Der Neubau des Kunstmuseums gefällt (fast) allen, die ihn betreten. Damit aber keine Gefälligkeit aufkommt, eröffnet Direktor Bernhard Mendes Bürgi ihn mit einer schwierigen Skulpturenschau, die einen verstörenden Eindruck hinterlässt.
Alles spricht vom Erweiterungsbau oder vom Neubau, wie er offiziell heisst. Das Wort Kunst kommt in beiden Begriffen nicht vor, und doch wird sie, wenn der Hype um die neue Hülle mal abgeflaut sein wird, wieder die Hauptrolle spielen.
Beim ersten Rundgang der über 180 Medienvertreter spielte die Kunst aber noch eine Nebenrolle. Eine wichtige Nebenrolle gewiss, denn der Bau musste beweisen, dass er der Kunst dient, wie sich Architekt Emanuel Christ ausdrückte – was er denn auch tat.
Eine grosse Herausforderung gleich zu Beginn
Und dies, obschon Kunstmuseumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi gleich für die erste Sonderausstellung im neuen Haus eine grosse Herausforderung gewählt hat. «Sculpture on the Move», heisst sie, und nimmt dabei Bezug auf die erste Ausstellung, die Bürgi kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2002 kuratiert hat. Damals hiess es: «Painting on the Move».
Der erweiterte Kunstbegriff mit Beuys‘ «Schneefall», Richard Longs «Stone Line» und einem Glas-Iglu von Mario Merz («Aqua scivola»). (Bild: Kunstmuseum Basel @ProLitteris, Zürich 2016)
Nun ist also die dynamische Entwicklung der plastischen Kunst an der Reihe. Skulpturen, die es in den Gemäldegalerien im Hauptbau schwer hatten, und die nun im Neubau viel besser zur Geltung kommen sollen. Zeitlich geht es um die Zeitspanne vom Zweiten Weltkrieg bis heute, in der sich dieses plastische Schaffen auf sperrige und provokative Art an die Ränder der Rezeptionsgewohnheiten zu bewegte. Und natürlich auch darüber hinaus.
Die Gleichzeitigkeit des Andern?
Bürgi wählt damit einen Auftakt, der dem Streben vieler Museen nach publikumswirksamen Konzepten und Themen ganz und gar nicht entspricht. Und er geht noch einen Schritt weiter. Er baut keinen didaktisch bekömmlichen Parcours auf, der nach Verbindungen und Analogien sucht. Bürgi lebt vielmehr seine Lust aus, «die Gleichzeitigkeit des Anderen» zu zelebrieren, wie er sich ausdrückt. Und es ist einerseits wahrhaft erstaunlich zu sehen, wie sich die Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der homogenen Bewegungen entledigt. Die Präsentation jedoch wird leider nicht allen Werken gleichermassen gerecht, und teilweise wird die Chance, die die neuen Räume bieten, auch verspielt.
Im ersten Saal beginnt man noch in ästhetisch einvernehmlicher Art. Hier treffen Alberto Giacomettis spindeldürre Figuren mit ihren wuseligen Oberfächen auf den blankpolierten Marmor einer Brancusi-Skulptur. Im nächsten Raum werden die Gegensätze dann auffälliger: Filigrane Mobiles von Alexander Calder und ein ebenso zerbrechlich-feines Frühwerk von Jean Tinguely stehen dem hier beinahe plump wirkenden Marmorblock «Sculpture méditerranèenne» von Hans Arp gegenüber.
Je später, desto kontrastreicher
Je näher sich der Parcours der Gegenwart nähert, umso kontrastreicher werden die Werke, die oft dichtgedrängt nebeneinander stehen. Das kann gut aufgehen, wenn zum Beispiel eine etwas mürrisch wirkende Abwartfigur, die sich auf eine Sackkarre abstützt («Man with Hand Cart» von Duane Hanson) nahe an Carl Andrés rechteckigen Bodenbelag mit quadratischen Metallplatten («Altstadt Square») steht. Diese Zusammenstellung wirkt im ersten Moment so, als sei der Arbeiter nach dem Transport der schweren Metallplatten erschöpft erstarrt.
Manchmal aber ist die Nähe zuviel des Guten. Mario Merz‘ Glasiglu hätte man etwas mehr Umraum gewünscht, ebenso Richard Longs «Steinlinie» und Beuys‘ «Schneefall», die alle in einem einzigen Raum mit noch anderen Werken auf dem Boden zu liegen kommen. Dieser Raum wie auch jener im Erdgeschoss wirkt zu sehr so, als hätte man ihn einfach zu füllen versucht – ein positiver Eindruck bleibt trotz hochkarätigen Kunstwerken aus.
