Ein höllischer Trip ab 14.90 Franken

Zur Hölle fährt man noch früh genug. Wer dennoch nicht warten kann: Eine Lesereise durchs Inferno von Dante Alighieri zu seinem 750. Geburtstag.

So setzte Sandro Botticelli Dantes «Höllenkreise» um (1480–1495). (Bild: ©Museo dell Ufficio, Florenz)

Zur Hölle fährt man noch früh genug. Wer dennoch nicht warten kann: Eine Lesereise durchs Inferno von Dante Alighieri zu seinem 750. Geburtstag.

Grässlich stinkt es in «jenen tiefen Gründen», der Boden brennt wortwörtlich unter den Füssen, und im See, an den man am Ende der Reise stösst, wartet anstelle eines kühlen Bades Satan im ewigen Eis. «Hell Ain’t A Bad Place To Be», beschwörten einst AC/DC. Wer so verwegen daherredet, ist nie mit Dante durchs Inferno gegangen.

Von diesem Ort der ewigen Verdammnis sei kaum mehr die Rede, bedauerte Papst Benedikt XVI. während seiner Amtszeit. Das dürfte sich zumindest in diesem Monat ändern: Vor 750 Jahren wurde Dante Alighieri geboren. Hinterlassen hat er uns die Hölle – oder zumindest seine in der «Göttlichen Komödie» festgehaltene wirkungsmächtige Beschreibung von Luzifers martervollem Reich. Schon der Teaser bei der Startetappe seiner Reise deutet auf alles andere als einen erbaulichen Wochenendtrip hin: «Ich bin der Weg ins wehevolle Tal / Ich bin der Weg zu den verstossnen Seelen / Ich bin der Weg zur Stadt der ew’gen Qual», steht über dem Eingangstor. Wem das zu versponnen ist, dem sei am Ende in aller Deutlichkeit gesagt: «Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren.»

Nicht ohne Führer

Diese Hölle, das muss man wissen, ist eine geologische Anomalie: über mehrere Terrassen – «Kreise» bei Dante – gelangt man immer tiefer hinunter in einen trichterförmigen Schlund. Entstanden ist der Abgrund durch eine prähistorische Urkatastrophe: Der Engel Luzifer rebellierte gegen den Schöpfer und wurde aus dem Himmel gestossen. Sein Sturz auf die Erde war derart heftig, dass er Unmengen an Erdmasse verdrängte, die nun als «Läuterungsberg» auf der gegenüberliegenden Seite in die Höhe ragt. In solche Tiefen, man kennt das von unterirdischen Höhlensystemen, sollte man ohne ortskundigen Führer nicht hinuntersteigen.

Dantes Glück war, dass ihm ein solcher zur Verfügung stand: der römische Dichter Vergil, der seit seinem Tod im obersten Kreis der Hölle, dem «Limbus», dämmert. Im Vergleich zu dem, was später kommt, ist diese Vorhölle ein leichter Aufgalopp. Liebliche Bäche fliessen dort durch grüne Hügel, und die Gesellschaft ist durchwegs erbaulich. Neben Vergil harren dort Aristoteles, Homer und andere vorchristliche Geistesgrössen oder alttestamentarische Propheten, denen nur das Unglück der zu frühen Geburt das Heil der Taufe und somit den Eingang ins Paradies verwehrte.

Auch eine Etage weiter unten bleibt die Gesellschaft illuster: Kleopatra ist dort, Achilles, Helena und all die anderen, «die einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten». Die Bedingungen sind jedoch bereits harscher, Stürme toben und werfen die Unglücklichen hin und her, und Dante schwinden vor Mitleid bereits die Sinne. So geht es, Todsünde für Todsünde, Schritt für Schritt hinunter – im dritten Kreis waten die Gefrässigen durch ein Meer aus Kot, im vierten Kreis wälzen die ehemals Geizigen jammernd Steinlasten auf sich zu und gieren unablässig nach dem Besitz der anderen, und noch eine Stufe weiter breitet sich der Gestank des Sumpfes Styx aus, wo die Zornigen ihrer Wut frönen: «Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte mit Haupt und Brust und Füssen auf sich ein, indem man wild sich mit den Zähnen packte», beobachtet der Dichter.

