Buchmessen werden zunehmend zu Literaturfestivals, besonders die in Leipzig, die nächste Woche stattfindet. Dazu trägt das 1992 initiierte «Leipzig liest» wesentlich bei, das 400 Stellen der Stadt zu Leseorten macht. Gastland in diesem Jahr: die Schweiz.
Selten haben Autoren und Autorinnen ein so riesiges Publikum wie an der Leipziger Buchmesse. Und 2014 spielt die Schweiz auf dieser einzigartigen Literaturbühne eine Hauptrolle als Gastland – oder Schwerpunktland, wie Johann Aeschlimann, Kulturattaché der Schweizer Botschaft in Berlin, präzisiert. Denn schliesslich sei «die Schweiz Teil des deutschen Sprach- und Kulturraums».
Auf den «Auftritt Schweiz» darf man sich freuen. Im Zentrum des Programms, in dessen Rahmen eine beeindruckende Anzahl bedeutender Deutsch-Schweizer Autoren auftreten wird, steht der Wunsch nach Begegnung und Austausch mit Stadt und Bevölkerung – etwas, was an einer klassischen, auf das Messegelände begrenzten Branchenmesse wie es etwa Frankfurt ist, unmöglich wäre.
Die Messe als Handelsplatz, an dem Fachleute grosse Geschäfte abschliessen und Lizenzhandel betreiben, mag in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben. Aber Begegnung und direkter Kontakt seien im Buchhandel immer noch entscheidend, betont Dani Landolf, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands: «Ich höre seit Jahren immer wieder sagen, Messen brauche es doch bald nicht mehr, aber es ist eben trotzdem wichtig, dass man einen Ort hat, wo man sich trifft.»
Eine alte Bekanntschaft
Individuelle Beziehungen und persönliches Engagement haben denn auch die spezielle literarische Bekanntschaft ermöglicht und aufrechterhalten, die schon lange zwischen der sächsischen und der schweizerischen Literaturszene besteht und an die «Auftritt Schweiz» nun anknüpft. Max Frisch schrieb im März 1972 in seinem soeben bei Suhrkamp erschienenen «Berliner Journal»: «Zweieinhalb Tage lang auf Händen getragen durch die Buchmesse».
Zu DDR-Zeiten spielte die Schweiz eine wichtige Rolle in Leipzig als deutschsprachige Region, die nicht BRD war – ein Kapitel der Literaturgeschichte, das auf der diesjährigen Messe in Gesprächen mit Adolf Muschg und Klara Obermüller zur Sprache kommen wird. Schon 2003 war die Schweiz Gastland, allerdings mit einem deutlich kleineren Programm. Und seit 2000 wurden jährlich während der Messe die «Schweizer Literaturtage in Sachsen» durchgeführt, in deren Rahmen das beliebte «Schweizer Literaturfest» stattfand und Bücher von Schweizer Autoren an Bibliotheken in Stadt und Region verschenkt wurden.
Daran knüpft man nun mit dem Projekt «Bibliotheksboxen» an und schenkt 39 sächsischen Landesbibliotheken eine kuratierte Kollektion von rund 30 Schweizer Büchern, vom Roman übers Koch- zum Kinderbuch. Weitere Kooperationen mit Institutionen vor Ort beinhalten einen Dozierendenaustausch der beiden Literaturinstitute Leipzig und Biel, Tandem-Lesungen von Schweizer Autoren und ihren Übersetzern an sächsischen Schulen, sowie einen Buchhändleraustausch. Zudem haben sechs Sachsen 2013 als «Literaturbotschafter» Festivals und Veranstaltungen in der Schweiz besucht und führen nun mit Autoren wie Tim Krohn oder Henriette Vásárhelyi in Leipzig «Wohnzimmerlesungen» durch.
Doch auch wer die Messe nicht besucht, wird vielleicht etwas Schweizer Literatur mit auf den Weg bekommen: Denn die grösste literarische Performance findet im Tram statt. Auf der Fahrt vom Hauptbahnhof zum Messegelände kann man die «akustische Schweizerreise» der Spoken-Word Formation «Bern ist überall» hören, die in verspielten literarischen Miniaturen die sprachliche Vielfalt der Schweizer Literatur veranschaulicht. Dabei fahren die Besucher an schweizerisch dekorierten Haltestellen vorbei. In der Stadt dann können sie auf einer der 40 von Moritz Schmid zum Motto «Bänke statt Banken» entworfenen roten Lesebänke schöne Aussichten geniessen.
Aus literarischer Sicht ist die Ab- und Ausgrenzung absurd.
