Christoph Marthaler arrangiert in «Isoldes Abendbrot» mit einer wunderbaren Sängerin und einem hinreissend skurrilen Ensemble einen umwerfenden Liederabend über das Sein oder Nichtsein.
Es gibt Sachen, die gibt es eigentlich gar nicht. Und doch erkennt man sie entfernt wieder. Sie sind ungemein schwierig zu erklären, sie sind umwerfend komisch und berührend melancholisch zugleich. Oder wie der bewundernswert agile und virtuose Pianist Bendix Dethleffsen zu Beginn des Abends erklärt: «Alles ist ganz genau das, wonach es aussieht.»
Angesagt ist ein Marthaler-Abend mit dem Titel «Isoldes Abendbrot». Mit der schwedischen Star-Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter, die von den grossen Opern- und Konzerthäusern Europas nach Basel (und damit an den Ort ihres einstigen Debüts) zurückgekehrt ist, um mit dem grossen Meister der skurrilen Bühnenweltbildern zusammenzuarbeiten. Und mit den bekannten Mitgliedern der Marthaler-Familie, die hier mit dem Schauspielertrio Ueli Jäggi, Graham F. Valentine und Raphael Clamer sowie mit dem Musiker Bendix Dethleffsen vertreten ist.
Seltsame Menschen in seltsamen Situationen
Marthaler ist ja eigentlich mehr als ein Theatermacher oder Regisseur, er ist längst Programm. Und das schürt natürlich Erwartungen an ein Stelldichein von seltsamen Menschen, die in einer seltsamen Umgebung mit seltsamen Gegebenheiten konfrontiert werden. Und das mit viel Musik und loop-artigen Wiederholungen.
Das ist auch in «Isoldes Abendbrot» so. Bereits der Titel lässt mit «Abendbrot» statt «Abendrot» anklingen, dass hier die Grenzen einer einfach nachvollziehbaren Handlungen überschritten (oder gar nicht erst gezogen) werden. Wer sich an «Isolde» als inhaltliche Stütze hält, kommt ein bisschen weiter. Isolde, das ist doch die mit dem Liebestrank, Liebestod und Tristan. Die Geschichte, die von Richard Wagner zur Oper verarbeitet wurde und die Marthaler vor zehn Jahren auf dem heiligen grünen Hügel in Bayreuth inszeniert hatte.
Es ist aber nur eine kleine Hilfe. Nennen wir Anne Sofie von Otter aber dennoch Isolde. Zu erleben ist sie aber nicht nur als eine Figur. Sie ist die forsche Bardame, die hinter dem wuchtigen runden Tresen des Lokals mit seinem schweren Holztäfer hin und wieder auch an ein arrogantes Burgfräulein erinnert, die spöttisch auf das Volk hinunterblickt. Sie tritt auf als Femme fatale und Hexe, als Diva und Putzfrau.
Reigen der skurrilen Überraschungen
Und natürlich als grossartige Sängerin, die sich mühelos durch ein riesiges Repertoire singt, das von der Opernarie bis zum Volkslied reicht, vom Elvis-Costello-Song bis zu Gustav Mahlers Lied «Ich bin der Welt abhanden gekommen». Und das mir sängerischer Brillanz und ein paar wenige Male auch mit dem aufgesetzten Gekrächze von jemandem, der sich über eine Opernsängerin lustig macht.
Anne Sofie von Otter alleine ist der Besuch des Abends wert. Es ist nicht nur so, dass sie grandios singt, sie brilliert auch in ihrem hochkonzentrierten und ebenso komischen Spiel. Und als Gegenpol zur Marthaler-Familie, die, wie wir wissen, ebenfalls hochmusikalisch ist und die es spielend versteht, einen wundervollen mehrstimmigen Gesangspart zur grandiosen Slowmotion-Slapstick-Nummer zu ver(un)edeln.
Es ist eine Kombination, die Pathos in Komik münden lässt, die aus der Melancholie heraus stets an die Grenzen des Klamauks herantritt. Aber eben nur an die Grenzen und niemals darüber. Und die das Publikum verwundert staunen lässt, wie es diese Leute auf und hinter der Bühne verstehen, immer wieder neue und überraschende Ideen zu präsentieren.
Der Vamp und die müden Männchen
Zu erleben sind Szenen, die sich eigentlich nicht trefflich beschreiben lassen, die man selber gesehen und gehört haben muss. Etwa wenn von Otter im verführerischen roten Ballkleid und mit blonder Lockenpracht Juliette Grécos «Déshabillez-moi» ins Mikrofon haucht, während daneben Valentine und Jäggi ihre Hemden aus der Hose ziehen und ihre Hosenschlitze öffnen, um einander die Markenetiketten zu präsentieren und sich Clamer als im Erotikrausch gefangener Schagzeuger auf dem Teppich wälzt.
Oder wenn sich das Männertrio auf den sich immer wieder um die Bar drehenden Hockern zum Kostümkarussel vereinen und sich als Dalí-Verschnitt, als Alt-Hippie und -Rocker, als Kosacke, Älpler und sonstige Männerklischeebilder präsentieren. Die Überraschungsmomente finden sich in jedem Detail. Im Harmonium, das sich aus einer Dreh-Luke hinter dem Cheminée hervorzaubern lässt. Im Humidor, der spricht, wenn man ihn öffnet. Und und und.
Viele Geschichten vereinen sich zum audiovisuellen Rausch
Wer nach einem Sinn hinter dem Ganzen sucht, wird nicht nur Unsinn finden. Aber den einen Sinn gibt es nicht an diesem Abend. Wer sich das Ganze zu einer Geschichte zusammenfügen möchte, wird auf ganz, ganz viele Geschichten treffen, die sich vielleicht wie ein ungemein kompliziertes Puzzle zusammenfügen lassen, was aber ganz schön anstrengend werden könnte.
Am besten dran sind diejenigen, die sich ganz einfach dem audiovisuellen Rausch der hintersinnigen Ideen hingeben möchten. Die kommen bei «Isoldes Abendbrot» voll auf ihre Kosten. Die Suche nach den vielen Sinnen ist Zugabe.
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Christoph Marthaler und Ensemble: «Isoldes Abendbrot». Achtung, nur wenige Vorstellungen wieder am 4. Juni auf der Kleinen Bühne