Ein Spermium auf Abwegen

Jackie Brutsche schwimmt gerne gegen den Strom. Auch bei ihrer neuesten One-Woman-Show als Spermium.

(Bild: Nils Fisch)

Jackie Brutsche schwimmt gerne gegen den Strom. Auch bei ihrer neuesten One-Woman-Show als Spermium.

«Alles steckt im Hodensack», sagt Jackie Brutsche, «Fitness, Doping, Existenzängste.» Es ist der pointierte Umriss von Szenario und Szenerie ihres neuesten Stückes. Dort projiziert sie das Geschehen auf der Erdkugel auf das Gewusel in den beiden kleinen Kugeln. Denn das Darwin’sche «Survival of the fittest»-Prinzip, das auch in unserem Alltag die Errungenschaften der humanen Zivilisation dominiert, ist nirgends so zugespitzt wie in den Hoden.

Brutsche spielt in «The Rebel Sperm» eine dickköpfige Spermie, die Astronautin werden will, obwohl sie eigentlich chancenlos ist. Sie verweigert sich dem Wettrüsten der Mitspermien, taucht in den Untergrund ab und startet die Rebellion gegen das System. «Die Auseinandersetzung mit dem Überlebenskampf der Spermien hat durchaus Autobiografisches», sagt das heute 37-jährige Spiralenkind.

 

Mindestens so persönlich ist auch ihr Ansatz, den eigenen Weg zu gehen. Unbeirrt, wenn nicht sogar befeuert durch andere Ansichten. Brutsche: «Heute heisst es, man muss sich spezialisieren, um erfolgreich zu sein. Darum zweifelte ich lange an meinem Trieb, alles auszuprobieren, bis ich merkte: Verbinde ich alles, was ich kann, erschaffe ich eigene Orte und Bilder.»

Bei «The Rebel Sperm» ist denn auch nicht nur die Performance eine One-Woman-Show. Die studierte Filmregisseurin entwarf sowohl Plot wie Bühnenbild, schneiderte als gelernte Modedesignerin ihr Kostüm und schrieb auch die Songs. Die Frau scheint also eine zeitgenössische Version des Uomo Universale zu sein. Brutsche hält es bodenständiger: «Ich arbeite unabhängig, selbstbestimmt und spartenübergreifend wie ein Bauer. Der ist auch Bürogummi, Mechaniker, Verkäufer, Feldarbeiter und Biologe zugleich.» Nur erntet Brutsche Rock’n’Roll: «Auf dieses befreiende Gefühl, sich gehen zu lassen, läuft bei mir alles hinaus. Selbst wenn ich male. Dort nimmt man sich einfach mehr Zeit, diese Emotion in ein Bild zu übersetzen.»

Einige bemalte Karton-Skulpturen stehen bald an der «Cantonale» in der Kunsthalle Bern. In Basel kennt man Brutsche aber vor allem wegen der Musik, genauer als Gitarristin und Sängerin von The Jackets. «Ich erinnere mich noch genau an unser erstes Konzert in Basel, in einer Wohnung oberhalb des Coiffeursalons Friendship in der Rheingasse. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe!»

Die Augen rollende Frontfrau blieb auch allen Besuchern in bester Erinnerung. Nicht nur wegen den wild vorgetragenen, mitreissenden Beat- und Garage-Songs.

 

Im Trio mit ihrem Bassisten und Schlagzeuger trug Brutsche als Einzige einen Schnauz, ein Rudiment ihrer ersten One-Woman-Show «The Moustache Princess».

 

«Der Genderfragen bin ich eigentlich überdrüssig. Aber gerade in einer Männerwelt wie der Rock’n’Roll-Szene macht es Spass, vorgefertigte Rollenbilder über den Haufen zu werfen. Vielleicht ist es unsexy, aber ich habe keine Angst, männlich zu wirken. Ich weiss ja, dass ich eine Frau bin», sagt Brutsche. «Auf der Bühne darfst du eh nicht denken, da musst du dich einfach fallen lassen.»

