Vor rund sechzig Jahren kamen «Die Zehn Gebote» von Cecil B. DeMille ins Kino. Die Kraft dieses epischen Gewaltfilms, die Gewalt wurde für den Regisseur zu viel: Noch während der Dreharbeiten erlitt DeMille einen Herzinfarkt. So wie Mose hatte auch er das gelobte Land gesehen, aber hinüber reichte es ihm nicht mehr.
Es geht ums ganz Grosse, ums Endgültige, das war Cecil B. DeMille bewusst, und deshalb musste er zuerst vor sein Publikum treten.
«Wir haben ein ungewöhnliches Thema vor uns», sagt DeMille in der Ouvertüre zur monumentalsten seiner Bibelverfilmungen, «die Geschichte von der Geburt der Freiheit. Sollen Menschen nach göttlichem Recht leben oder unter den Peitschen eines Diktators?», fragt DeMille rhetorisch, bevor er seinen fast vierstündigen Leinwanddonner vom Stapel lässt. Mose. Ramses. Biblische Plagen. Die Zehn Gebote. Und die sagenhafte Teilung des Roten Meeres auf der Höhe der damaligen Filmkunst.
«Freie Seelen unter Gott»
60 Jahre alt ist dieser in mehrfacher Hinsicht kolossale Bibelfilm, der auch dieses Jahr zur Osterzeit nicht im Fernsehprogramm fehlen darf. Die Bildschirme gehören in der Karwoche üblicherweise der neutestamentlichen Botschaft von Kreuzigung und Auferstehung, aber DeMilles Kracher hat zu Recht seinen Platz. Er erzählt die Kerngeschichte des «Exodus», des zweiten Buches des Alten Testaments: der Auszug der Hebräer aus Ägypten und die Verkündigung der Zehn Gebote des hebräischen Gottes an sein Volk durch den Propheten Mose.
Am Sederabend wird dieses Ereignisses gedacht, das für das Judentum konstitutiv ist. Und der Sederabend leitet das Pessachfest ein: jenes Fest, für das Jesus gemäss christlicher Überlieferung auf dem Rücken eines Esels nach Jerusalem und schliesslich seiner Kreuzigung entgegenritt.
Um die Sprengung von Ketten also geht es an beiden Feiern – Pessach erinnert an die Befreiung aus der Sklaverei, das Osterfest an die Erlösung aus der Sünde. Hervorragende Stoffe für eine Filmindustrie wie Hollywood, die 1956 längst vom antikommunistischen Furor der McCarthy-Ära befallen war. «Gehören Menschen dem Staat, oder sind sie freie Seelen unter Gott? Dieser Kampf dauert bis in unsere heutige Welt an», warnte DeMille messianisch in der Ouvertüre.
Patriotische Loyalitätsschmonzette
Denn dafür brannte sein Mose, den der braungebrannte Charlton Heston mit aufrechtem Gang, stechendem Blick und wohldosiertem Pathos in der Stimme verkörperte: für den Einsatz für das Gerechte in einer Welt der Tyrannei und Unzucht.
Konsequenterweise behielt DeMille (anders als Ridley Scott mit seinem Remake 2014) nicht nur das tosende Spektakel im Blick, sondern sorgte sich, ansatzweise zumindest, um inhaltliche Schärfe: Neben dem Alten Testament zog er für seine Story Quellen der antiken Geschichtsschreibung, der rabbinischen Auslegeliteratur und aus dem Koran herbei, mit seinem Filmtross flog er für einige Aufnahmen an den Originalschauplatz, die Sinai-Halbinsel, wo die Luftwaffe der ägyptischen Armee für den dramaturgisch notwendigen Wind in den Wüstendünen sorgte. Und die Zehn Gebote liess DeMille in althebräischen Lettern aus dem 10. Jahrhundert vor Christus meisseln.
«Die Zehn Gebote» ist trotz dieser Details in erster Linie eine religiös-patriotisch verquaste Loyalitätsschmonzette, überdauert hat jedoch, auch dank mehrfachem Remastering, die visuelle Kraft dieses epischen Gewaltfilms. Eine Gewalt, die für seinen Schöpfer zu viel wurde: Noch während der Dreharbeiten erlitt DeMille einen Herzinfarkt, und als er mit «Die Zehn Gebote» im Spätherbst seiner Filmkarriere endlich den grossen, alles überrollenden Kassenschlager einfuhr, konnte er die Früchte nicht mehr ernten. Er starb 1959 im Alter von 77 Jahren.
Wie Mose hatte er das gelobte Land noch gesehen, doch hinüber reichte es ihm nicht mehr.