Eine Meisterin der Täuschung

Künstlerin Clare Kenny wuchs auf Baustellen auf, was ihr Werk nachhaltig beeinflusst. Einen Eindruck davon kann man während der «Regionale» in gleich drei Häusern bekommen.

Clare Kenny, eines ihrer Fotos hinter Glas und eine Plastikfolie, die gerne Marmor wäre, in der Villa Renata. (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Künstlerin Clare Kenny wuchs auf Baustellen auf, was ihr Werk nachhaltig beeinflusst. Einen Eindruck davon kann man während der «Regionale» in gleich drei Häusern bekommen.

In einem Atelier in Paris hat die Künstlerin Clare Kenny die erste Hälfte des Jahres 2013 verbracht. Daran kann es zwar nicht liegen, dass an der «Regionale 14» gerade die französischen Häuser besonderes Interesse an der britischen Künstlerin zeigen, aber es ist doch eine lustige Koinzidenz. Kenny stellt nun jedenfalls in der Kunsthalle Mulhouse aus, in der FabrikCulture in Hégenheim und im Accélerateur de particules – einer Strassburger Institution, die dieses Jahr allerdings seine Künstlerauswahl in der Villa Renata zeigt: Eine von Kennys Installationen kann man deswegen doch in Basel sehen, und dort treffen wir sie schliesslich auch.

Im Parterre der Villa hat sie einen ganzen Raum für sich und ihre Werke, ein sonnendurchflutetes Zimmer mit Parkettboden und Einbauschränken. Über Wände und Boden ziehen sich Plastikfolienstreifen mit Granit- oder Marmormuster, dazwischen hängt ein grünes Bild, zwei Plastiken stehen beziehungsweise liegen auf dem Boden. Es sind Einzelwerke, sagt Clare Kenny, neuere und ältere, aber bewusst gruppiert.

Seit rund sieben Jahren lebt Kenny in Basel, ursprünglich stammt sie aus Manchester. Ihr Vater war Bauarbeiter, und sie habe ihn als Kind oft auf Baustellen besucht, erzählt sie. Damals seien ihre ersten «Werke» enstanden – aus den Materialien, die sie fand: «Ich erinnere mich an einen See, den ich für meine Mutter bastelte, aus einer Gipsplatte, die ich mit Aluminium bezog, und mit Schwänen aus Papier.»

Fotos als Gedächtnis

Nach dem Vorkurs an der Manchester Kunsthochschule studierte sie zuerst Fotografie, und machte dann einen ersten Schritt Richtung Süden, nach London, wo sie an der Chelsea School of Art and Design den Bachelor machte. «Es war eine Herausforderung für mich», sagt sie heute. «Im Zentrum der Ausbildung stand derart viel Theorie, dass jegliche Kreativität auf der Strecke blieb. Bis ich an den Punkt gelangte, wo ich ein angedachtes Werk hätte realisieren sollen, hatte ich jegliche Lust darauf verloren.» Die Folge war eine für die Künstlerin dramatische: «Ich habe zwar gelernt, über meine Kunst und andere zu sprechen, aber ich hörte auf, Kunst zu machen, fühlte mich unfähig.»

Es brauchte einen Klimawechsel, um neue Inspiration zu schöpfen und wieder künstlerisch tätig zu werden: Erst nach Spanien, dann nach Basel führte sie ihr Weg. «Als ich hier ankam, packte ich meine Sachen aus. Darunter war auch, was von meiner Ausbildung in England übrig geblieben war: Eine Box voller Fotos. Nichts anderes.»

Fotos sind seither ihr Rohmaterial. Sie nahm die alten oder fertigte neue an, mit der Kamera, die sie fast ständig bei sich trägt. «Die Fotos fungieren als mein Gedächtnis», sagt sie. Und sie seien auch so beschaffen: Manchmal sehr konkret, sehr detailliert, manchmal verschwommen, unscharf, manchmal kaputt, unvollständig.

