Am Open Air Basel gibt es eine Weltpremiere zu erleben: Zum ersten Mal sorgt eine Bassbremse dafür, dass sowohl Besucher wie Anwohner den Abend in vollen Zügen geniessen können. Christian Frick hats erfunden.
Ein bedrohliches Donnern rollt über den Kasernenplatz. Ein Klang, wie er in Filmen gerne die Ankunft des Bösen untermalt. Für Menschen, die nahe an Clubs oder Festivals wohnen, sind es diese tiefen Frequenzen zwischen 30 und 100 Hertz selbst, die Böses bedeuten. Sie dringen mühelos durch Fenster wie Mauern und rauben den Schlaf.
Doch damit ist jetzt Schluss. Eine Basswalze stellt sich fortan solchen Klängen in den Weg. Dank Christian Frick. Dieser kämpft mit seiner Anlage von 36’000 Watt gegen die 60’000 Watt von der Bühne des Open Air Basel. Das Schlachtfeld ist die grüne Wiese hinter dem Festivalgelände. Das Festivalpublikum bekommt vom Wellengemetzel somit nichts mit. Die Anwohner bestenfalls auch nicht.
Schall gegen Schall
«Wir werden dem Bass sicher 90 Prozent Energie entziehen», sagt Frick, «wenn alles gelingt sogar bis zu 99 Prozent.» Das wäre eine Emissionssenkung von bis zu 20 Dezibel, also ein siebenmal geringerer Schall-Intensitätspegel oder, psychoakustisch subjektiv beurteilt, weniger als ein Viertel so laut wie das ungefilterte Ursprungssignal.
Klingt kompliziert. «Die Idee des Antischalls ist eigentlich simpel», erklärt Frick. Man nutze die Technik etwa in Telefonen, damit man nicht dauernd sein Echo höre. Fragt man die Tontechniker der Kaserne, die Frick umkreisen wie einen Guru, ob sie sein Wirken verstünden, schütteln jedoch auch sie nur den Kopf und starren fasziniert in die zwei Monitore, die zu Fricks Apparatur gehören. Der ergänzt: «Die Umsetzung des Antischalls im Feld ist dagegen beliebig komplex und klappte bisher in 90 Prozent der Versuche nicht zufriedenstellend.»
Die abfallenden Messkurven vor Ort bestätigen: «Es funktioniert!»
Zweieinhalb Jahre hat Frick an seinem neuen Anti-Bass-Algorithmus gerechnet. Vor zwei Monaten feierte er sein mathematisches Heureka. Im Labor konnte er Algorithmus und Apparatur bereits testen, in freier Wildbahn ist sie jedoch zum ersten Mal im Einsatz. Eine wissenschaftliche Premiere, weltweit einzigartig. Entsprechend stolz leuchten die Augen über dem Rauschebart. «Sonst entwickelt keiner in dieser Richtung. Dabei ist das Potential da und wir beweisen nun, dass es auch funktioniert.» Die Freude ist gross.
Bassbremser wider Natur
Eigentlich schraubt der Bassbremser des Open Air Basel die Tiefen ja lieber so laut wie möglich. Mit seinem Musikprojekt Frachter frönt Frick dem low end drone und sorgt an den Reglern jeweils dafür, dass die langsamen, tiefen Klänge eines Kontra- und E-Basses brachiale Lautstärken von 140 Dezibel erreichen. Legal gehen solche Konzerte nur in einem künstlerischen Kontext. Aus gutem Grund: «Bei dem abartigen Schalldruck fällt das Atmen schwer und du siehst nicht mehr klar.» Für manche Zuhörer kann der Sound, den Fricks Trio produziert, auch ein Genuss sein: Er entspannt den Rücken und fördert die Durchblutung. «Aber eigentlich geht das gar nicht», sagt Frick.
Es ist einer seiner Lieblingssätze. «Geht gar nicht», ist für ihn fast so etwas wie ein Arbeitscredo. So modifizierte Frick für eine Idee der Künstlerin Hannah Weinberger auch Schallkanonen der Armee und beschoss damit Steine bis sie sangen. Oder er liess eine Mauer in der Kunsthalle Basel schwingen wie eine Boxenmembrane. Auch da hiess es erst: unmöglich. «Ich habe eine Aversion gegen die Komfortzone, da lernt man nichts über sich. Darum treibt mich die Lust am Scheitern.»