Bis zu den wahrhaft Bösen

Wer bis hierher durchgehalten hat, den erwarten nun erst die tiefsten Ebenen der Verdammnis. Hier büsst nicht mehr nur, wer aufgrund mangelnder Disziplinierung seiner Schwächen dem Laster anheim gefallen ist. Hier sind die wahrhaft Bösen. Jene, die sich zur Sünde entschlossen haben, statt ihr nur zu verfallen. Dantes Erzählkunst mutiert nun zur rasenden Chronik: Er sichtet den «Strom von Blut, in welchem Jeder siedet, der dort oben dem Nächsten durch Gewaltthat wehe thut», er beobachtet die Diebe, die nach Schlangenbissen zu Staub zerfallen, und er trifft auf den Propheten Mohammed, ein «Stifter von Gezänk und Zwietracht». Neue Konkurrenz duldete die christliche Jenseitslehre nicht, zur Strafe muss Mohammed nun selbst erleiden, wie sich Spaltungen anfühlen: Ein Teufel hackt ihm pausenlos die Glieder ab.

Man kann Dante nachfühlen, dass er in einer Mischung aus Abscheu und Faszination regelmässig zu trödeln beginnt und von seinem Führer zur Eile gerufen werden muss. Doch noch wartet die tiefste Ebene, das Eismeer, an dessen Ende der gefallene Engel sitzt und in seinen drei Mündern die Verräter zermalmt: Judas Iskariot, natürlich, und daneben die beiden Cäsarenmörder Brutus und Cassius.

Ob all der bisherigen Dichtkunst Dantes überwältigt, sind Erwartungen des Lesers an die Schilderung der Schlussszene des «Inferno» natürlich gewaltig. Der Chronist schien dies zu ahnen – und behilft sich mit einem Kniff: Eine Beschreibung Luzifers, «den einst Schönheit schmückte» und der zum Satan wurde, lässt Dante aus. «Wie ich da starr und sprachlos ward vor Grauen, darüber schweigt, o Leser, mein Bericht, denn keiner Sprache lässt sich dies vertrauen.» Ah. Na dann.

Und bis zu Dan Brown

Dantes Reise endete da nicht, sondern führt ihn über das Purgatorium noch hinauf ins Paradies, aber ist es vor allem das «Inferno», dessen drastische Beschreibung den Florentiner Dichter in die Weltliteratur und, natürlich, in die Massenkultur überführte. Dan Brown nutzte den Florentiner als Pate für seinen jüngsten Bestseller, die Computergame-Industrie funktionierte Dante zum kämpfenden Helden auf einer Mission durch die Unterwelt um, und selbst am Brettspieltisch lässt sich der Gang durch die Hölle mittlerweile nacherleben.

All diese Verwertungsprodukte sollen nicht ablenken: man muss schon zum Buch greifen und mit Dante selbst in die Hölle fahren, um ob der Gewalt seines Werks zu erzittern. Auch die ewige Verdammnis ist nicht sicher vor dem Wandel der Zeit  – die Vorhölle hat der Vatikan bereits abgeschafft, und wer weiss schon, ob nicht auch das Inferno selbst einst in einer ähnlichen Rationalisierungsmassnahme geschlossen wird.

  • Anfangen: Dante zum Lesen. Zum Beispiel die Übersetzung von Kurt Flasch, die den Ton flüssig und nüchtern hält und mit einem umfangreichen Kommentarteil die Tiefe des Werks weiter erläutert.

  • Anschauen I: Den Originaltext kann man online vom Schauspieler Roberto Benigni in freier Rezitation geniessen. Grosse Unterhaltung, auch wenn man des Italienischen nicht mächtig ist.

  • Anschauen II: Dantes Schilderungen von der Hölle sind drastisch genug. Dennoch ein Bild davon gemacht hat sich der Brite William Blake – beziehungsweise nicht nur eines, sondern insgesamt 102 Illustrationen. Zum Dante-Jahr sind sie als Sammelband im Taschen-Verlag neu veröffentlicht worden.

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