Trotzdem werden die Motive fast nebensächlich: «Ich sehe die Fotos als Objekt», sagt Kenny. Sie faltet die Blätter kunstvoll oder zerknittert sie und hängt sie an die Wand oder legt sie auf den Boden. Auch in der Villa Renata findet sich eine solche Arbeit: Die Fotografie einer Hausfassade mit Balkonen ist kaum zu entdecken, da sie hinter einer grün besprayten Glasscheibe fast gänzlich verschwindet.

Sammeln, sammeln, sammeln

Die Glasscheibe inklusive Rahmen hat Clare Kenny von Gisèle Linder geschenkt bekommen, die Kennys Werke in ihr Galerieprogramm aufgenommen hat. Auch andere Leute bringen ihr immer wieder Dinge, die sich dann bei ihr im Atelier stapeln. «Inzwischen weiss jeder, dass ich alles sammle, nichts wegwerfen kann. Denn alles könnte irgendwann nützlich werden. Das habe ich aus der Erfahrung mit den alten Fotografien gelernt.»

Die Fotos bilden aber nur einen Teil von Kennys Werken. Die 37-Jährige arbeitet auch skulptural. Sie stöbert gern in Baumärkten, und vor allem Gips hat es ihr angetan. Diesen giesst sie auch mal in eine alte Jeans, die grad eben so rumliegt: «Ich war einfach neugierig, wie das aussieht.» Herausgekommen sind zwei Gipsbeine, die sie unter dem Titel «Legless» nun in der Villa Renata zeigt.

Eine zweite Gipsplastik ist umhüllt mit Samt in einer rosa-violetten Marmorierung. Die Struktur der säulenförmigen Plastik erinnert an Baumrinde. «Vieles probiere ich einfach aus, schaue, ob mir das Resultat gefällt», sagt Kenny. Einen Ausgangspunkt gibt es aber schon, und der ist hier jedem Werk gemeinsam: Alles, was hier in der Villa Renata zu sehen ist, tut so, als ob es etwas anderes wäre. «Ich finde das faszinierend», sagt die Künstlerin. «Eine Plastikfolie, die Marmor vortäuscht, oder auch Stoff.»

Frage nach der Echtheit

Diesem Vortäuschen begegne sie immer wieder, erzählt sie, es ziehe sich durch die ganze Gesellschaft. Ob in der Küche der Grossmutter oder in den Strassen Nordenglands mit seinen typischen Reihenhäuschen, wo ein Besitzer meint, er müsse sich von den anderen abheben, indem er seine Fassade so gestaltet, als wäre sein Haus als einziges aus Stein gebaut – und trotzdem jeder sofort weiss, dass es hinter der Fassade genau gleich aussieht wie die anderen Häuschen links und rechts.

Clare Kenny kennt sich aber selber aus mit Täuschungen. In London bemalte sie als Dekorationsmalerin die Wände anderer Menschen, um Geld zu verdienen. Heute arbeitet sie unter anderem für den Kunstbetrieb in Münchenstein. Dorthin kommen Künstler mit Ideen, die sie selber nicht umsetzen können – weil sie zu gross sind oder in einer Technik hergestellt werden sollen, die sie nicht beherrschen. Wenn jemand nicht malen kann (oder will), hilft Clare Kenny.

Während sie bei dieser Tätigkeit die Vorstellungen anderer Künstler umsetzt, hat sie bei ihren eigenen Arbeiten manchmal nicht wirklich einen Plan. «Die Werke ergeben sich», sagt sie. «Und manchmal verändern sie sich auch, sei es durch mein Zutun oder durch den Faktor der Zeit: Fotografien verblassen vielleicht, oder sie verfärben sich.» Das gehöre dazu, auch zu ihr. Sie bleibe ja auch nicht stehen. Ihre Werke sind dabei ein Wegbegleiter, Teile ihres Lebens. Sie werden immer da sein, ganz egal, wo Clare Kenny ist.

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Regionale 14, bis 5. Januar 2014. Diverse Orte, Detailinfos unter www.regionale.org. Clare Kenny stellt in der Villa Renata (Accélerateur de particules), in der Kunsthalle Mulhouse und in der FabrikCulture in Hégenheim aus.

Die TagesWoche porträtiert während der Ausstellungsdauer der Regionale 14 mehrere junge Künstler und Künstlerinnen. Bereits erschienen: Raphael Stucky, Florine Leoni.

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