Ein glücklicher Trotzkopf

Der französische Maler Pierre-Auguste Renoir pfiff auf bürgerliche Konventionen und auf seine Kritiker. Und blieb sich deshalb zeit seines Lebens treu.

Kein grosser Mann, aber ein grosser Maler: Der 29-jährige Pierre-Auguste Renoir. (Bild: Martin P. Bühler / ©)

Der französische Maler Pierre-Auguste Renoir pfiff auf bürgerliche Konventionen und auf seine Kritiker. Und blieb sich deshalb zeit seines Lebens treu.

Von Bürgerlichkeit hielt Pierre-Auguste Renoir nicht viel. Der fran­zösische Künstler, der am 25. Februar 1841 in Limoges geboren worden war, verbrachte den grössten Teil seines ­Lebens in der pulsierenden Hauptstadt. Paris bedeutete für Renoir ein ewiges Fest, er verkehrte in Künstler- und Schauspielerkreisen und malte, malte, malte.

Mehr als 5000 Gemälde soll er bis zu seinem Tod im Jahr 1919 geschaffen haben; eine Vielzahl von Gemälden, die seinen Ruf als «Maler des Glücks» begründet haben. Denn Renoir liebte es, das Leben und die Kunst von ihrer heiteren, lebensvollen und lichterfüllten Seite zu zeigen. Spass machen sollte die Malerei, dem Betrachter ebenso wie dem Maler selbst.

Dass er mit dieser Einstellung auch anecken könnte, war ihm bewusst – und auch egal: «Ich weiss sehr wohl, dass es einem nur schwer zugestanden wird, ein Gemälde zur ganz grossen Malerei zu zählen, wenn es etwas Fröhliches hat», äusserte er sich in ­einem Brief an einen Freund. Nichtsdestotrotz malte er freudvolle Szenen. Alles, was dem Menschen Glücksgefühle beschert: lichterfüllte Landschaften, elegant gekleidete Männer – und vor allem Frauen, Kinder. Und schuf damit ein Werk, das zeitlos wirkt. Was nicht heisst, dass Renoir keine Fortschritte machen wollte. Täglich versuchte er, besser zu werden; er perfektionierte seine Arbeit schon als Porzellanmaler, in jenem Beruf, den er als Jugendlicher aus ärmlichen Verhältnissen erlernte, um nach dem Umzug der Familie nach Paris Unabhängigkeit durch ein eigenes Einkommen zu erlangen.

Blumige Tassen

13 Jahre alt war er, als er Teller und Tassen erst mit Blumensträussen, dann mit Figuren und Profilbildern verzierte. Renoir arbeitete dermassen effizient, dass sein Portemonnaie bald gut gefüllt war. Gerne hätte der Werkstattleiter ihn als Teilhaber an seinen Betrieb gebunden, doch Renoir blieb lieber frei. Viele Jahre später beschrieb der Maler Camille Pissarro Renoir als einen der unstetesten Menschen, die er je getroffen habe. Unablässig stellte Renoir das Erreichte infrage – egal, was von ihm erwartet wurde.

In seinen Mittagspausen sass der Porzellanmaler Renoir oft beim Unschuldsbrunnen auf dem Square des Innocents nahe Les Halles und verliebte sich in die Aktfiguren und Nymphen des Bildhauers Jean Goujon, die die Brunnenarchitektur zieren. Die skulpturale Form des weiblichen Körpers nahm ihn gefangen und liess ihn nie mehr los. Selbst in seiner impres­sionistischen Phase sollte er den weiblichen Körper immer im alten Stile eines Peter Paul Rubens oder Tizian malen: rund, fliessend, zart modelliert.

Zuvor aber zwang die Industrialisierung den 17-jährigen Renoir dazu, den Beruf zu wechseln: Weil das Kunsthandwerk des Porzellanmalens durch neue mechanische Verfahren ersetzt wurde, musste die Werkstatt, für die er arbeitete, schliessen. Renoir suchte sich eine neue Arbeit als Fächermaler. Und er machte sich vermehrt mit den Werken anderer Maler bekannt.