Man hoffe, dass der Kontakt über die Messetage hinaus weitergehe, sagt Landolf: «Wir möchten für Schweizer Autoren längerfristig etwas machen. Deshalb war es uns wichtig, nicht nur einen schönen Stand zu bauen, sondern Beziehungen zu Buchhandel und Bibliotheken weiter zu stärken und neu zu schaffen.» So erhofft man sich vom Buchhändleraustausch einen anhaltenden Kontakt, und die Lesebänke werden nach der Messe im Clara-Zetkin-Park stehen, zusammen mit einer kleinen Schweizer-Bibliothek. Natürlich werden auch die Bücher bleiben, Texte von Jens Steiner, Arno Camenisch, Julien Maret und Peter von Matt oder neue Romane von Lukas Bärfuss, Dorothee Elmiger, Martin R. Dean oder Gertrud Leutenegger.
Sie alle werden in Leipzig von ihren Autoren vorgestellt, in klingenden dramaturgischen Reihen wie «Parlando», «3 Sprachen um 3», «Lyrik-Apéro», «Literarisches Quartett» und «Vielstimmig», in dessen Rahmen «bekannte und unbekannte Autoren aller Landessprachen» gemeinsam auftreten. Zu den Lesungen und Gesprächen im Veranstaltungsforum auf dem Messegelände kommen einige der performativen Formate der Literaturpräsentation, die «Leipzig liest» gerne fördert und die in den letzten Jahren generell an Popularität gewonnen haben.
Im Schauspielhaus Leipzig, das als «Schweizer Festivalzentrum» fungiert, experimentiert «Auftritt Schweiz» mit Alternativen zur «Sache mit dem Tisch, der Stehlampe, dem Blumenstrauss und dem Glas Wasser», wie der Verleger Jochen Jung die klassische Literaturlesung nannte: Unter anderem gibt es eine literarisches Schwing-Sport-Schau, ein literarisches Speed-Dating, einen Poetry Slam-Länderwettbewerb.
Man gibt sich also unverkrampft verspielt, will neue und unkonventionelle Formate ausprobieren – und die gegenseitige Freude ist gross. Man freue sich, in Leipzig «eine viersprachige Schweiz vorstellen zu dürfen, die ihre kulturelle Vielfalt lebt und liebt und sich auch als substantieller Teil des deutschsprachigen Kulturraums versteht», sagt Angelika Salvisberg, Leiterin der Abteilung Literatur und Gesellschaft bei Pro Helvetia. Man freue sich über «das fulminante Programm» des Schweizer Auftritts, antwortet Buchmesse-Direktor Oliver Zille.
Angeknackstes Image
Seit der Volksabstimmung vom 9. Februar dürfte man die Schweiz und ihre Liebe zur kulturellen Vielfalt allerdings skeptischer betrachten. «Die Abstimmung wird natürlich ein Thema sein», meint Landolf. Nicht nur in Gesprächen mit Lukas Bärfuss, Adolf Muschg, Peter Stamm und den Historikern Thomas Maissen und Georg Kreis, sondern auch in der von Melinda Nadj Abonji und dem Sänger und Dichter Jurczok 1001 organisierten Sonderveranstaltung «’Souverän abserviert’ – eine Antwort auf die letzte Abstimmung in der Schweiz» und der Diskussionsrunde «Das Unbehagen im Kleinstaat» mit Lukas Bärfuss, Jonas Lüscher und dem Schweiz-Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung», Wolfang Koydl.
Der Auftritt der Schweiz mit seinen vielseitigen literarischen Stimmen, verspielten Formaten, seinen Kooperationen und Begegnungsbemühungen steht in drastischem Gegensatz zum Bild der Schweiz, das man nach der Abstimmung hat. Aus literarischer Sicht ist die Ab- und Ausgrenzung von Europa denn auch absurd, hat doch die Schweizer Literaturszene immer wieder von Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund profitiert – man denke nur an die Schweizer Buchpreisträger der letzten Jahre Ilma Rakusa, Melinda Nadj Abonji, Catalin Dorian Florescu.
«Auftritt Schweiz» präsentiert eine Schweizer Literatur, die froh ein integraler Teil des europäischen Kulturraums ist und sich gleichzeitig als in sich vielseitig und eigenständig behauptet. Dass sie in Leipzig und anderswo in Europa trotz politisch schwer nachvollziehbarer Entscheidungen weiterhin willkommen sein mag, bleibt von Herzen zu hoffen.
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Buchmesse Leipzig, 13. bis 16. März 2014