Metallica spielen, was das Publikum wünscht und liefern solide Arbeit ohne Getue. Das reicht, um 40’000 Leute in Euphorie zu versetzen.
Als Metallica den einzigen neuen Song des Abends spielen, gehts los. Im Schutz der Dunkelheit hat sich die Gewitterfront übers Joggeli geschoben, nun öffnet der Himmel seine Schleusen. Die Erstaufführung fällt ins Wasser.
Dabei ist «Lords Of Summer» nicht übel. Rumpelt rassig mit alten Tugenden daher, hat aber naturgemäss einen schweren Stand zwischen all den Klassikern, die heute auf dem Programm stehen. Egal – irgendwann muss auch Zeit sein, um Biernachschub zu holen, für dessen Gewährleistung im Laufe der Woche einige Anstrengungen unternommen wurden.
Hartnäckige Stadionrocker
Metallica im Sankt Jakob, das ist ein Anlass mit Geschichte. 21 Jahre ist es her, dass das amerikanische Quartett das letzte Mal hier – damals im alten Joggeli – auftrat. Es war die Tour nach dem sogenannten schwarzen Album, das die Band von der Spitze der Heavy-Metal-Szene in die Riege der Stadionbands katapultierte. Und dort halten sie sich seither hartnäckig – trotz schwacher Alben, Besetzungswechseln, Alkoholproblemen und einem Dokfilm, der die Band mit einem Therapeuten beim Sezieren der eigenen Psyche zeigte.
Metallica überlebten sogar die Napster-Affäre. Als die Unsitte aufkam, sich die Musik gratis aus dem Internet zu ziehen, regierte die Band 2000 mit Klagen gegen die eigenen Fans, die sich die Songs auf diesem Weg besorgten.
Wunschkonzert nach Online-Voting
Die Reaktion der Verpetzten würde man heute als «Shitstorm» bezeichnen, doch nachhaltig beschädigen konnte der die Band-Fan-Beziehung nicht. Heute halten Metallica die Balance zwischen künstlerischer Freiheit, Geschäftsinteressen und Fanbefriedigung. 2011 gaben sie die Backingband für Lou Reed’s letztes Album «Lulu», ein verkopfter Murks, mit dem kaum jemand etwas anfangen konnte. Dafür kriegt der Fan bei der laufenden Tour, was er will.
Wer sein Ticket online kaufte, erhielt damit auch ein Stimmrecht. Das Programm wird per Internet-Voting bestimmt, gespielt werden die Songs, die am meisten Stimmen erhalten, plus das noch unveröffentlichte «Lords Of Summer».
Das ist Dienst am zahlenden Kunden und die konsequente Umsetzung des Konzepts Stadionrock. Wer derartige Massen vor sich hat, darf sich keine künstlerische Freiheit herausnehmen, sondern hat für Unterhaltung zu sorgen. Der Fan will Hits hören, denn dafür gibt er Geld aus, dafür nimmt er die Anreise in Extrazügen, in denen es viel zu wenig WCs gibt, in Kauf.
Der Fan verlangt die Klassiker
Das Resultat der Fan-Abstimmung ist klar: Abgesehen von «St. Anger» und dem Cover «Whiskey In The Jar» stehen nur Songs aus den ersten fünf Alben auf dem Programm. Ein Dutzend der 18 Stücke, die heute Abend gespielt werden, kamen schon beim letzten Gastspiel am selben Ort zur Aufführung.
In den Pausen zwischen den Vorbands dieses eintägigen Festivals unter dem Titel «Sonisphere»meldet sich die Band auf den Videowänden. Ein weiterer Song aus einer Auswahl von drei Stücken kann per SMS in die Setlist gewählt werden. Irgendwie muss man die durch Downloads entgangenen Einnahmen ja kompensieren. Etwas über 2500 Stimmen gehen ein, nachdem Hetfield auch von der Bühne herab noch mal zum Simsen aufgefordert hat. Sieger ist «Orion». Das kultige, aber wenig hitträchtige Instrumental kommt als zweite Zugabe.
Metallica können sich das leisten, denn zu diesem Zeitpunkt haben sie längst gewonnen. Kurz vor neun Uhr war das traditionelle Sergio-Leone-Intro «The Ecstasy Of Gold» erklungen und dann gings los und zwar gleich richtig mit «Battery», selbst für Metallica-Verhältnisse eine Granate.
«Creeping Death» bricht über die 40’000 herein wie eine biblische Plage – und das trotz schludriger Darbietung.
Das Publikum goutiert es. Schon beim zweiten Stück «Master Of Puppets» gehen die Hände bis in die hintersten Reihen hoch. Und die Band holzt weiter ein Brett nach dem anderen raus.
Nach einer knappen halben Stunde gibt es eine kurze Verschnaufpause mit «The Unforgiven», doch wer meint, jetzt komme die Balladenstrecke, kriegt gröber vor den Latz. «Creeping Death» bricht über die 40’000 herein wie eine der biblischen Plagen, von denen der Song erzählt und das trotz etwas schludriger Darbietung, die wohl dem Höllentempo geschuldet ist, mit dem die Nummer durchs Stadtion prescht. Über tausend Mal haben Metallica diesen Song schon live gespielt, und noch immer ist den Musikern eine bübische Freude anzusehen, wenn das Publikum aus dem Häuschen gerät.