Bezaubernde Frauen

François Bouchers Gemälde «Diana entsteigt dem Bade» gefiel ihm besonders gut, und seine Indifferenz gegenüber Kritik begann sich zu offenbaren. Es sei das erste Gemälde gewesen, das ihn tief bewegt habe, erzählte er später seinem Freund und Kunsthändler Ambroise Vollard, und fügte hinzu: «Obwohl man es nicht versäumt hat, mich darauf hinzuweisen, dass Boucher nicht unbedingt der Richtige sei, ihn so zu verehren, denn er sei schliesslich nur ein dekorativer Maler. Ein dekorativer Maler, als sei das ein Makel!» Boucher, ein Maler des französischen Rokoko, habe immer «ganz bezau­bernde Frauen gemalt», so Renoir, und: «Ein Maler, verstehen Sie, der ein Gefühl für Busen und Hintern hat, ist ein geretteter Mann.»

Als sich Fächer nicht mehr gut verkauften, bemalte Renoir Sonnenblenden für die tragbaren Sitze von Missionaren – mit Jungfrauen, Engeln und Heiligen. 1861 hatte er genug Geld gespart und beschloss, beim Schweizer Maler Charles Gleyre die grosse Malerei zu erlernen. Kurze Zeit darauf schrieb er sich auch an der Ecole nationale supérieure des beaux-arts ein, wo er mit den revolutionären Neuerungen jener Zeit in Kontakt kam: mit dem ­Realismus eines Gustave Courbet, mit der Freilichtmalerei der Schule von Barbizon oder mit den Anregungen, die er durch die Künstlerfreunde Edouard Manet und Claude Monet empfing.

Gleyre sei als Lehrer keine grosse Hilfe gewesen, kritisierte Renoir später. Zumindest aber sei ihm das Verdienst zuzuschreiben, seinen Schülern alle Freiheit gelassen zu haben. Auch ein Monet oder Frédéric Bazille, die ebenfalls bei Gleyre lernten, schätzten diese Autonomie, die es ihnen ermöglichte, zu einem eigenen Stil zu finden.

Talentierter Porträtist

In seinen Anfängen als Maler übte Renoir sich vor allem in der Kunst des Porträts. Hier zeigte sich sein besonderes Talent, die Züge der Menschen treffend und individualisiert darzustellen. In den 1860er-Jahren schuf er ein Abbild nach dem anderen, malte oft seine Freunde; doch auch sein Auftragsbuch füllte sich zusehends. 1864 nahm Renoir erstmals am offiziellen Pariser ­Salon teil und durfte sich fortan zum ernst zu nehmenden künstlerischen Nachwuchs Frankreichs zählen.

In jenen Jahren hielt Renoir sich oft im Wald von Fontainebleau auf, wo er meist die Gastfreundschaft seines Malerfreundes Jules Le Cœur genoss. Dieser wohnte mit seiner Geliebten Clémence Tréhot zusammen, und von deren kleiner Schwester Lise war Renoir besonders angetan. Schon bei ihrer ersten Begegnung bat er sie, für ihn Modell zu stehen. Sechs Jahre dauerte ihre Liebschaft, von 1866 bis 1872. Zwei illegitime Kinder, die zur Adoption freigegeben wurden, gingen daraus hervor, und über 20 Porträts der Geliebten schuf Renoir in dieser Zeit.

Renoir inszenierte Lise in den unterschiedlichsten Rollen: als Odaliske, als Quellnymphe, als Bauernmädchen oder als elegante Grossstadtbürgerin wie in «Frau in einem Garten (Die Dame mit dem Möwenhütchen)». Darin wird exemplarisch die Bildsprache Renoirs sichtbar: Er inszeniert Lise in einer Momentaufnahme nicht als Person, sondern als Frauentypus. Eine modische junge Pariserin hat soeben an einem Tischchen Platz genommen, einen Handschuh hat sie bereits ausgezogen, hält ihn jedoch in der anderen, noch behandschuhten Hand, als würde sie auf etwas warten – noch unschlüssig, ob sie länger sitzen bleiben will. Auf dem Tisch liegt ein Sträusschen, scheinbar achtlos hingelegt und mit der nackten Hand zur Seite geschoben.

