Ein Voyeur mit Videokamera

Der französische Künstler Michel Auder richtet seine Kamera seit Jahrzehnten gerne auf das Leben anderer Leute. Kein Wunder, haben seine Filme etwas Voyeuristisches. Die Kunsthalle Basel wagt einen Überblick über tausende Filmstunden.

Installationsansicht Michel Auder @ Kunsthalle Basel. (Bild: Gunnar Meier)

Der französische Künstler Michel Auder richtet seine Kamera seit Jahrzehnten gerne auf das Leben anderer Leute. Kein Wunder, haben seine Filme etwas Voyeuristisches. Die Kunsthalle Basel wagt einen Überblick über tausende Filmstunden.

So ein bisschen etwas Voyeuristisches haben die Videos von Michel Auder schon. Der französische Künstler stellt gerne mal eine Kamera ans Fenster seiner Wohnung und filmt seine Nachbarn im gegenüberliegenden Haus. Oder aber er verschanzt sich hinter den Vorhängen im Apartement eines Freundes und filmt, wie zwei Männer mit Prostituierten ein ruhiges Örtchen aufsuchen. Doch kann man ihn deshalb als Voyeur abstempeln?

Ausstellung

«Stories, Myths, Ironies, and Other Songs: Conceived, Directed, Edited, and Produced by M. Auder», Kunsthalle Basel.
Bis 25. August.

Der 68-Jährige, der seit den Sechziger Jahren tausende von Stunden an Film produziert hat, liebt die Beobachtung. Und dabei studiert er nicht nur Menschen. Auch Gegenstände oder Pflanzen haben es ihm angetan, wie ein Blick auf seine neuesten Werke zeigt. «Endless Column» beispielsweise, entstanden im Jahr 2011, richtet 18 Minuten lang das Kameraauge auf den Computerbildschirm des Künstlers, auf dem eine Auswahl von Fotos angezeigt wird. Alle Bilder hat Auder mit seinem Telefon aufgenommen und ein stattliches Bildarchiv zusammengetragen. Beim Betrachten des Filmes erhält man so den Eindruck, man würde das Fotoalbum eines fremden Menschen durchblättern. Und plötzlich ist man selbst Voyeur.

Auder richtet den Fokus aber nicht immer auf Fremde oder Bekannte, sondern durchaus auch mal auf sich selbst. Der Film «48 hours in 8 minutes» (1978) zeigt nichts anderes als den Künstler selbst, der im Bett liegt und schläft, Kreuzworträtsel löst oder sich langweilt. Wahrscheinlich sind es nicht exakt 48 Stunden, die er dafür zusammengeschnipselt hat, genausowenig wie die Beobachtungen anderer Menschen immer authentisch sind.

Real vs. erfunden

Die Kunsthalle Basel hat für die Ausstellung mit dem (seien wir ehrlich: unsäglichen) Titel «Stories, Myths, Ironies, and other Songs: Conceived, Directed, Edited, and Produced by M. Auder» 13 Filme des in New York lebenden Franzosen zusammengestellt – nicht chronologisch oder einem roten Faden folgend, aber doch einen Querschnitt bietend durch Auders Œuvre. Manche der Filme sind, wie bereits beschrieben, privat, andere Aufnahmen seiner Umgebung, und wieder andere scheinen einem Drehbuch zu folgen, beispielsweise der Anfang der Siebziger Jahre entstandene «Chronicles Morocco».

Tatsächlich hatte Auder damals nur vor, das alltägliche Leben in Marokko mit der Kamera festzuhalten, als ein junger Mann ihn ansprach und gerne in seinem Film mitspielen wollte. Was er denn für eine Rolle verkörpern wolle, fragte ihn der Franzose. Sindbad, den Seefahrer, sagte der junge Mann. Und so kam es, dass der junge Mann plötzlich im Fokus der festgehaltenen Ereignisse stand.

Auder wehrt sich gegen eine konventionelle Bildsprache und generiert in seinen Arbeiten neue Narrative, die sich zwischen Dokumentation der Realität und dem Erzählen von Erfundenem bewegen. Die Grenzen sind oftmals fliessend und nicht immer ganz klar. Teilweise setzt er selbstgefilmte Sequenzen mit Ausschnitten aus Fernsehdokumentationen oder -filmen collagenartig – ein System, das er auch auf den Soundtrack seiner Filme anwendet, der zwischen eigens komponierter Musik und fremdem Material wechselt. Er bezeichnet sich selbst als beeinflusst von den Filmen der französischen Nouvelle Vague und deren Ambition, neue Denkweisen zu etablieren.

In den verdunkelten, kühlen Räumen der Kunsthalle eröffnen sich so auch für die Besucher neue Blickmöglichkeiten. Zeit ist dafür vonnöten, doch man sollte sie sich zur vertiefenden Betrachtung nehmen. Schliesslich darf man für einmal unverfroren voyeuristisch sein.

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