Alex Capus sinniert in seinem neuen Roman «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» über Erfolg und Niederlage. Und scheitert selbst ein kleines bisschen.
An einem Bahnhof kreuzen sich tagtäglich die Wege der unterschiedlichsten Leute. Dass ein Autor, der aus Olten kommt – einem Städtchen, das seinen Ruhm vor allem auf seinem Bahnhof begründet – einen solchen Ort als Ausgangspunkt für einen Roman wählt, kommt wohl nicht von ungefähr. Allerdings hat Alex Capus sich nicht den kleinstädtischen, nationalen Knotenpunkt, sondern den grossstädtischen Zürcher Hauptbahnhof ausgewählt. Hier treffen sich im November 1924 die Wege von drei Menschen: Felix Bloch, Emile Gilliéron und Laura d’Oriano. Zumindest denkt sich Capus das in seinem neuen Roman «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» so.
Alex Capus: «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer», Hanser Verlag 2013. 288 Seiten. ISBN 978-3-446-24327-9.
Bei dieser künstlichen Zusammenführung handelt es sich um einen geschickten Kniff des Autoren, drei Schicksale zu verknüpfen, die keinerlei Anknüpfpunkte aufweisen – ausser der Epoche, in der sie lebten. Ihre Geschichten würden problemlos auch einzeln erzählt funktionieren.
Laura d’Oriano, im Jahr 1924 ein Teenager, fährt mit ihrer Familie von Istanbul her kommend mit dem Orient-Express in Zürich ein, um gleich weiterzureisen in Richtung Marseille. Der nur wenig ältere Zürcher Felix Bloch hält sich zufällig da auf. Und der fast 40-jährige Westschweizer Maler Emile Gilliéron ist auf der Durchreise von Athen nach Villeneuve am Genfersee, wo er seinen Vater – der ebenfalls Emile hiess und Maler war – bestatten will. Kennen tun die drei sich nicht, und wenn sich Capus auch vorstellt, dass Bloch das Mädchen Laura gesehen und wahrgenommen hat, so hat sich das in der Realität wohl kaum so zugetragen.
An die Realität angelehnt
Capus verflechtet gewohnt geübt historisch recherchierte Fakten mit fiktiven Elementen, um die Lebensläufe seiner Figuren lebendig zu gestalten. Er wolle immer wissen, was wirklich ist, sagt der Autor über seine Arbeitsweise (vgl. Video), weshalb er sich für seine Geschichten so gerne an der Realität orientiert. Meist sind es die Lebensläufe einzelner historischer Figuren, wie jene der Bankräuber Sandweg und Velte in «Fast ein bisschen Frühling» oder jene des eigenen Grossvaters, an die er seinen letzten und äusserst erfolgreichen Roman «Léon und Louise» anlehnte.
Im aktuellen Fall verrät der Titel schon einiges über die Biografien der beschriebenen Personen. Der Fälscher ist Emile Gilliéron, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, dass er sich unter anderem auf der Ausgrabungsstätte Knossos auf Kreta die gefundenen Fragmente zu Ende dachte und ausgestaltete, wie schon sein gleichnamiger Vater es unter dem Archäologen Schliemann in Troja tat.
Die Spionin ist Laura d’Oriano, die im Zweiten Weltkrieg für die französische Résistance italienische U-Boote auskundschaftete. Und der Bombenbauer ist der Physiker Felix Bloch, der wegen seiner Forschungen im Bereich der Quantenmechanik für die USA die Atombombe mitentwickelte.
Lebensphilosophische Fragen
Die Erlebnisse dieser drei Figuren zeigen auf, welche unerwarteten Wendungen das Leben bis hin zum Tod nehmen kann. Besonders eindrücklich ist das im Fall von Laura d’Oriano, die Sängerin werden wollte und das Glück im Frieden des Familienlebens suchte, jedoch in beidem scheiterte. Auch Felix Bloch hätte in seiner Studienzeit nie daran gedacht, dass er, der vom Weltfrieden träumte, dereinst am Bau einer alles zerstörenden Bombe mitarbeiten sollte. Und Emile Gilliéron? Er wollte nichts als Zeichnen und hatte am Ende die ganze Wissenschaftlergilde gegen sich.
Capus‘ Buch wirft die Frage nach Erfolg und Niederlage auf. Eine lebensphilosophische Frage, die keine Antwort kennt. Auch Capus hat sie nicht. Er wertet nicht, sondern er beschreibt – mal trocken, mal lustvoll, mal fakten-, mal fantasiereich. So bietet sein Roman für Kenner seiner früheren Werke wenig Überraschendes, und er liest sich wie immer leicht und wunderbar.
Er vermag jedoch nicht ganz so zu fesseln wie sein Vorgänger «Léon und Louise». Man kommt den beschriebenen Menschen zu wenig nahe, um wirklich mitzufühlen. Ein bisschen ist das vielleicht auch eine Niederlage, und eventuell wäre es doch besser gewesen, Capus hätte drei einzelne Bücher geschrieben. Doch dafür reichten vielleicht die historischen Fakten nicht aus. An der Fantasie dürfte es nicht liegen.