Ein Matisse mit vielen kleinen Löchern

Drei Jahre lang wurde im Untergeschoss der Fondation Beyeler für die Besucher sichtbar der Scherenschnitt «Acanthes» von Henri Matisse restauriert. Nun sind die Arbeiten beendet, und die Beteiligten freuen sich nicht nur über das neu erstrahlende Werk, sondern auch über die Erkenntnisse, die gewonnen werden konnten.

Die Restauratoren Markus Gross (r.) und Stephan Lohrengel an der Arbeit. (Bild: Andri Pol, © Succession H. Matisse, )

Drei Jahre lang wurde im Untergeschoss der Fondation Beyeler für die Besucher sichtbar der Scherenschnitt «Acanthes» von Henri Matisse restauriert. Nun sind die Arbeiten beendet, und die Beteiligten freuen sich nicht nur über das neu erstrahlende Werk, sondern auch über die Erkenntnisse, die gewonnen werden konnten.

Normalerweise verrichten sie ihre Arbeit im stillen Kämmerlein, irgendwo verborgen in jenen Räumen eines Museums, die kein Besucher je betritt: die Restauratoren. In der Fondation Beyeler aber erhielt das Publikum während der vergangenen drei Jahre Einblick in die Restaurierungsarbeiten an Henri Matisse‘ «Acanthes». Durch eine Glasscheibe konnte den Restauratoren zusehen, wer Lust verspürte. Nun ist die Arbeit vollendet, der Scherenschnitt des französischen Künstlers erstahlt in neuem Glanz, in neuem Rahmen, und bald wird er sich dem Publikum wieder so präsentieren, wie dieses es gewohnt ist: An einer Wand in einer Ausstellung hängend.

Es sei ein Freudentag, bemerkte Sam Keller, der Direktor der Fondation Beyeler, bevor die Restauratoren und Kuratoren am Mittwoch das Wort ergriffen und erklärten, was sie in den letzten drei Jahren erarbeitet hatten, seit Keller sich mit Dietrich von Frank, dem Leiter Art International bei der Nationale Suisse, bei einem Mittagessen über ein gemeinsames Projekt verständigt hatten. Anliegen der Nationale Suisse war damals die Kunstförderung – jedoch sollte diese nicht über die übliche Art von Sponsoring geschehen, sondern man suchte die besondere Idee und beschloss schliesslich die Zusammenarbeit bei der Restaurierung des Matisse-Werks.

Transportschäden

«Auch einen Kunstversicherer interessiert die Frage der Konservierung eines Kunstwerks», betonte von Frank. Kunst sei dazu da, betrachtet zu werden, sie solle möglichst viele Leute erreichen, und dazu müsse sie reisen. Doch gerade ständige Transporte würden Kunstwerken besonders zusetzen.

Auch beim 1953 entstandenen «Acanthes» stellten die Restauratoren vor allem Schäden fest, die wohl durch mehrmaliges Abnehmen vom Holzrahmen und Zusammenrollen an den Rändern entstanden waren. Hier waren kleinere Eingriffe nötig.

Ansonsten jedoch waren die Fachmänner über den guten Zustand des fast 60-jährigen Papierbildes überrascht. Zwar hatte man bei der wissenschaftlichen Untersuchung, die fast zwei der insgesamt drei Jahre in Anspruch nahmen, mehr als 1000 kleinste Löcher im Papier gefunden sowie Falten und farbliche Veränderungen, doch für alles fand sich eine Erklärung in der Arbeitsweise des Künstlers. «Es bedeutete eine sehr aufwändige Recherche, um herauszufinden, wie Henri Matisse arbeitete», erklärte Markus Gross, der zusammen mit seinem Kollegen Stephan Lohrengel für die Restaurierung verantwortlich zeichnet.

Unter der Oberfläche

Die Arbeitsweise, wie Matisse seine Scherenschnitte oder «Papiers découpés» herstellte, war bislang kaum erforscht. Das Projekt «Acanthes» hat somit auch wichtige kunsthistorische Ergebnisse geliefert. «Und wir Kunsthistoriker», so der zuständige Kurator Ulf Küster, «hechelten in diesem Fall den Restauratoren hinterher.» Es sei sehr spannend gewesen, mal nicht nur die Oberfläche eines Bildes genau zu analysieren, sondern ein paar Schichten tiefer anzusetzen.

Matisse, der in seinem späten Leben in der Mobilität sehr eingeschränkt war, liess offenbar von seinen Assistentinnen Papier einfärben, das er dann zur gewünschten Form schnitt. Die Assistentinnen wiederum pinnten die ausgeschnittenen Teile nach seinen Angaben an die Wand, bis die Komposition perfekt war – daher rühren die unzähligen Einstichlöcher. Schliesslich wurden die Papierformen auf grosse Papierbahnen geklebt und diese wiederum auf eine Leinwand aufgebracht. Beim Schneiden sei er nicht, wie man bisher dachte, meditativ, sondern im Gegenteil sehr zügig vorgegangen, so dass immer wieder mal das Papier einriss oder unschöne Ecken entstanden.

In der Konsequenz dieser Erkenntnisse wurden die Löcher und kleinen Papierrisse von den Restauratoren nicht zum Verschwinden gebracht. Sie sind immer noch hervorragend sichtbar – vorerst in jenem Raum im Untergeschoss der Fondation Beyeler, wo das Bild schon die letzten drei Jahre verbrachte. Und ab dem Jahr 2013 dann wieder im Erdgeschoss, als Teil der Sammlungsausstellung.

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