«American Pastoral»: Ein Knall mit Widerhall im amerikanischen Idyll

Ewan McGregors Regiedebüt erinnert daran, wie brandgefährlich Ressentiments gegen die vermeintliche Elite sind.

Sacht weht das Sternenbanner im Wind, das der Tankwart wie jeden Morgen neben seiner Zapfsäule hisst, in einem weissen und beschaulichen Vorort von Newark, New Jersey – der «Backstein-Stadt», in der US-Autor Philip Roth aufwuchs.

Es ist eine trügerische ländliche Idylle, die der Schriftsteller in seinem 1997 erschienenen Buch «American Pastoral» schildert; eine Idylle aus den 1960er-Jahren, die ihren Bewohnern eines Tages buchstäblich um die Ohren fliegt.

Kaum hat der Tankwart die Türe hinter sich geschlossen, sprengt ihn eine Bombe in die Luft: Der militante Widerstand gegen den Vietnamkrieg fordert auch auf heimischem Boden Opfer.

In Newark kommt es nach der Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King zu Ausschreitungen, Polizei und Nationalgardisten rücken mit Panzerwagen an, um den «Negeraufstand» niederzuschlagen. Überall Aufruhr, und mittendrin der Geschäftsmann Seymour Levov, Spitzname «der Schwede», der sich nicht mehr auskennt.

Ein Jude im Ku-Klux-Klan-Land

Für Levov (Ewan McGregor) ist bislang alles glatt gelaufen: Der blonde, gutaussehende Highschool-Athlet hat eine Schönheitskönigin (Jennifer Connelly) geheiratet und sich erfolgreich in der oberen weissen Mittelschicht etabliert. «Ich weiss nicht, was ihr hier draussen eigentlich wollt», stänkert einzig Levovs jüdischer Vater, von dem der Sohn eine Handschuhfabrik in Newark geerbt hat: «Das ist doch Ku-Klux-Klan-Land.»  

Der Beef zwischen urbaner und ländlicher Befindlichkeit interessiert den Goldjungen allerdings wenig, so lange er sich zum Spass Kühe auf seinem Anwesen halten kann und die Familie ihn bei seiner Rückkehr aus der Stadt freudig erwartet.  

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Allerdings verdunkelt sich der American Dream mit der Geburt von Levovs Tochter: Sie stottert und findet keinen Anschluss, mit 16 Jahren tapeziert sie ihr Schlafzimmer mit Black-Power-Plakaten und beschimpft den amtierenden Kriegspräsidenten Lyndon B. Johnson als Baby-Mörder.

Der Wechsel vom Backfisch zur Aktivistin kommt unvermittelt und lässt sich kaum nachvollziehen – hier macht sich die mangelnde Erfahrung von Regiedebütant Ewan McGregor bemerkbar, der nach 23 Jahren als Schauspieler für «American Pastoral» erstmals auch hinter der Kamera steht.

Um sie von ihren konspirativen Ausflügen nach New York abzuhalten, ermuntert Levov seine Tochter (Dakota Fanning) vor Ort für ihre Überzeugungen zu kämpfen und den Krieg sozusagen nach Hause zu tragen. Kurz darauf explodiert die Tankstelle, worauf sich die Teenagerin als Hauptverdächtige in Luft auflöst. Zurück bleibt Levov mit einer zerrütteten Ehe und der Frage, wie das alles nur passieren konnte.

Menschlicher Molotowcocktail

Die Frage ist aktuell, auch wenn das Drama eher kompetentes Schauspielerkino als ein zwingendes Sittenbild bietet. Doch die Gegenwartsbezüge sind vorhanden: das Stadt-Land-Gefälle, der Rassismus, die Abstiegsängste als Folge der Globalisierung, der Hinweis auf den Watergate-Abhörskandal und das verlorene Vertrauen in die politische Kaste. Die Verführbarkeit der Mittelklasse.

Vor allem aber ist da diese unheimliche Wut, die ein Loch in die Welt sprengt, ohne sich um die Folgen zu kümmern.

Fünfzig Jahre nach der Handlung von «American Pastoral» ist wieder ein Sprengsatz gegen das «Establishment» geflogen – ein «menschlicher Molotowcocktail», wie US-Filmemacher Michael Moore den neuen Präsidenten nennt. Und der Schaden ist nicht abzusehen, nicht einmal im Kino.

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