Kumpelhafte Autorität
Wie konnte eine Band, die derart harte Musik spielt, zu einer der grössten Rockbands überhaupt werden? Nur so zum Vergleich: Slayer und Anthrax, die seit den Achtzigerjahren zusammen mit Megadeth und Metallica die «Big Four» des Thrash Metal bilden, traten vor einem Monat gemeinsam im Z7 in Pratteln vor 1500 Leuten auf – ein Bruchteil dessen, was im Joggeli zusammenkommt.
Gut, Metallica schrieben im Gegensatz zu ihren Weggefährten schon früh auch melodiöse und balladeske Stücke, doch das allein kann nicht erklären, wieso Zehntausende an ihre Konzerte strömen. Dafür muss es noch einen anderen Grund geben. Und der heisst James Hetfield.
Er gehört zu den raren Frontmännern, die mit ihrer Aura ein Stadion füllen können. Und das obwohl er als Sänger, der auch Gitarre spielt, nicht wie andere Vorturner über die Bühne tigern kann, sondern ans Mikrofonstativ gebunden bleibt. Doch das ficht ihn nicht an. Breitbeinig steht er da, voll präsent und lässt mit kumpelhafter Autorität keine Zweifel aufkommen, wer hier das Sagen hat. Er braucht bloss kurz «Ey, Ey» zu rufen und schon schreit das bis auf den letzten Platz besetzte Rund mit und schüttelt die Fäuste im Takt.
Ein Gefühl von Taubhaut und Erlösung
Dann darf ein Fan auf die Bühne, um den nächsten Song anzusagen. Sie komme aus Lichtensteig in der Nähe von St. Gallen, sagt die junge Frau und behauptet, ihr Name sei Natallica. «Sad but true» heisst das Lied, das folgt, und der Himmel weint. Besser wird das Wetter nicht mehr.
Blitze zucken während «…And Justice For All», doch Hetfield und Sologitarrist Kirk Hammet prügeln unbeirrt ihre Riffs. Darum heisst dieses Genre Thrash Metal. Thrash mit H. Nicht Trash, denn das ist kein Müll sondern die Schredderanlage, die den ganzen Mist, der einem das Leben versaut, zerkleinert und zermalmt, bis nur noch ein Gefühl von Taubheit und Erlösung übrigbleibt. Guter Heavy Metal wirkt ähnlich wie Meditation.
«Take a look to the sky just before you die», singt Hetfield in «For Whom The Bell Tolls», doch ganz so arg kommts nicht, auch wenn die Blitze bedrohlich näher rücken. Das Gedonner besorgt die Band, die sich solidarisch mit ihrem Publikum auf die Laufstege und damit in den Regen begibt. Die Fans danken es ihnen mit ungebrochener Euphorie. Auf der Pressetribüne spielt einer auf dem Pult stehend Luftgitarre und wird dafür aus den Sitzreihen dahinter mit halbvollen Bechern beworfen.
Zwischendurch merkt man den Musikern ihr Alter an. Doch mangelnden Einsatz kann man keinem vorwerfen.
Erst gegen Ende kommt «Nothing Else Matters» und gleich hinterher «Enter Sandman». Metallica sparen sich ihre grössten Hits auf, denn sie können sich das leisten. Das Publikum hat nie abgehängt, jetzt hängt es sich noch mal richtig rein. Hetfield könnte sich das «Sing it!» vor dem Refrain sparen. Die Metal-Meute, die wohl loyalste Fangruppe im Showbusiness, macht von sich aus mit, und das mit einem Enthusiasmus, den selbst das endorphin-gewöhnte FCB-Stadion nur selten erlebt. Noch einmal blitzt es heftig am Himmel, dann verabschiedet sich die Band.
Eine Zumutung zum Schluss
«St. Anger» eröffnet die Zugaben, aber auch wenn das vergleichsweise neue Stück zu den härtesten der Bandgeschichte zählt, verpufft es heute. Zwischendurch merkt man den Musikern halt doch an, dass sie über 50 sind. Doch mangelnden Einsatz kann man keinem vorwerfen.
Heavy Metal ist Arbeitermusik, und darum erwartet der Fan anständige Büez und kein Getue. Da ist er bei Metallica bei den Richtigen.
Eine Zumutung muss man zum Schluss dann doch noch ertragen. Das letzte Stück spielen Metallica kurz nach elf, während im Stadion schon jede verfügbare Lampe brennt. Das liegt wahrscheinlich nicht daran, dass man den Musikern ihr pflotschnasses Publikum zeigen möchte. Sondern am Umstand, dass in Basel die Sperrstunde auch für Rockgötter gilt.
Vor drei Jahren gabs schon einmal ein Sonisphere-Festival im St. Jakob – damals in der Halle und im Leichtathletikstadion. Statt der budgetierten 40’000 Besucher kam nur gut die Hälfte. Die Folge war der Konkurs des Veranstalters Free & Virgin.
Heute läuft die Veranstaltung wieder unter dem Titel Sonisphere, doch der Veranstalter heisst Good News. Das Fussballstadion ist voll, ein Konkurs nicht zu erwarten, auch wenn Good News Markanteile verloren hat, seit der ehemalige Besitzer André Béchir mit seiner neuen Firma ABC die Schweizer Konzertszene aufmischt.
Die diesjährigen Gastspiele von Black Sabbath und den Rolling Stones organisierte Béchir, Good News reagierte mit dem Festival Rock The Ring in Hinwil, doch macht weder das noch Metallica in Basel den Braten so feiss wie er einst war. Schon letzten Winter hat Mitbesitzer Ringier deshalb das Interesse verloren und seine Anteile am Unternehmen verkauft.