«Makellosen Pop schleifen, der jeden Abend gleich klingen muss, ist auch geil.»
Die Herausforderung weckt das akademische Denken beim Molekular- und Biophysiker mit ETH-Abschluss. An der technischen Hochschule forschte der in Bad Ragaz aufgewachsene Naturwissenschaftler nach dem Studium an Röntgenkristallographie, «doch eine Stelle bei Novartis oder bei einem anderen Global Player hätte ich nie antreten können.» Lieber arbeitete Frick während Jahren als Hausmischer in der alternativen «Roten Fabrik» in Zürich und begleitete Bands auf Touren.
Dort lernte er, dass Bass nicht nur für Publikumsfreude sorgt, sondern zugleich der Grund für fast alle Beschwerden ist, mit denen sich Veranstalter und Bands rumschlagen müssen. Frick versteht das: «Bei der Verdichtung, Gentrifizierung und Mischnutzung in den Städten beisst sich Wohn- und Musikkultur. Doch Auflagen und Verbote mag ich nicht. Ich suche lieber Lösungen.»
Alle wollen weniger Bass
Vor ein paar Jahren begann er, für seine Bassbremse zu forschen. Das Geld dazu fehlte ihm allerdings. Die Lösung: Er schrieb einen «frechen» Brief an diverse Stadtbehörden mit dem Schlussgruss: «Wir würden uns freuen, nichts von Ihnen zu hören!»
Zürich wie Zug unterstützen sein Wirken, und auch Basel will mit seinem Wissen Lärmemissionen reduzieren. Die Nachfrage steigt enorm. Startete er seine Firma Rocket Science 2010 als selbstständiger Nebenerwerb, beschäftigt die GmbH heute fünf Ingenieure, Elektroniker und Akustiker. Anfragen kommen inzwischen aus ganz Europa. Gerade kommt Frick vom Boomtown Festival in England zurück, wo 127 Bühnen bespielt werden. Dort sollen seine Raketenwissenschaftler nächstes Jahr wirken.
Auch wenns unübersichtlich wird: Christian Frick behält die Ruhe. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Frage, ob das überschaubare Open Air Basel da noch reizvoll ist, erübrigt sich, wenn man sieht, wie er sich über die Weltpremiere seines neuen Algorithmus freut. Noch erstaunlicher ist dagegen die Ruhe, die er ausstrahlt. Egal, wie viele Tontechniker ihn umringen. Egal, dass man infolge einer Flugverspätung etwas in Verzug ist. Und auch dass parallel ein zweites Team an einem anderen Schweizer Festival arbeitet und per Telefon ständig Probleme gelöst haben will, lässt Frick nie hektisch werden. «Stress? Das ist mein Herzding! Da scheiss ich auf die Work-Life-Balance.»
Zur Entspannung geht Frick, der nebenbei in Zürich noch zwei Fachschulen für Ton und Akustik gründete und dort auch doziert, mit einer Band auf Tour. «Heute mische ich nur noch, worauf ich Lust habe.» Seine beiden Wunschbands könnten unterschiedlicher kaum sein. Der experimentelle Zürcher Fai Baba macht Sinn, die Soloband der ehemaligen Berner Lunik Sängerin Jaël dagegen erstaunt. «Makellosen Pop schleifen, der jeden Abend gleich klingen muss, ist auch geil», begründet Frick.
Seinen Musikgeschmack nennt er denn auch exotisch. Klar sind da die deftigen Drone-Doom-Geschichten wie Sunn O ))), sein Lieblingssong ist aber «Toxic» von Britney Spears, wegen der Produktionsdetails. «Nenn es ruhig eine déformation professionelle», sagt er. Die heutige Definition des englischen Begriffs Nerd ist für Typen wie Frick heute jedoch geläufiger.
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Die Bassbremse-Weltpremiere lässt sich ab heute Freitag am Open Air Basel erleben.