Daniel Baumann ist seit einem halben Jahr Direktor der Kunsthalle Zürich. Diese will der in Basel wohnhafte Kunsthistoriker einem «Stresstest» unterziehen. Was er darunter versteht, erklärt er am heutigen Dienstagabend bei einem Vortrag im Museum für Gegenwartskunst.
Daniel Baumann ist einer der Menschen, die nie stillstehen. Obwohl er äusserlich ganz ruhig ist. Und obwohl er ursprünglich aus Burgdorf stammt und die klischeehafte Berner Gelassenheit ausstrahlt. Doch da wohnen tut er schon lange nicht mehr. Um die zahlreichen Stationen aufzuzählen, an denen der Kurator seither halt gemacht hat, muss man fast zum unattraktiven Mittel einer Aufzählungsliste greifen.
Doch starten wir in der Gegenwart. Seit knapp einem halben Jahr pendelt Baumann fast täglich von Basel nach Zürich. Dort leitet der 47-Jährige seit Anfang November 2014 die Kunsthalle Zürich. Ein 100-Prozent-Job in einer Institution – lange war das für den ausgebildeten Kunsthistoriker keine Option. Zuerst galt es auf Freelance-Basis auszuprobieren, was die Welt der Kunst hergibt.
Kunsthalle im Stresstest
Studiert hat Baumann ab Ende der 1980er-Jahre in Genf, Kunstgeschichte und deutsche Literatur. Beides ging gut zusammen, weil in beiden Fächern Fragen um Werk und Autor relevant sind. Doch er sei kein Theoretiker, sagt er. Er packt lieber an – und probiert aus. Was heisst das in Bezug darauf, dass er in seiner Bewerbung für den neuen Job schrieb, er wolle die Kunsthalle Zürich «einem Stresstest unterziehen»?
«Grundsätzlich geht es mir darum, die Institution Kunsthalle zu hinterfragen, ihre Aufgaben herauszufinden», sagt er. «Und weil ich die Antwort nicht kenne, muss ich ausprobieren. An Grenzen gehen.» Das klingt dann wieder sehr theoretisch.
Doch bekanntlich steht die Theorie hinter allem. «Die Anforderungen an Kunsthallen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert», sagt Baumann. Früher waren sie die Marktführer in Sachen aktuelle Kunst. Heute haben Galerien diese Rolle eingenommen oder zahlreiche Biennalen weltweit. Selbst Kunstmuseen zeigen zeitgenössische Kunst, und dann gibt es da noch die Offspaces, in denen Künstler gleich selber zu Kuratoren werden.
Von hier nach da nach hier
Baumann spricht aus Erfahrung. Er hat das alles ausprobiert, nicht wenig davon in Basel. Seit seinem Studium und bis zum Stellenantritt als Direktor der Kunsthalle Zürich arbeitete er als Kurator der Adolf Wölfli-Stiftung im Kunstmuseum Bern, kuratierte einzelne Ausstellungen wie beispielsweise 1997 die erste Retrospektive von Martin Kippenberger in Genf und schreibt bis heute immer wieder für Zeitschriften über Kunst. 2000 kam er nach Basel. Hier machte er sich bald einen Namen als Mitbegründer des Medienkunstbetriebes Plug.In (Vorgänger des heutigen HeK) und des Medienkunstfestivals Shift oder als Leiter des Projektes Nordtangente/Kunsttangente, mit welchem das Baudepartement Basel den Bau der Nordtangente künstlerisch begleitete.
Aus diesem Projekt schliesslich entstand im Jahr 2008 der Offspace New Jerseyy, der bald einmal Kultstatus erlangte. Erst vor einem Jahr schloss er die Türen. Baumann hatte unterdessen bereits eine Ausstellungsreihe in Tbilisi in Georgien am Laufen und war kurzzeitig nach London übersiedelt, um dort für die Kunstmesse Frieze einen neuen Sektor für junge Galerien aufzubauen. Nach einer kurzen Rückkehr nach Basel führte sein Weg 2013 schliesslich nach Pittsburgh, wo er mit der Carnegie International eine der wichtigste Biennalen für zeitgenössische Kunst der USA kuratierte.
Vor den Kopf gestossen
Jetzt also Zürich. Wo Baumann arbeitet, aber nicht wohnt. Bis auf Weiteres will er nämlich in Basel bleiben. Würde er in einem Zürcher Vorort wohnen, so bräuchte er sowieso gleich lang zu seinem Arbeitsplatz im Löwenbräu-Areal, meint er.
Mit seiner ersten Ausstellung in der Limmatstadt hat er gleich mal ein paar Leute vor den Kopf gestossen. Seine Vorgängerin Beatrix Ruf hatte die Kunsthalle Zürich als Ort für grössere, einzelne Künstlerpositionen etabliert. Baumann hingegen startete im Februar mit vier Ausstellungen gleichzeitig – und riskierte damit die Überforderung des Stammpublikums. Das ist gut so, findet er. Denn er mag Kunst, die einem «ein Bein stellt», wie er es nennt. Die herausfordert. Und Künstler, die aus dem Raster fallen.
Man kann nur lernen, wenn man experimentiert, lautet eine Regel. «Dazu gehört auch, dass man scheitert», sagt Baumann. «Ich will etwas wagen und keine Angst haben.» Deshalb wird er das Zürcher Kunstpublikum auch weiterhin vor Herausforderungen stellen und ihnen Projekte wie ein Puppentheater im Ausstellungsraum servieren, so wie das die beiden jungen Zürcher Künstler Flavio Merlo und Ben Rosenthal aktuell tun.
Es sei alles eine Frage der Vermittlung, ist sich Baumann sicher. Deshalb will er auch dort investieren und neue Wege suchen – weil auch das zu den Aufgaben einer Kunsthalle gehöre. «Die Vermittlung ist der letzte Ort in der Kunst, der noch nicht kommerzialisiert wurde», sagt Baumann. «Es geht dort nicht um den Markt, sondern um Wissen.» Es störe ihn beispielsweise auch, dass die Vernissage einer Ausstellung oftmals gleichzeitig eine Art Schlusspunkt sei – nach dem Motto: Voilà, fertig ist das Werk, guckt es euch an. «Dabei sollte die Ausstellungseröffnung den Anfang markieren und den Diskurs eröffnen.»
Wie ihm das gelingen kann, will Baumann nun herausfinden. Ein zentrales Anliegen dabei: «Die Kunst soll wieder ins Zentrum rücken», findet er. Kuratoren seien viel zu wichtig geworden.
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Daniel Baumann spricht am Dienstag, 14. April, um 18.15 Uhr im Museum für Gegenwartskunst über seine Rolle als Kurator in der Gesprächsreihe «Curating».