Ein Missing Link der Literatur

Das Projekt Titan ist ein Offspace für Literatur und schafft neue Räume für Autoren. Diese lesen am Freitag im «deuxpiece» Ausschnitte ihrer Werke vor.

Online zu lesen, vor Ort vorgelesen: Ein Text von Simon Froehling.

Das Projekt Titan ist ein Offspace für Literatur und schafft neue Räume für Autoren. Diese lesen am Freitag im «deuxpiece» Ausschnitte ihrer Werke vor.

Wer Musik macht, wird Gehör und Publikum finden – auch ohne Plattenvertrag oder grosse Konzertbühnen. Sei es in einem Kaffeehaus, einer Bar oder auch einfach unter freiem Himmel. Und auch die Kunstszene hat sich jenseits der Galerienlandschaft in sogenannten Offspaces Räume geschaffen, wo junge Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten vorführen können, auch wenn sie noch bei keiner Galerie untergekommen sind. Hier wird Kunst nicht verkauft, sondern gepflegt, Möglichkeiten werden durchgespielt und die so wichtigen Kontakte entstehen hier. Der Offspace ist das fehlende Glied zwischen Künstler, Publikum, Sammler und Galerie.

Was also in diversen Disziplinen funktioniert, findet in der Literaturszene kaum oder nur in rudimentären Ansätzen statt. Lange war es so, dass junge Autorinnen und Autoren entweder einen Verlag finden müssen, was unter Umständen etwa so schwer ist wie die Suche nach Perlen, oder aber ihre Worte blieben zu Hause in der Schublade.

Diesem Umstand wollen die drei Autorinnen Eva Seck, Barbara Schuler und Gianna Molinari und der Künstler Raphael Bottazzini Abhilfe schaffen. Das Programm des von Bottazzini gegründeten Offspaces «Artachment» soll nun um die Disziplin Literatur erweitert werden und damit jungen Schriftstellern die Möglichkeit bieten, sich unabhängig von Verlagen und Literaturtagen eine Plattform zu schaffen.

Der Grundgedanke besteht darin, die Wege und Strömungen innerhalb der Kunstszene auf die Welt des Schriftguts zu übertragen. Was also das «Artachment» für den bildenden Künstler macht, soll die Plattform «Titan» für junge Autorinnen und Autoren leisten: Räume schaffen, Kontakte herstellen, die Kunst im Leben aufgehen lassen.

Keine herkömmliche Lesung

«Ich frage mich manchmal, wieso Literatur so viel weniger ’hip’ ist als Kunst. Sprache hat nämlich viel zu bieten; Sinnliches, Überraschendes, Unterhaltsames», sagt Eva Seck, die zusammen mit Barbara Schuler und Gianna Molinari bestimmt, welche Texte auf die Titan-Bühne gehören. Mit der ersten Lesung im Offspace «deuxpiece» wollen die drei zusammen mit Bottazzini einen Anlass schaffen, der sich von herkömmlichen Lesungen unterscheidet. «Wir wollen junge Leute erreichen, die bis anhin nicht an Lesungen gegangen sind», meint der Initiator Bottazzini.

Innerhalb einer Halbjahresperiode werden 14 Autorinnen und Autoren auf der Titan-Plattform aufgenommen und deren Texte auf der Internetseite publiziert. Acht von ihnen lesen heute Freitag im «deuxpiece» Ausschnitte ihrer Werke vor. In ihrer Unterschiedlichkeit bilden sie einen bunten Blumenstrauss. Da sind unbeschriebene Blätter, wie Philippe Kottoros, der seine Lyrik aus den Tiefen des Internets schreibt und dabei auch die Aussenlinie der Offspaces tangiert. Da ist die erfahrene Dragica Rajcic, die sich mit ihren Texten – auch sprachlich – im Spannungsfeld der Integration bewegt. Das ist auch die Mitbegründerin Eva Seck, deren Lyrik sich mantraähnlich bewegt und dreht. Und da ist auch Patric Marino, der kürzlich seinen ersten Roman «Nonno spricht» – eine Erzählung von einem Besuch bei seinen Grosseltern im italienischen Süden – veröffentlicht hat und die Lobeshymnen wohl mittlerweile auswendig mitsingen könnte.

Diese Mischung aus unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren, Lyrikern und Wortkünstlern macht das Rezept der Titan-Plattform und -Lesung vorerst einzigartig. Und dass der Literatur-Offspace vielleicht der einen oder dem anderen eine Türe öffnet, ist zu hoffen.

  • Erste Titan-Lesung am Freitag, 29.6., 20 Uhr (Türöffnung 19 Uhr) mit Jan Bachmann, Patric Marino, Philippe Kottoros, Dragica Rajcic, Bettina Gugger, Eva Seck, Gianna Molinari, Barbara Schuler. Im deuxpièce, Kannenfeldstr.22, Basel.

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