Ein Poker um Prestige und Privilegien

Mit der Arte Povera aus der Sammlung Goetz gibt das Kunstmuseum Basel erstmals einer Privatsammlung ungeteiltes Gastrecht im Haupthaus. Für öffentliche Museen sind solche Gastspiele reizvoll, aber nicht unproblematisch.

Michelangelo Pistoletto (Bild: Wilfried Petzi, ©Sammlung Goetz)

Mit der Arte Povera aus der Sammlung Goetz gibt das Kunstmuseum Basel erstmals einer Privatsammlung ungeteiltes Gastrecht im Haupthaus. Für öffentliche Museen sind solche Gastspiele reizvoll, aber nicht unproblematisch.

Museen sind arm dran. Während die Ansprüche des Publikums und die Forderungen der Politik an die Eigenwirtschaftlichkeit stetig steigen, laufen viele Betriebe finanziell auf dem Zahnfleisch. Kontakte zu potenten Privatsammlern können da Gold wert sein: Diese winken mit grossen Scheinen und mit exklusiver Kunst, und welches Museum kann widerstehen, wenn sich auf diese Weise das Programm oder gar die Sammlung beleben lässt?

Dass solche Paarläufe nicht nur philanthropischer Noblesse entspringen, liegt auf der Hand. Während die Museen im besten Fall mit wenig Aufwand zu einer attraktiven Schau kommen, erhalten die Leihgeber den musealen Ritterschlag und erhöhen den Verkehrswert ihrer Sammlung. Besonders in den USA ist es Courant normal, dass treue Geldgeber (Trustees) gelegentlich auch ihre Schätze ins Rampenlicht stellen dürfen.

Doch der Flirt mit Privaten ist besonders für staatliche Institutionen delikat. Nicht nur, weil oft genug die konservatorischen «Nebenkosten» meist bei den Institutionen hängen bleiben. Als unabhängige Beglaubigungs­instanz beruht deren Arbeit zudem auch auf Expertise statt auf persönlichen Vorlieben. Diktieren nicht inhaltliche Überlegungen das Programm, erweist sich der Schulterschluss als abgekartetes Spiel um Pfründe und Privilegien, leidet die Glaubwürdigkeit.

Quotendruck, gegen null tendierende Ankaufsetats und «Standortwettbewerb» im Kulturbetrieb haben zuletzt die Position der Privatsammler gestärkt. Sie geben den Takt vor, sie setzen Trends, sie werden umschwärmt und umworben. Fühlten sich Mäzene einst «ihrem» Museum verpflichtet, fordern sie heute materielle oder ideelle Gegenleistung. Kommt ein Institut den Ansprüchen nur ungenügend nach, drohen sie mit dem Abzug ihrer Bestände und dem Gang zur Konkurrenz (vgl. Kasten). Spätestens seit erwiesen ist, dass sich Sammler Charles Saatchi die Präsentation seiner «Sensation» im Brooklyn Museum New York 160’000 Dollar kosten liess, hat die Liaison ihre Unschuld verloren.

Kapriziöse Sammler

Nur selten funktioniert der Paarlauf so reibungslos wie in Basel, wo Öffentliche Kunstsammlung und Emanuel-Hoffmann-Stiftung seit Menschengedenken in eingetragener Partnerschaft leben, ohne dass ein gröberes Zerwürfnis dokumentiert wäre. Was nicht bedeutet, dass man nicht auch in Basel Erfahrungen mit kapriziösen Privatsammlern gemacht hätte – man denke an den Abzug der Sammlung Staechelin 1997–2002 oder das Tauziehen um die Sammlung Im Obersteg.

Wie man lauthals auf Brautschau geht, macht derzeit das Kunsthaus Zürich vor. Die Sammlung Bührle, die Sammlung Merzbacher, zuletzt die Sammlung Nahmad – das Kunsthaus hat in der Ära Christoph Becker eine nie gesehene Nähe zum privaten Sammlermarkt vollzogen. Der Erfolg lässt die Kritik verstummen: Die Sammlung Bührle wird 2017 den (von der Stiftung E. G. Bührle mitfinanzierten) Erweiterungsbau beziehen. Auch Merzbacher und Nahmad zeigen sich «offen für eine langfristige Lösung» – freilich noch ohne sich festzulegen.

