Ein Schnauz, ein Brunnen, grosses Theater!

Der Tinguely-Brunnen bietet mit seinen Figuren ein bühnenreifes Spektakel. Kein Wunder, er steht ja auch da, wo früher die Bühne des alten Stadttheaters war.

Das Ensemble des Tinguely-Brunnen. (Bild: Naomi Gregoris)

Der Fasnachts-Brunnen, besser bekannt als Tinguely-Brunnen, bietet mit seinen Figuren ein bühnenreifes Spektakel. Kein Wunder, er steht ja auch genau da, wo früher die grossen Tragödien, Opern und Ballette ins Rampenlicht gerückt wurden: Auf der Bühne des alten Stadttheaters.

Der Tinguely-Brunnen lebt. Räder, Gleitschienen, Verstäuber und Düsen aller Art pumpen Tag und Nacht 55’000 Liter Wasser durch die Schlauch-Venen der zehn Figuren. Es zischt und sprüht und dreht, wo man nur hinschaut. Mit den Jahreszeiten verändert sich auch das Ensemble des Wasserspektakels: Im Sommer tänzeln die Gestalten aus Alteisen herum, prasseln und tröpfeln, und versüssen so manchem Basler das Mittagessen zwischen nobler Kunsthalle und tramreichem Steinenberg. Im Winter krallen sich bizarre Eisskulpturen am Eisen fest und der Brunnenmeister kommt zweimal täglich zur Inspektion und schlägt die störenden Teile weg.

Kein anderes Werk im öffentlichen Raum Basels braucht ein solches Ausmass an Unterhaltsarbeit. Aber die Mühe zahlt sich aus: Der Tinguely-Brunnen ist eines der beliebtesten Wahrzeichen Basels und zu jeder Zeit von Schaulustigen umgeben, die sich die Vorstellung der beweglichen Wasserskulpturen zu Gemüte führen.

Ein letztes Mal Verdi

Schon vor vierzig Jahren wurden auf dem Steinenberg Darbietungen genossen. Nur kamen sie damals noch nicht von wild herumsprühenden Maschinen aus Abfallmaterial, sondern von Schauspielern, Opernsängern und Balletttänzern. Genau da wo heute der Tinguely-Brunnen steht, befand sich nämlich die Bühne des alten Stadttheaters, das im August 1975 gesprengt wurde.

Nach dem Bau des neuen Theaters 1974/75 brauchte es das alte nicht mehr. Ein letztes Mal ging Verdis «Don Carlos» über die Bühne, ein Trauerspiel, auch für die Liebhaber des mondänen Neo-Barockgebäudes, das zwei Monate später gesprengt wurde. Zurück blieb ein Platz, der neu bespielt werden musste. Am besten sollte etwas her, das Kunsthalle-Publikum, Theaterbegeisterte, Besucher der Elisabethenkirche und Fussvolk vom Barfi gleichermassen beglückte.

Just zur selben Zeit wurde die Migros 50 Jahre alt und wollte zu diesem Anlass der Stadt Basel einen Fasnachts-Brunnen schenken. Die Wahl fiel nach nur drei Sitzungen auf Jean Tinguely, der bereits als Kind Wassermaschinen gebaut hatte und sich sofort aufmachte, Reste des alten Theaters aus dem Schutt der Sprengung zu retten. Einige der «geretteten» Teile des alten Theaters dienten Tinguely als Bausteine für seine Figuren, die an den verschiedensten Orten entstanden, unter anderem bei seinem Freund Bernhard Luginbühl.

Dr Schuufler: Für die einen einfach eine Maschine die Wasser schaufelt, für die anderen der kleine Prinz, der einfach weg will vom irren Schauspiel.

Tierische Einweihung

Am 14. Juni 1977 um 20.15 Uhr wurde der Brunnen schliesslich mit einer fulminanten Feier eingeweiht: Knapp bekleidete Mädels führten eine Synchronschwimmer-Choreographie am Rand des (notabene 19 cm tiefen) Beckens auf, der «Brunnenmarsch» wurde gepfiffen (s’Wasser spritzt / dr Jeannot lacht / d’Röhre tropft / d’Maschine lauft), ein paar wichtige Reden geschwungen und Tinguely ritt feierlich und schwarzgekleidet an – auf einem Kamel.

Entstanden ist eine spritzend jauchzende und doch beinahe geisterhafte Erinnerung an das alte Haus. Die Figuren sind in steter Bewegung und im Dialog zueinander und fast scheint es, als wäre das neue Theater hier angesiedelt, auf diesem Platz, wo sich verschiedenste Charaktere ein Schauspiel liefern, das dem eines Theaters durchaus nahe kommt.

