Im Kinofilm «The Iron Lady» vermag vor allem Hauptdarstellerin Meryl Streep zu überzeugen.
Im Grunde ist es eine einzige Szene im Kinofilm «The Iron Lady», die uns die Motivationen der Margaret Thatcher erklären soll: wie die junge Frau während eines Bombenangriffs im Keller des Elternhauses kauert und vom Vater nach oben geschickt wird, um die Butter abzudecken. «Krämerseele» wird Margaret Thatcher Jahre später genannt. «Vernünftiges Haushalten» nannte es die britische Premierministerin selbst.
Sie habe keinen politischen Film machen und nicht über Thatchers politisches Verhalten urteilen wollen, sagte die britische Regisseurin Phyllida Lloyd anlässlich eines Interviews zur Premiere. Und doch hat sie einen parteiischen Film gemacht – parteiisch darin, dass er fast nur die Person hinter der Politikerin zeigt. Zum Vorteil gereicht das dem Streifen jedoch nicht.
Hervorragend gespielt
Der Film zeichnet drei Tage im Leben der 86-jährigen Ex-Premierministerin auf. Die alte Dame sitzt allein in ihrem grossen Haus und spricht mit ihrem Mann, der acht Jahre zuvor verstorben ist. Auf ihren Kampf, diese Halluzinationen loszuwerden, fokussiert der Film. Dass dies den Betrachter nicht langweilt, liegt nur am hervorragenden Spiel von Meryl Streep, die tief in die Haut der «eisernen Lady» schlüpfte. Vermag die Handlung gerade nicht zu fesseln, so versucht man hinter den künstlichen Falten die Schauspielerin zu erkennen – nur um zu scheitern. Die Maske hat hier wirklich grandiose Arbeit geleistet.
Doch wer glaubte, im Kinosessel etwas über Thatchers Politik oder die gesellschaftliche Situation der Zeit zu erfahren, wird enttäuscht. Elf Jahre Regierungszeit und der Weg dahin werden in kurzen Rückblenden erzählt, durch die Augen einer dementen alten Frau gesehen, und dementsprechend verklärt. War es in der Tat so, dass Maggie Thatcher wenige Wochen vor ihrem Rücktritt am KSZE-Gipfel in Paris wie ein Star umringt von den männlichen Kollegen aus aller Welt zum Sitzungsort stolzierte? Säumten wirklich rote Rosen ihren Auszug aus Downing Street 10, und weinten alle Hausangestellten?
Oberschichtsfrau
Was Thatcher erreicht hat (oder eben auch nicht), wird nicht deutlich. Der Film zeichnet das Porträt einer Oberschichtsfrau, die sich nicht für Klassenunterschiede interessierte – da hilft auch der Verweis auf den Umstand, dass Thatcher zu jeder Zeit den aktuellen Butter- und Milchpreis wusste, nicht, um ihre vermeintliche Nähe zum Volk zu demonstrieren. Dieses erscheint nur in Randnotizen, meist als demonstrierende Masse in dokumentarischem Filmmaterial. Am meisten Platz wird dem Falklandkrieg eingeräumt – jener kurzen Episode in Thatchers Regierungszeit, in der sie für einmal das Volk auf ihrer Seite wusste.
Ansonsten ist das liebste Bild des Filmes jenes einer Frau unter Männern, wodurch dem vielgehörten Vorwurf Rechnung getragen wird, Thatcher habe diese Männerdomäne nur erobern können, weil sie selbst wie ein Mann agiert habe. Lloyd versucht dieses Bild zu entkräften, indem sie auch die weibliche Seite der grossen Frau zeigt, die sich aber auf wenige Szenen der Schwäche konzentrieren. Das Bild einer liebevollen Ehefrau oder Mutter kommt jedoch nicht vor.
Lloyds Porträt dieser Politikerin, die grosse politische Änderungen herbeiführte, die aber auch eine Gesellschaft zu spalten wusste, ist sehr pathetisch geworden. Kameraführung und musikalische Untermalung tragen ihren Teil dazu bei. «The Iron Lady» ist ein Film, der eindrucksvolle Bilder und Metaphern liebt. Wäre das brillante Spiel der Hauptdarstellerin Meryl Streep nicht hervorzuheben, würde man jedoch nicht viel verpassen, wenn man dem Kino fernbleibt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12