Eine Däfeli-Ecke (Felix Gonzalez-Torrez), ein verchromter Hase (Jeff Koons), eine Schaufensterpuppe (Charles Ray), ein Laufgitter (Robert Gober) und gestapelte Hirne (Katharina Fritsch): Das ist die plastische Kunst der 1980er-Jahre. (Bild: Kunstmuseum Basel @ProLitteris, Zürich 2016)
Inhaltlich macht die Ausstellung klar, dass sie nicht den Kanon von aufkommenden Kunstmoden wiedergeben möchte. Vielmehr werden Objekte herausgegriffen, die zu ihrer Zeit verstörten, egal ob sie nun konzeptioneller Art, minimalistisch oder zum Beispiel Aktionsrelikte waren. Das verwirrt, fügt zuweilen dem ästhetischen Empfinden beinahe Schmerzen zu. Es zeigt aber auch, dass Kunst aufwühlen kann. Und es zum Glück auch tut.
Ungewohntes von bekannten Künstlern
Viele Werke, die gezeigt werden, lösen bei einigermassen versierten Kunstgängern natürlich Wiedererkennungsfreude aus: Calders Mobiles, Carl Andrés Bodenplatten, Beuys‘ Filzdecken mit Tannenstämmen, Jeff Koons Hochglanz-Ballontiere zum Beispiel. Bei anderen Künstlern kommt es aber auch zu irritierenden Momenten. Von Robert Gober zum Beispiel ist ein Laufgitter aus Holz zu sehen und nicht in Wachs nachgebildete Körperteile. Von Fischli/Weiss ein Miniatur-Nachbau eines Bürohauses und (leider) nicht die wunderbar-reizende Gruppe «Plötzlich diese Übersicht».
Aber auch das scheint zu Bürgis Ansinnen zu passen, koste es, was es wolle jegliche Gefälligkeit zu vermeiden.
Die falschen Säle?
Bürgi nutzt gleich zu Beginn die Gelegenheit, mit den neuen Räumlichkeiten zu experimentieren. Und er zeigt damit Wege auf, die es in Zukunft vielleicht anders zu begehen gilt. So platziert er den Auftakt zur seiner Skulpturenausstellung in den Oberlichträumen im obersten Geschoss des Neubaus. Oberlicht wäre eigentlich die ideale Umgebung für Gemälde, die aber stattdessen in den Sammlungsräumen mit Seitenlicht im ersten Geschoss untergebracht sind – und damit da, wo wiederum Skulpturen eigentlich besser zur Geltung kämen.
Soweit die Theorie, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Unter dem Strich funktioniert diese Umkehrung der Werkplatzierung aber zum Glück ganz gut. Und man darf nicht vergessen, wie schwierig es ist, eine Ausstellung für noch nicht existente Räume zu planen. Bürgis Nachfolger, Josef Helfenstein, wird dies deshalb mit der Möglichkeit der räumlichen Erfahrung vielleicht ganz anders lösen, das wird sich ab Herbst zeigen.
Alte Räume, neuste Kunst
Zu erleben gibt es bis dahin unter dem Strich eindrückliche, wenn auch zum Teil arg sperrige Kunst in einem Bau, der diese Herausforderungen zu meistern verstünde. Dessen Möglichkeiten teilweise aber auch verschenkt sind – weshalb beispielsweise nicht das Treppenhaus oder die Unterführung verstärkt nutzen?
Maurizio Cattelan hängt das verkleinerte Selbst im Beuysschen Filzanzug in die Garderobe und verkündet: «La rivoluzione siamo noi» (Bild: Dominique Spirgi @ProLitteris, Zürich 2016)
Denn die Ausstellung findet ihre Fortsetzung auch im Hauptbau, wo einzelne verstreute Werke innerhalb der Sammlungsräume platziert sind, und im Haus für Gegenwart im St. Alban-Tal. Dort sind die Positionen von 1990 bis heute untergebracht.
Ein hermetisch abgeschlossenes Büro-Fumoir von Damien Hirst zum Beispiel, eine etwas albern-laszive Arbeit von Sarah Lucas und ein reizend-komisches Werk, das den ganzen Kunstbetrieb der Postmoderne auf die Schippe nimmt: Das verkleinerte dreidimensionale Selbstporträt von Maurizio Cattelan im Beuysschen Filzanzug.
Hilflos an einem Garderobenständer hängend ruft er uns via Werktitel zu: «La rivoluzione siamo noi.» Im Kunstmuseum Basel hat die Revolution gerade erst begonnen.
–
«Sculpture on te Move». Bis 18. September 2016 im Neubau und im Haus für Gegenwart des Kunstmuseums Basel.