Das Ensemble des Brunnen-Spektakels

Dr Theaterkopf als Edelmann. Der noble Musenkopf hatte vor der Sprengung die eintretenden Besucher von der Dachzinne des alten Theaters aus begrüsst. Im Tinguelybrunnen ist sein lachendes Gesicht dem Nachfolger seines früheren Daheims spotthaft zugewandt: Er scheint das neue Theater auszulachen, ja krümmt sich (dank der Hebebühne des einstigen Theaterliftes) vor lauter Hohn gegenüber dem modernen Gebäude, das für eine so mondäne Figur wie ihn keinen Platz hat. Dazu schiessen Wasserfontänen aus seinen Augen. Tinguely fand das neue Gebäude bekannterweise nicht gerade eine Augenweide – und schuf sich mit dem «Theaterkopf» einen hämischen Komplizen.

D Spinne als Schwester der Königin. Die alte Jungfer breitet ihre dünnen Gestängearmen aus und versucht, sich an den König ranzumachen. Gleichzeitig singt sie ihr dem Wahnsinn nahes Klagelied mit einer irrschnellen Kreisel-Düse.

Dr Waggler als rechte Hand des Königs. Der königliche Berater hat mit einem imposanten Räderwerk das komplizierteste Innenleben. Kompliziert ist auch seine Beziehung zum König: Trotz eindringlichem Sprühen kommt keine Reaktion vom royalen Oberhaupt.

D Fontääne als Königin. Die Königin des Brunnens will um jeden Preis auffallen. Wild gestikulierend fuchtelt sie mit Wasserfontänen vor ihrem Gemahl herum, der sie erbarmungslos ignoriert.

Dr Spritzer als Spiessgeselle. Der mit einem eleganten Schnörkel-Element (das Tinguely einst von Bernhard Luginbühl bekam) ausgestattete Geselle hält sich im Hintergrund und versorgt das Schauspiel mit schnippischen Kommentaren in Form heftiger Wasserstrahlen.

Dr Suuser als König. Selbstbewusst steht der König der Kompanie in der Brunnenmitte und duscht sich aus einer senkrecht nach oben gerichteten Fontäne. Er ist so mit sich beschäftigt, dass er weder die dramatischen Gesten seiner Gemahlin noch die Annäherungsversuche ihrer unzurechnungsfähigen Schwester bemerkt.

Dr Wäädel als Hofdame. Die elegante Dame des Ensembles trägt nur das Beste: Sie besteht komplett aus Bestandteilen des alten Theaters. Die vornehm geschwungenen Formen stammen von der Sprengung, ebenso ihr Fächer, mit dem sie anmutig Wasser in Richtung des kleinen Pfeifers wedelt.

Dr Schuufler als Prinz: Der kleine Schaufler will am liebsten einfach weg vom irren Schauspiel, das sich seine Umgebung leistet. Seine hysterische Mutter und der narzisstische Vater sind ihm ein Graus, lieber würde er raus aus dem Brunnen und weg in die Kunsthalle, auf ein erstes wohlig-verbotenes Bier. Der sichelartige Halbkreis, den Tinguely im Schutt des alten Theaters fand, lässt ihn sein Zuhause aber nicht verlassen.

S Seechter als Kammerdiener. Der Bückling des Hauses steht am Rand des Spektakels und schöpft bedächtig Wasser. Obwohl nichts hängen bleibt, macht er besonnen weiter. Anders als die anderen Figuren muss er nicht um Aufmerksamkeit buhlen, sondern gibt sich mit seiner Position zufrieden – durchaus im Klaren darüber, wie nutzlos seine Tätigkeit ist.

Dr Querpfyyfer als Gärtner. Der kleine Pfeifer ist der jüngste unter den Brunnenfiguren: Sechs Jahre nach der Einweihung kam er zum Ensemble und spielt seither eine eher untergeordnete Rolle als schlichter Angestellter, der ab und zu seinen Senf abgibt. Was ihn nicht davon abhaltet, es immer wieder mit gesprühten Annäherungsversuchen bei der eleganten Hofdame zu versuchen.

Als Orientierungshilfe dient dieses Video.

Und als kleiner Bonus: Dr Schuufler in Aktion – nachgebaut mit Fisherprice von unserem Bildchef Hans-Jörg Walter.

 

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