Modische Details

Renoir liebte modische Details und rückte sie in den Fokus: die Hand­schuhe, der feuerrote Ohrring, das Hütchen aus Federn, dem der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe Anfang des 20. Jahrhunderts den bildtitel­gebenden Namen «Möwenhütchen» verpasste. Auch die Natur hat ihren Platz, als dichtes Blattwerk, das die Frau umgibt und uns an die Vegetation eines Ziergartens erinnert. Viele Male wird Renoir die Natur noch in Verbindung mit dem Menschen malen. Landschaft, so war sich der Maler sicher, entfaltet sich erst durch das Einfügen menschlicher Figuren. Die Natur fungiert als schöner Garten für die fröhliche Gesellschaft, als liebliche Szenerie für einen weiblichen Akt.

Kein Mensch würde in der Betrachtung von Renoirs Gemälden daran denken, dass Paris und ganz Frankreich zu jener Zeit kein friedlicher Ort war. Von den Umbrüchen der Zeit ist in seinen Werken nichts zu sehen. Weder von der Industrialisierung und den ­Arbeitervierteln, die damit entstanden und in Paris eine neue Ordnung hervorbrachten, noch vom französisch-deutschen Krieg, für den sich auch Renoir 1870 bei der Armee meldete. Kurz nach seinem Einzug jedoch wurde er krank und von seinem Onkel nach Bordeaux gebracht. Dort hegte und pflegte ihn die Familie und hinderte ihn an der Rückreise nach Paris aus Angst, dass er bei den Aufständen der Pariser Kommune getötet werden könnte.

Lichte Leinwände

Erst Anfang der 1870er-Jahre kehrte Renoir in die Hauptstadt zurück, liess auf die Geliebte Lise Tréhot, die einen Architekten heiratete, erst Henriette Henriot folgen und auf diese die Schauspielerin Jeanne Samary und traf sich wieder mit seinen Malerfreunden, die der Krieg in alle Winde zerstreut hatte. Gemeinsam mit ihnen begann er, sich von den alten Stileinflüssen zu lösen. «Sucht das helle Licht und den tiefen Schatten, der Rest kommt von ­allein!» war der Schlachtruf, der auf ­einem Zitat Manets beruhte und rund ein Dutzend Maler dazu verleitete, die gut funktionierenden Regeln der abendländischen Kunst infrage zu stellen, die den Erfolg an den Pariser Salons garantierten. Die Künstler selbst beteuerten ihre Ernsthaftigkeit, während die Kritiker ihnen Scham­losigkeit unterstellten. Wenig später würde man diese Maler, die statt geschlossener, dunkel gehaltener Mal­flächen plötzlich lichte Leinwände präsentierten, auf denen die helle Farbe als Tupfen aufgetragen worden war, als Impressionisten betiteln.

Renoir als einer davon setzte ihre Ideen vor allem in seinen Landschaftsbildern um; in seinen Porträts und Interieurszenen blieb er seinem Stil, seinem Interesse für skulpturale Formen treu. Zwar ging es auch ihm in dieser Schaffensphase wie allen Impressionisten darum, die perfekte Synthese zwischen Form und Farbe, zwischen Körpervolumen und Kontur herzustellen. Doch genauso wenig, wie sich der unstete junge Maler einige Jahre zuvor von der Kritik beeinflussen liess, liess sich der ältere Renoir jetzt von seinen Impressionisten-Kollegen etwas vorschreiben. Auch ihnen «trotzte» der rastlose Künstler und beschritt un­beirrt seinen eigenen Weg, der ihn bald wieder weg vom Impressionismus führte. Jahrelang noch malte er weiter an seinen Gemälden, die der Realität eine Idylle entgegenstellten – mit unverhohlenem Positivismus und unbeeindruckt von der restlichen Welt.

  • Das Kunstmuseum Basel legt in seiner Ausstellung «Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie» den Fokus auf das bislang weniger ­beachtete Frühwerk des französischen Impressio­nisten. Die Schau soll auch das Bild des «Malers des Glücks» infrage stellen. Kunstmuseum Basel, 1. April bis 12. August. Vernissage Sa, 31. März, 17 Uhr.
    www.kunstmuseumbasel.ch

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.03.12

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