Eine Afro-Party à l’Européenne

Das blinde Afroblues-Paar Amadou & Mariam aus Mali wird seit Jahren von westlichen Popstars umschwärmt. Bei seinem Konzert im Rahmen des Basler Jazzfestivals animierte das Duo in der Reithalle zu einer heissen Tanzfête.
Mit ihrem Sound reissen Amadou & Mariam die Besucher in der vollbepackten Kasernen-Reithalle mit. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Das blinde Afroblues-Paar Amadou & Mariam aus Mali wird seit Jahren von westlichen Popstars umschwärmt. Bei seinem Konzert im Rahmen des Basler Jazzfestivals animierte das Duo in der Reithalle zu einer heissen Tanzfête.

Sie sind eines der erstaunlichsten Phänomene der westafrikanischen Musik: Amadou Bagayoko und Mariam Doumbia lieben sich seit 37 Jahren und machen fast genauso lange zusammen Musik. Am Blindeninstitut von Bamako haben sie sich als Teenager kennen gelernt und dort schon bald mit ihrer Band «Eclipse» die Savanne gerockt. Von der Tradition der Mandinke- und Bambara-Völker sind sie beeinflusst, aber genauso von John Lee Hooker, Canned Heat oder den frühen Pink Floyd. Kein Wunder also, dass ihr Afroblues universell verständlich ist und schon lange international hoffähig wurde.

Die beiden sind in die höchste Rock- und Popliga aufgestiegen: Manu Chao hat mit ihnen gearbeitet, Gorillaz-Mann Damon Albarn verfrachtete sie an Bord seines «Africa Express», K’naan und Keziah Jones gaben sich bei ihnen die Klinke in die Hand, Auftritte mit Coldplay und U2 folgten. Für ihr neues Werk «Folila» haben sie in drei Metropolen Einladungen an Künstler verschickt, die eher dem Alternative-Lager zuzurechnen sind: Santigold, TV On The Radio und die Scissor Sisters musizieren da neben afrikanischen Kollegen. Ein Album, das vor allem durch seine riesige Gästeliste neugierig macht, die sie natürlich nicht mit auf Tour nehmen können. Wie also funktionierte das auch ohne die prominenten Sidemen und -women auf der Bühne?

Funkelnde Brillen und Fünftonskalen

Um es vorweg zu nehmen: Was da als Pendel zwischen Bamako und Brooklyn auf dem neuen Album passiert, hat mit der Bühnenshow wenig bis gar nichts zu tun. Die beiden Ikonen aus Mali bringen ihre eingespielte Pariser Band mit und präsentieren einen Querschnitt aus ihrem gesamten Repertoire. Welches freilich die vollgepackte Reithalle mitreisst. Die typischen Fünftonskalen, die Mali den Ruf als Wiege des Blues eingebracht haben, erzeugen in dieser rockigen Aufladung einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann, auch wenn er sich von Song zu Song nur unwesentlich unterscheidet. Das Paar steht dabei wie ein Fels in der Brandung, die Scheinwerfer funkeln in ihren dunklen Brillen, und drum herum tobt die fünfköpfige Combo mit preschenden Drums, knallender Djembe, Pumpbass, DJ und Keyboard. Die zwei Tänzerinnen und Backgroundladies sind eher schmückendes Beiwerk.

Retro-Bluesrock und funkiges Clavinet

«Ce soir nous allons faire la fäääätööö», animiert Amadou immer wieder mit seinen langgezogenen Zwischenrufen. Gattin Mariam kontert mit der Anfeuerung: «Chaud, chaud, chaud». Und in der Tat es wird immer heisser unten im pulsierenden Auditorium, als nach den gemächlich trabenden Eingangsstücken das Tempo anzieht. Amadou wagt sich dann auch mal in ein schönes Rocksolo auf der Gitarre hinein, schade nur, dass er so leise ausgesteuert ist, dass man die Effekte vom DJ-Pult lauter hört. Für funkige Aufladung sorgt zwischendurch der Tastenmann, der sein Keyboard mit kantigen Clavinetsounds füttert. Die Texte sind recht einfach gestrickt. Die Solidaritätshymne «Africa, mon afrique» klingt auf dem Album mit Noir Désir-Röhre Bertrand Cantat noch kantiger, «C’est Pas Facile Pour Le Mali» ist schöner Retro-Bluesrock, in dem die alles andere als stimmsichere Mariam ihr Solo hat: Solidarität mit der Heimat kratzt da nur an der Oberfläche, aber hey, das ist kein Dritte Welt-Abend, sondern Entertainment, selige Mitsing-Chöre und ein paar bunte Klischees inklusive.

Afro-Disco mit Sirene

Gegen Ende packen sie mit «La Réalité» und «Beaux Dimanches» ihre grossen Hits aus, in denen Manu Chao seine untrügliche Spuren hinterlassen hat. Die omnipräsente Polizeisirene des Mannes aus Barcelona hat es denn auch bis auf die Bühne geschafft, und am Ende feiert man mit ziemlich aufdringlicher Rhythmusmaschine Afro-Disco. Die Halle tobt, man feiert das pittoreske Paar und ihre souveränen Begleiter. «Afro-Party à l’Européenne», sagt meine Begleiterin. Sie hat recht: Die Show von Amadou & Mariam – und im übrigen auch die Musik anderer Afropop-Prominenter wie Angélique Kidjo, Salif Keita und Mory Kanté – funktioniert vor allem für das hiesige Weltmusikpublikum, und dies unverändert seit 20 Jahren. Man darf sie, von der Illusionsinsel Europa aus, nur nicht mit der aktuellen Realität der afrikanischen Musik verwechseln. Der schwarze Kontinent hat mit Hiplife, Kuduro, Shangaan und anderen Hybriden längst neue, urbane Ausdrucksformen hervorgebracht, zu denen die dortige Jugend tanzt. Ob diese Sounds bald auch in unsere Festivallandschaft passen, ist noch mit einem grossen Fragezeichen versehen.

Das Jazzfestival Basel 2012 geht heute Sonntag zu Ende. Zum Abschluss präsentiert Festivalchef Urs Blindenbacher «Fellini’s Music», dargeboten von drei bestens bekannten Musikern: Richard Galliano (Musette), Didier Lockwood (Violine) und Biréli Lagrène (Gitarre). Das Konzert beginnt um 20.15 Uhr im Stadtcasino Basel.

 

 

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