Ein bröckelnder Riese auf dem Messeplatz

Auf dem Messeplatz liegen mit Heimo Zobernigs grossformatigem Bodenschriftzug derzeit noch die Reste einer trefflichen künstlerischen Intervention, anhand derer sich die Geschichte der Entwicklung eines der wichtigsten Plätze der Stadt ablesen lässt.

Ein Archivbild zeigt die Situation auf dem Messeplatz, bevor der Neubau kam.

Auf dem Messeplatz liegen mit Heimo Zobernigs grossformatigem Bodenschriftzug derzeit noch die Reste einer trefflichen künstlerischen Intervention, anhand derer sich die Geschichte der Entwicklung eines der wichtigsten Plätze der Stadt ablesen lässt.

Die Messe Basel ist einer der bedeutenden wirtschaftlichen Standortfaktoren der Stadt. Der Messeplatz hat dies lange Zeit nicht widergespiegelt. Er war vielmehr vor dem Neubau des Messeturms durch die Architektengemeinschaft von Morger & Degelo und Marques 2001–2003 eine urban eher undefinierte Lücke zwischen den verschiedenen Messegebäuden, umgeben und zerklüftet von Fahrbahnen, Tramschienen und unüberschaubar geführten Fussgänger- und Velowegen.

Beim Ideenwettbewerb für die Neugestaltung von Messeplatz und Service Center der Messe Basel 1998 zeigte der spätere Gewinnerentwurf noch keine nennenswerte Ausformulierung der Platzgestaltung – ausser der Verlegung der Tramwendeschleife und eines Wasserbeckens vor der Fassade der Rundhofhalle. 

Schon seit 2013 widmet die TagesWoche sich über die Monate Juli und August der «Kunst am Wegrand». Alle in dieser Serie erschienenen Artikel finden Sie auf der Themen-Seite Kunst am Wegrand.

Während der Weiterbearbeitung des Projektes wurde Peter Pakesch, damals Leiter der Kunsthalle Basel, als Berater hinzugezogen. Er empfahl den österreichischen Künstler Heimo Zobernig, mit dem er bereits in seiner Wiener Galerie wiederholt zusammengearbeitet hatte.

Die Hälfte ist weg

Zobernigs Vorschlag war, die Schriftzüge MESSE PLATZ und MESSE BASEL in einer Schriftstärke von an die fünf Meter über den ganzen Platz laufen zu lassen. Durch den Messeneubau ging die eine Hälfte des 2003 ausgeführten Kunstwerks verloren, und heute ist nur noch derjenige Teil vor dem Messeturm erhalten, welche das Wortpaar MESSE BASEL ergibt.

Die riesigen Versalien, als Intarsien aus hellem Eifelquarz auf mit Basaltkies nachgedunkeltem Grund ausgeführt, erscheinen zueinander auf den Kopf gestellt. MESSE PLATZ war nach Westen, zur Rundhofhalle hin, ausgerichtet und MESSE BASEL nach Osten, auf der Seite der Rosentalanlage. Aufgrund ihrer Grösse sind die Wörter nur aus einiger Entfernung, etwa von den oberen Stockwerken des Messeturms aus, lesbar.

Die Höhe der Buchstaben entspricht dem Grundriss des Turms inklusive des frei schwebenden Baukörpers, die Länge nahm die komplette Platzlänge ein. Die beiden Schriftzüge überschneiden sich an der Mittelachse um Fusseslänge, und auch das Wasserbecken ragt leicht in den Schriftzug hinein. Da die beiden Zeilen unterschiedlich lang waren, endete die westliche Zeile etwas früher, während die östliche, untere Zeile bis zu den Schienen des 14er-Trams auslief. Damit reagierte Zobernig sehr präzise auf die damals neue städtebauliche Situation.

Identitätsgebende Funktion

Der Buchstabenfluss gab dem Platz eine Identität. Gleichzeitig markierte er das Platzgeviert durch seine Anwesenheit überhaupt erst als solches. Die Buchstaben bezeichnen nicht nur ihren physischen Standort, sie machen ihn überhaut erst als solchen kenntlich.

Diese Qualität findet sich immer wieder in Zobernigs Werk. Sehr schön ist das derzeit im österreichischen Pavillon der Biennale Venedig zu sehen, wo er in den Räumen eine jeweils durchgehende schwarze Decke und einen schwarzen Boden eingezogen hat. Auch hier arbeitet er mit dem Vorhandenen und erreicht gleichzeitig durch seinen minimalistischen Eingriff eine komplett neue Gewichtung der räumlichen Wahrnehmung.

In Basel formte die Intervention des Künstlers nicht nur die Gestalt des Messeplatzes und seine Identität, sie bildete ausserdem die verbleibende Schwachstelle im Süden in Richtung Innenstadt ab. Hier ging der Platz auch weiterhin architektonisch undefiniert einfach mittels Riehenring in die Clarastrasse über. Ebenso, wie hier Zobernigs Schriftzüge in unterschiedlicher Länge einfach auslaufen.

Neue Situation

In der ursprünglichen Situation hatten die Buchstaben so wirklich noch die inhaltliche Funktion, den Platz überhaupt erst als solchen kenntlich zu machen – jedoch ohne eine architektonische Antwort im Süden zu haben. Diese Aufgabe wurde 2013 durch den Neubau von Herzog & de Meuron städtebaulich gelöst. Dieser schliesst das offen ausfransende Südende, so dass der Platz nun erstmals als solcher architektonisch strukturiert und räumlich zu erfahren ist. Gleichzeitig öffnet sich das transparente Untergeschoss zum Platz und bewahrt die Nord-Süd-Achse vom Badischen Bahnhof über die Rosentalanlage, den Claraplatz und die Mittlere Brücke ins Zentrum der Stadt.

Der Schriftzug Zobernigs hat durch diesen klärenden Eingriff in das Platzgefüge seine identitätsstiftende Aufgabe verloren. Er liegt derzeit noch da wie ein leicht bröckelnder Riese, der trotz allem die Stärke und Präzision seiner Reaktion auf die historische, städtebauliche Situation sofort wieder vor Augen zu führen vermag.

Heimo Zobernig, geboren 1958 in Mauthen, lebt und arbeitet in Wien. Seit 2000 ist er Professor für Bildhauerei an der dortigen Akademie der bildenden Künste und wohl einer der bedeutendsten österreichischen Künstler der Gegenwart. Er war etwa an der documenta 9 und X vertreten und bespielt auf Einladung von Yilmaz Dziewior den österreichischen Pavillon der diesjährigen Biennale in Venedig.

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