Zwar entsteht dank der Bührle-Bestände einer der bedeutendsten Impressionisten-Schwerpunkte ausserhalb von Paris. Zugleich bleiben die Bestände strikt von jenen des Kunsthauses getrennt – was kunsthistorisch gesehen ein Unsinn ist und etwa so spannend, als würde man beim olympischen 100-Meter-Finale die Athleten einzeln starten lassen. Das würde wohl auch bei einem Deal mit der Sammlung Nahmad nicht anders sein: «Wir schreiben der Familie nichts vor, sondern machen lediglich ein Angebot, indem wir uns mit einem spezifischen Konzept, unserem Know-how, unserer Geschichte und mit unserem Publikum zur Verfügung stellen», lässt sich der strahlende Direktor beim Sponsor Credit Suisse zitieren. Kommt ein Museum, das sich Privaten «zur Verfügung stellt», seinem öffentlichen Auftrag ausreichend nach? Was ist wichtiger – Qualität, Erkenntnis oder Quote?

Das Kunstmuseum Basel übt weit mehr Zurückhaltung. Man scheint zu wissen, dass öffentliche Verantwortung nicht durch privates Engagement ersetzt werden kann. Umso überraschender nun das private Gastspiel aus München, zumal es für Arte Povera in Basel keine nennenswerten Andockstellen gibt und der Bestand 1997–1999 schon einmal auf Wanderschaft war (Bremen, Nürnberg, Köln, Wien, Göteborg und München). «Wir feiern nicht eine Privatsammlung, sondern stellen die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Arte Povera vor», stellt Direktor Bernhard Mendes Bürgi klar. «Die Sammlung Goetz ist dafür schlicht die beste Quelle.» Ein Paradigmenwechsel im Hinblick auf den Erweiterungsbau, der im Kooperationsmodell wohl leichter zu bespielen wäre, sei das nicht.

Tatsächlich ist die Qualität und Integrität der Sammlung Goetz über alle Zweifel erhaben. Ein seriöses Projekt ohne unlautere Motive. Ob für einen zeitgemässen Blick auf die Kunstrichtung nicht gleichwohl ein offenes Ausstellungskonzept mit Werken unterschiedlicher Herkunft fruchtbarer wäre, bleibe allerdings dahingestellt. Zumal der bedeutendste öffentliche Arte-Povera-Bestand ganz in der Nähe lagert, nämlich im Kunstmuseum Liechtenstein. Gut, dass diese Werke für Basel gar nicht zur Verfügung gestanden wären: Sie weilen seit letzter Woche in Weimar. Als in sich geschlossenes Gastspiel der fürstlichen Sammlung.

Arte Povera. Der grosse Aufbruch, vom 9. Sept. bis 3. Febr. im Kunstmuseum Basel. www.kunstmuseumbasel.ch

Auf dem Sprung
Nicht immer ziehen Sammler und Museen am selben Strick. Einige Beispiele aus naher Umgebung und jüngster Zeit.
• Proteste verhindern, dass Friedrich Christian Flick 2001 in Zürich ein Museum eröffnet. 2004 findet er im Hamburger Bahnhof in Berlin eine Bleibe.
• 2003 verspricht Hermann Gerlinger seine «Brücke»-Sammlung dem Kunstmuseum Bern. Wenig später überlässt er die Werke der Galerie Moritzburg in Halle, von wo er sie vorher abgezogen hatte.
• Mit dem Abzug der Klee-Bestände 2005 verliert das Kunstmuseum Bern seine wichtigste Attraktion. Heute steckt das Zentrum Paul Klee so tief in den roten Zahlen, dass laut über eine Wiedervereinigung nachgedacht wird.
• Das Kunstmuseum Bonn steht 2006 vor leeren Räumen, als die Sammlung Grothe nach Duisburg überführt wird. Das Gebäude war eigens auf die Sammlung zugeschnitten worden.
• Nach einem Richtungsstreit drohte Erich Marx 2007 nicht zum ersten Mal mit dem Abzug seiner «unbefristeten Dauerleihgabe» aus dem Hamburger Bahnhof in Berlin. 1996 hatte der Sammler denselben Bestand von Mönchengladbach nach Berlin verlegt.
• 2012 hat der Schweizer Sammler Gérard J. Corboud mit dem Abzug seiner Werke aus dem Wallraff-Richartz-Museum gedroht, sollte der Erweiterungsbau noch lange auf sich warten lassen. Der Sammlung wurde umgehend mehr Raum zugestanden.

 

Michelangelo Pistoletto gehört zu den bekanntesten Vertretern der Arte Povera – einer Bewegung von Künstlern, die in den 1960er-/1970er-Jahren typischerweise Installationen aus alltäglichen Materialien schufen. Foto: Wilfried Petzi, ©Sammlung Goetz

Der Flirt mit Privaten ist für staatliche Institutionen delikat.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

Nächster Artikel