«Revolution», «Widerstand» – am 1. Mai werden die immergleichen Parolen entstaubt. Unfassbar veraltet. Wolfgang Bortlik benennt diese Krise im neuen Roman «Arme Ritter» und erzählt eine rasante Story um resignierte Altlinke. Dabei hat der Schalk das letzte Wort.
Wir haben 1. Mai. Warum nicht ein wenig Literatur zur Hand nehmen, die den Arbeiter hochleben lässt?
Darum. Ziegler, ein ehemaliger radikaler Altlinker aus Basel, macht es in Wolfgang Bortliks neuem Roman «Arme Ritter» vor:
Michael Ziegler sitzt auf der Toilette und blättert in einem schmalen Taschenbuch. «Neues Schaffen heisst Widerstand leisten! Widerstand leisten heisst Neues schaffen!» liest er, schöne Worte, aber er kann mit dieser Parole nichts anfangen. Die ist ihm zu einfach, zu nebulös.
Ziegler muss noch einmal furzen und legt die Broschur zur Seite.
Eine Ladung Darmwind verlässt Zieglers Körper. Er vermutet schon lange, dass er an einem krankhaften Blähbauch leidet. Die Aussagen des Taschenbuchs sind im Übrigen nichts Neues unter der Sonne. Ziegler ist auch enttäuscht vom Inhalt. Das sind doch Sachen, die er schon vor vierzig Jahren postuliert hat. Aber es ist schön, dass dies heutzutage noch gesagt wird und auch Anklang findet.
«Empört Euch!» Okay, denkt Ziegler, das habe ich hinter mir. Er muss noch einmal furzen und legt die Broschur zur Seite.
Ein neues Vokabular fehlt
Das klingt fast wie bei beim Dichter Günter Eich, der Hölderlin auf Urin reimte. Der Klassiker wird fäkalisiert, ähnlich ergeht’s bei Bortlik der revolutionären Parole, wenn auch aus denkbar anderen Gründen als bei Eich. Das linksradikale Vokabular der 70er hat sich abgenutzt. Kein neues ist entstanden, was mit ein Grund sein mag, dass sich heute in den meisten Teilen Europas die Rechte mehr Gehör zu verschaffen vermag als die Linke. Wenn damals schon kein revolutionäres Zeitalter war, sondern ein hoffnungsvolles, so ist es das heute erst recht nicht.
Um es mit den Worten des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu sagen: «Die Revolution, die ich als Jungsozialist plante, habe ich als Kanzler verhindert.» Und wenn heute wieder ein paar Schwarzkapuzige über die Zürcher Langstrasse schleichen und «Revolution» und «Widerstand» schreien – so ist das eher zum Lachen, als zum Mitgehen. (Zurecht hat Udo Theiss in dieser Zeitung auf junge Linke hingewiesen, die sich neben den staubigen Radikalen frischer und offener gebärdet. Wie durchschlagskräftig sie ist, bleibt zu fragen.)
Wolfgang Bortlik erzählt die Geschichte einer Münchner Wohngemeinschaft, die revolutionär gemeint eine Bank überfällt. Das war noch was! Laut rufend in die Schalterhalle stürmen und «Eigentum ist Diebstahl!» skandieren. Und auch wenn man sich fast in die Hosen macht: endlich mal nicht nur rufen sondern auch was tun. Wenn die da oben stehlen können, dann können wir das auch.
Früher Revoluzzer, heute verfallener Sack
Das war 1974. Doch der Überfall lässt Schott, Rademacher, Gerda und Ziegler nicht mehr los. Nicht weil sie erwischt werden, sondern weil Rademacher mit dem Geld durchbrennt und Schott und Gerda im Abstand von je 12 Jahren rätselhaft ums Leben kommen.
Von Revolution will keiner der Verbliebenen mehr was wissen. Der Traum ist aus, doch die revolutionäre Haurucktat verfolgt sie wie ein Gespenst. Es spukt so sehr, dass es kein produktives Leben zulässt. Die lähmende Nachwirkung des Bankraubs wird zum Symbol, mit dem Bortlik das Schicksal der beiden Altrevoluzzer Ziegler und Rademacher zuspitzt: Kaum 60, sind sie körperlich verfallen und haben es immer noch nicht auf die Reihe gekriegt, ihrem Leben ein Zentrum zu geben.
Der eine verkriecht sich als Lastwagenfahrer ins Tessin, der andere produziert entspannende Weichspülermusik für Yogastudios – mit abnehmendem Erfolg. Die Gesellschaft wird da nicht gerockt, weder von innen noch von aussen. «Wir sind eigentlich nur biologisch alt», sagt Rademacher, «sonst sind wir berufsjugendliche Psychowracks.»
Der Schalk siegt
Wie klingt das jetzt ernst und dazu am Tag der Arbeit. Und natürlich kennt man seinen Bortlik schlecht, wenn man das so stehen lässt. Das Buch liest sich schnurrig und besteht vor allem aus Schalk. Die Alten haben resigniert, aber auf drei Tage Regenwetter hat Bortlik keine Lust. Vielmehr spendiert er der Fabel ein herrliches Finale in Basel. Er lässt die alten Tage auferstehen, so grotesk, dass man nicht weiss, ob man lachen oder weinen soll.
Nur in eine Richtung schiesst Bortliks feine gute Laune zu weit, denn die meisten Figuren lässt er um jeden Preis Umgangssprache reden. Und wenn dann eine 17-Jährige mit den Worten loskumpelt: «Hey Mam, was geht ab in Paris?» Hui, dann ist das vorgestrig. Fast noch staubiger als die Revoluzzerparolen der 70er.
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Wolfgang Bortlik: «Arme Ritter», Nautilus, 160 Seiten.