Marc-Uwe Kling kämpft sich bei tropischen Temperaturen im ausverkauften Parterre tapfer durch sein «Känguru Manifest-3D»-Soloprogramm – und gleicht vorzeitige Ermattungserscheinungen mit entwaffnender Ehrlichkeit aus.
Eines ist schon zu Beginn klar: Dies wird ein heisser Abend. Im wörtlichen wie übertragenen Sinne: Denn die Schlange leichtbekleideter Jugendlicher vor dem Parterre reicht trotz hochsommerlicher Temperaturen bis zur Kaserne. Hunderte sind gekommen, um Marc-Uwe Kling zu sehen, der mit seinen «Känguru Chroniken» und «Känguru-Manifest» nicht nur äusserst scharfsinnige, vor Sprach- und Fabulierlust blühende Bücher geschrieben hat, sondern darin auch eine Art Abgesang auf den Zeitgeist des neuen Jahrtausend auftischt, auf die Generation 2.0, auf die Latte Macchiatto-trinkenden Freelancer, die den ganzen Tag in urbanen Cafés irgendwelche hehren «Projekte» verfolgen und doch fortlaufend an alltäglichen Banalitäten scheitern.
Zu ihnen gehört Marc-Uwe Kling selbst auch, was ihn sympathisch befangen macht. Der Kunstgriff und Kniff seines Erfolgrezepts liegt darin, dass er in seinen Büchern sein eigenes Alter Ego auf ein Känguru treffen lässt, das sein Leben nicht nur aufgrund seiner aberwitzig direkten Art durcheinander wirbelt, sondern ihm – und damit auch Abermillionen von Leidensgenossen – durch seine ironische Distanz den Spiegel vorhält. Lakonisch-lässiger Loser trifft auf imaginären Freund, gebeutelter Grosstadtbewohner auf natürliche Instinkte, Antiheld auf Hofnarr: Diese Konstellation lässt Kling in zig skurrilen, schreiend komischen Szenarien durchspielen und legt damit wie nebenbei die grundlegend-existenziellen, philosophischen Probleme und wahnwizigen Widersprüche unserer Zeit frei.
Kultig cool, Talentiert trocken
Doch Marc-Uwe Kling ist nicht einfach nur ein virtuoser Autor, sondern auch ein höchst talentierter Kabarettist und ein gewiefter Entertainer, dessen Lesungen in Slam-Poetry-Kreisen längst Kultstatus geniessen. So scheint kein Wunder, dass das Parterre im Nu ausverkauft ist. Allerdings gastierte er – noch vor dem grossen Durchbruch – bereits vor zwei Jahren an der St. Bimbam-Lesebühne, und so hakt er gleich zu Beginn des Abends nach, ob einige damals schon im Publikum gesessen seien. Dass nur ein paar vereinzelte Stimmen im vollen Saal dies bestätigen, quittiert er trocken mit «In dem Fall hats wohl nicht so vielen gefallen», und: «Dann hätt ich eigentlich ja gar kein neues Programm schreiben müssen.»
Auch sonst ist bei «Känguru 3D» («Schliesslich sind Fortsetzungen heute immer in 3D») einiges anders als man es von Kleinkunst-Abenden gewohnt ist: Die Handys könne man bei ihm anlassen, schliesslich müsse man heutzutage immer erreichbar sein, und das Publikum solle sich an diesem Abend bitte eingebunden fühlen und ruhig Text-Wünsche anbringen, die er gerne erfülle, sofern er dies eh schon vorgehabt habe.
Locker flockig, Frei Schnauze
Damit bringt er selber frühzeitig auf den Punkt, was seinen Auftritt so reizvoll macht: Auch wenn ein Grossteil des Programms einstudiert sein mag, so kommt es doch natürlich nonchalant, unerschrocken spontan daher – ganz Berlinerisch «Frei Schnauze» eben – und gewinnt damit die Gunst des Publikums im Nu. Bestens zu diesem Konzept passt auch die Tatsache, dass Kling die Lesung nicht nur mit Songs, sondern zusätzlich ständig mit flockig eingestreuten, aber «falsch zugeordneten» Zitaten auflockert: «Ein Freund ist einer, der alles von dir weiss und dich trotzdem liebt – Mark Zuckerberg» etwa, oder «I kissed a Girl and I liked it – Silvio Berlusconi», und – von schallendem Gelächter im Saal gefolgt– «What Shall We Do With The Drunken Sailor»… vom Kapitän der Costa Concordia.
Das ist teils klug, teils träf, manchmal auch etwas platt, was Kling wiederum dazu veranlasst, die maueren Quotes auf der Bühne gleich selbst im wahrsten Sinne des Wortes als «Nicht Witzig» abzustempeln. Bis zur Pause funktioniert dieses Konzept perfekt: An Klavier und Klampfe vorgetragene, lakonische Lieder über die «Kreativen» als postmoderne Selbstausbeuter und über «Optimismus als reiner Mangel an Information» wechseln sich ab mit in gelangweilter Lässigkeit stilsicher vorgetragenen Känguru-Kapiteln und eingestreuten Alltagsanekdoten: Egal in welchem Format, die Lacher sind stets auf Klings Seite.
Viel Schönes, Wenig Luft
Beim zweiten Teil des Programms, der nach demselben Muster funktioniert, kommt der Kän-Guru allerdings dann doch noch ins Schwitzen. Daran sind zuallererst die tropischen Temperaturen im überfüllten Parterre Schuld, die bei Publikum wie Kabarettist zu Ermüdungserscheinungen bis zur Ermattung führen. Zusehends scheint sich Kling dabei durchs Programm zu kämpfen – und diese Angestrengtheit will nicht so recht zur betonten Légère- und Coolness des Vortrags passen. Schliesslich gibt sich Kling – genauso wie sein Alter Ego in seinen Känguru-Anekdoten irgendwann stets die Nase voll hat – keinerlei Mühe mehr, die eigene Überreizung zu verbergen: Erste Verhaspler und Intonationsunsicherheiten stellen sich ein. «Marc-Uwe, mach deinen Scheiss doch alleine» lässt er die nach Luft ringenden Leute passend dazu im Chor rufen.
Am Ende ist die Luft raus und alle Anwesenden scheinen gleichermassen erleichtert, dass man nun endlich raus an die Luft darf. Dennoch bleibt dieser Ausnahme-Entertainer, der als Autor, Sänger wie Stand-Up gleichermassen zu glänzen vermag, in bester Erinnerung – oder wie er es selbst zum Ende singend auf den Punkt bringt: «War viel Schönes dabei.» Denn dass auch Kling als Vertreter einer neuen Coolness im Kabarett zum Schluss des Abends überhitzt von der Bühne taumelt, macht diese humoristische Gallionsfigur der Gegenwart menschlich umso sympathischer.