Die Fans schwärmen denn auch geschlechterübergreifend, endlich eine natürlich coole Rock’n’Roll-Frontfrau gefunden zu haben. Ein Szene-Klischee bleibt aber auch an Brutsche kleben – die Groupies: «Im Gegensatz zu den weiblichen Groupies, die nur Sex fordern, wollen mich die Männer immer gleich heiraten.» Ein ganz Junger wollte gar ein Kind.

Solche Geschlechter-Geschichten amüsieren sie. Nervig sind dagegen Techniker, die ihr auch nach 15 Jahren Bühnenerfahrung zeigen wollen, wo man die Kabel einsteckt. «Schnauze ich den an, gelte ich gleich als zickige Diva. Es braucht als Frau mehr Mut, sich unbeliebt zu machen. Aber da muss man halt drüberstehen.»

«Im Gegensatz zu den weiblichen Groupies, die nur Sex fordern, wollen mich die Männer immer gleich heiraten.»

Das lernte sie von klein auf. Ihr älterer Bruder war der Bandenchef der Bubengang im Zürcher Arbeiterquartier Seebach. Jackie verbrachte ihre Zeit mit Fussball statt Puppenspiel. Als sie zehn war, starb die Mutter, und ihr stand der Kopf mehr nach Heavy Metal denn Hip-Hop-Mucke.

Klein Jackie stylte ihre eigene Kutte und fuhr später stolz Töffli. Mit 15 Jahren entdeckte sie das damals besetzte Wohlgroth Areal, wurde zum «Live Junkie» und besuchte täglich bis zu fünf Konzerte. Eines Tages schleppte sie eine Freundin mit in den Probekeller. «Weil kein Gitarrist dort war, zeigte man mir zwei Akkorde, und da niemand sang, machte ich das halt auch noch», erinnert sich Brutsche. «Das erste Konzert weckte dann das Monster ihn mir und schon bald spielte ich in drei Bands gleichzeitig.»

In der Besetzerszene lernte sie, dass es Alternativen gibt zu dem, was die Gesellschaft oder der Markt vorgibt. «Das war nachträglich die beste Lebensschule. Dort lernte ich vernetzt arbeiten und kritisch denken.» Als Wohlgroth und später immer mehr alternative Orte und Clubs schlossen, zog sie, angelockt von der lebhaften freien Theaterszene und dem Musiktreiben rund um das Voodoo-Rhythm-Label, in die Hauptstadt. «In Bern ist die Lebensqualität für Künstler besser. Hier leben viele Leute lieber mit weniger Geld, dafür mehr Zeit für ihre eigenen Projekte. Darum ist es in Bern einfacher, mit wenig Geld zu leben. Man hat auch nicht all die Ablenkungen, Job- und Ausgehmöglichkeiten. Und will man, dass etwas geht, muss man halt selbst etwas auf die Beine stellen.»

Jackets-Fans lockt Brutsche auch mal ins Theater

Ihr künstlerischer Output füllt nicht nur den Kulturkalender Berns. Kurvt Brutsche mit ihrer Band nicht gerade zwischen Norwegen und Spanien herum, liegt hinten im Büssli Bühnenbild und Equipment für die One-Woman-Show. Das lockt Jackets-Fans auch mal zum Theaterbesuch: «Mein Rock’n’Roll-Theater passt definitiv auch für ein Musikpublikum.»

Doch wenn immer Rock’n’Roll drinsteckt, ist ihr Wirken dann nicht per se retro? «Ich finde unsere Musik sehr heutig, nur die Werkzeuge sind dieselben wie früher. Der Mensch pflanzt sich ja auch immer gleich fort und doch hat jedes Spermium Potenzial, die Welt zu revolutionieren.»

_
Jackie Brutsche live mit «The Rebel Sperm» am Freitag, 12. Dezember 2014, 21 Uhr, Sääli, Zum Goldenen Fass, Basel.

Nächster Artikel