke» als fröhlich-beschwingtes Sommernachtsmärchen daher. Vielleicht, so könnte man einwenden, etwas allzu fröhlich oder, wenn man ein böseres Wort brauchen möchte, etwas gar harmlos. Zu Molières Zeiten hatte die Satire auf die Ärzte, wenn man liest, wie der Sonnekönig von seinen Leibmedizinern tatsächlich auf brutale Weise malträtiert wurde, einen überaus aktuellen Bezug. Dieser lässt sich aber mit historischen Kostümen und weiss geschminkten Gesichtern nicht so leicht aktualisieren. Aber eben: Das war offensichtlich auch nicht die Absicht der Rattenfänger, die in erster Linie ein schönes Stück Unterhaltung bieten wollten. Und das ist ihnen auch gelungen.

 

«Der eingebildete Kranke»
von Molière
Regie: Danny Wehrmüller, Bühne: Kurt Walter, Kostüme: Kostümgruppe der Rattenfänger
Mit: Niggi Reiniger, Stephanie Feddern, Joelle Leu, Anouk und Salomé Héritier, Evelyne Nydegger, Alain Sigg, Romeo Schmid, Sämi Bally, Rainer Hettenbach, Brigitte Jost, Christina Vontobel, Kristiina Kanholt-Siemer sowie Zoe Wehrmüller und Luc Lutz (Musik)
Muttenz Kirchplatz
Die nächsten Vorstellungen: jeweils Mittwoch bis Samstag, 2015 Uhr (bis 7. September)

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