Die Uraufführung von PeterLichts «Der Menschen Feind» nach Molière beginnt fulminant, schlittert nach fast drei Stunden Aufführungsdauer auf der Bühne des Basler Schauspielhauses aber in einen schwachen Abgang hinein.
Wie kann man im Angesicht eines solchen Umfelds nicht zu «Der Menschen Feind» werden? Die Gesellschaft «aus dem Stande des niedrigen Adels» ist von geradezu bornierter Dekadenz. Trifft sie sich, mündet das in Soft-Sado-Maso-Spielereien wie Gesichter-Drücken oder Dauer-Sauna-Schwitzen. So zu erleben im Salon von Célimème, der adretten Sexbombe ohne Inhalt und Adressatin grosser männlicher Sehnsüchte. Einer hat sogar ihr Konterfei auf seine Eichel tätowieren lassen. Sagt er, denn sehen tut man es zum Glück nicht.
Molière ist das nur am Rande. Der Autor PeterLicht hat aus dem «Menschenfeind» des französischen Komödiendichters «Der Menschen Feind» gemacht und der Geschichte, die auch im Original mehr von der bissigen Situationskomik lebt als von einem spannungsvollen Handlungsgerüst, quasi das letzte bisschen Geschichte ausgetrieben. Und natürlich wurde aus Molières groteskem Hofstaat des 17. Jahrhunderts eine Gruppe Menschen von heute. Aus Alceste wird Kasti und aus Célimène Celi.
Fulminanter Beginn
Die Inszenierung von Claudia Bauer sieht dies mit den Menschen allerdings nicht so eindeutig. Mit grotesken Riesen- oder gar Ganzkörperperücken auf dem Kopf und um den Leib lässt sie die Figuren vollends Karikaturen werden. Und so agieren sie auf der Bühne denn auch, wenn sie PeterLichts sprachartistische Kapriolen herunterrattern.
Das kommt im ersten Teil ausgesprochen fulminant und zum Teil hinreissend komisch daher. Der von langen Monologen der Hauptfigur – eben des Menschen Feind – unterbrochene Endlos-Dialog zwischen Alceste und seinem Freund Philinte ist ein furioses Kabinettstück. Das liegt nicht zuletzt an der begeisternden Spielfreude (und der hohen Qualität) der beiden Schauspieler Florian von Manteuffel und Max Rothbart, zu denen sich später als Dritter Simon Zagermann als Oronte – das ist der mit dem Tattoo auf der Eichel – hinzugesellt.
Verrückte Wortakrobatik
Das liegt aber auch an der atemberaubenden Wortakrobatik des Autors, der aus Aussagen und einzelnen Begriffen in Beinahe-Endlos-Schleifen Sprachsinfonien dadaistischen Ausmasses komponiert. Den langen Dialog über die Wahrhaftigkeit als Waffe und Verzweiflungstat gegen die verlogen-oberflächlichen Konventionen des Hofstaats gibt es in geschliffenen Versen auch bei Molière. Bei Licht steigert sich Alceste in einem Freestyle-Talking-Paradestück in einen Diskurs über seine genervten Nervenbahnen hinein, in denen Drohnenangriffe in Pakistan als Vergleich und die Invasion der metrosexuellen Zehen in den sommerlichen Flip-Flop-Paraden als Beispiel unter vielen herhalten müssen.
Solchermassen aufgepeitscht wird man nach einer Stunde in die Pause entlassen – in Erwartung, dass nach dem fulminanten Diskurs nun auch so etwas wie Handlung folgen wird. Denn ganz am Rande ist im ersten Teil zu erfahren, dass Alceste eine «Superliebe» hat, deren Äusseres sehr anziehend ist, ihre «Innereien» den Liebenden aber an das Wesen eines «Fussballweltverbandfunktionärs» erinnern.
Vielversprechender Beginn
Der zweite Teil beginnt ausgesprochen vielversprechend. Die Art, wie Alceste der aufgedonnerten (Bühne und Kostüme: Patricia Talacko und Dirk Thiele) Salondame Célimène die «nicht zu unterdrückende Superliebe» gesteht, ist hinreissend. In einem langen Monolog steigert sich der Menschenfeind wiederum in einen Wahndiskurs hinein, der zwischen arroganter Ablehnung und inniger Hingabe hin- und herwankt. Er besingt Célimènes «kanonenhaftes» Äussere und verdammt ihr Inneres, das «unter aller Sau» sei.
Liliane Amuat verkörpert diese lange schweigend zuhörende Salondame auf ebenso wunderbare Art. Ausgesprochen anziehend ist ihr Äusseres, während ihr Inneres von einer koketten Unverbindlichkeit geprägt ist. «Eine Durchwurschtelung erscheint mir hinsichtlich meiner dir gegenüber sich bildenden Gefühle nicht abwegig», sagt sie, einen Champagner nach dem anderen trinkend.
Der Absturz zum Schluss
Dann aber folgt der Absturz der Inszenierung. Es kommt zum Zusammentreffen der höfischen Gesellschaft (Mario Fuchs, Elias Eilinghoff, Myriam Schröder und Carina Braunschmidt) und damit zum Showdown der verlogenen und echten Liebes- und Lebenswirren.
Dass nun nach dem pamphletartigen ersten Teil Spielhandlung angesagt wäre, damit konnte Regisseurin Claudia Bauer offensichtlich nicht viel anfangen. Sie lässt das Geschehen auf der Bühne im Chaos zerfleddern und zerdehnt es zugleich. Der Abend, der so ansprechend begonnen hat, endet im albernen Klamauk, der nicht mehr aufhören will.
Dieser Bruch war auch dem Schlussapplaus anzumerken, der ausgesprochen zögerlich begann und erst mit der Zeit anschwellte. Es war, als ob sich das Publikum nach dem bemühenden Ende erst wieder daran erinnern musste, wie erfrischend der Abend im ersten Teil doch gewesen war.
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«Der Menschen Feind» von PeterLicht nach Molière. Theater Basel, Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen: 18., 20., 25., 27. April und im Mai.