Eine Reinszenierung des Völkermord-Radios

«Hate Radio» ist eine Produktion des International Institute of Political Murder (IIPM). Gegründet wurde es von Milo Rau, der bei Hate Radio Regie führt und das Buch dazu schrieb.  «Hate Radio» spielt in der Zeit des Völkermordes in Ruanda im Jahr 1994. Nun wird es in der Kaserne aufgeführt.

Darsteller aus «Hate Radio» (Bild: Daniel Seiffert)

«Hate Radio» ist eine Produktion des International Institute of Political Murder (IIPM). Gegründet wurde es von Milo Rau, der bei Hate Radio Regie führt und das Buch dazu schrieb. «Hate Radio» spielt in der Zeit des Völkermordes in Ruanda im Jahr 1994. Nun wird es in der Kaserne aufgeführt.

Der Blick geht auf einen Kasten mit heruntergelassenen Jalousien. Zuerst erscheint eine Schrift, die geschichtlich einleitet. Im ostafrikanischen Staat Ruanda wurden 1994 innert drei Monaten schätzungsweise eine Million Angehörige der Volksgruppe der Tutsi und tausende gemässigter Hutu systematisch ermordet. Massgeblich an diesem Genozid beteiligt war der kigalische Radiosender RTML. Als die Schrift verschwindet, werden Menschen projiziert. Ein Mann, der seine Familie im Genozid verlor, befragt den ehemaligen RTLM-Moderator Georges Ruggiu zu seinen Taten. Nacheinander erzählen vier Menschen von ihren Erfahrungen während des Völkermordes in Ruanda 1994.

RTML on Air

Nun fahren die Jalousien hoch und enthüllen einen Glaskasten. Darin befinden sich Mikrofone, ein Mischpult, drei Stühle, die um einen Tisch gruppiert sind – auf den Stühlen die Schauspieler, welche die Moderatoren Valérie Bemeriki, Georges Ruggiu, und Kantano Habimana darstellen. Ein vierter Stuhl befindet sich in der Ecke, auf ihm sitzt ein Mann mit einem Gewehr. Eine Wand trennt einen Teil des Kastens ab – hinter ihr sitzt DJ Jojo – Joseph an seinem Mischpult. Das Bühnenbild stellt die Nachkonstruktion des Radiostudios von Radio RTML nach, Radio-Télévision Libre Collines.

Die Moderatoren sprechen Kinyarwanda und Französisch. Sie reden sich gegenseitig in Rage, sodass man sich sehr konzentrieren muss, den Aussagen zu folgen. Diese werden durch deutsche Übertitel übersetzt. Der Italo-Belgier Georges Ruggiu freut sich in den sogenannten Nachrichten 51 Tote der «Gegner» vermelden zu können, der Sieg über die Rebellen sei nah. Es sei Krieg. Die ausländischen Medien würden lügen, wenn sie das Wort «Genozid» in den Mund nähmen.

Es ist keine leichte Kost, die man zu hören bekommt. Sehr eindrücklich sind die Augenzeugenberichte, welche vor und nach der Radiosendung auf die Jalousien projiziert werden. Sie lassen das Publikum die Distanz, welche viele zuvor hatten, verlieren. Ein junger Mann berichtet, dass er sich mit seiner Familie in ihrem Wohnhaus verbarrikadierte, als sie die Situation erfassten. Sie hörten Radio RTML. Plötzlich mussten sie mit Schrecken feststellen, dass sie denunziert worden sind: «Es verstecken sich Kakerlaken in dem roten Haus (…).» Das rote Haus war ihr Haus. Sie flüchteten in die von UNO-Blauhelmen bewachte Schule. Als diese jedoch am nächsten Tag abzogen, brachen extremistische Hutu über sie und Dutzende andere hinein. Sie zerstückelten die Menschen mit ihren Macheten. Der junge Mann musste mitansehen, wie einer Frau die Brüste abgeschnitten und einer Schwangeren der Bauch langsam aufgeschnitten wurden. Er konnte nur überleben, weil er sich zwischen den Leichenteilen totstellte.

Starke Wirkung

Die Gräueltaten der extremistischen Hutu werden von den Augen- und Ohrenzeugen sehr detailliert beschrieben. Da erscheint es wie blanker Hohn, als die RTLM-Moderatoren in der Sendung ähnlich schlimme Taten den Tutsi anhängen. Valérie Bemeriki erzählt der Hörerschaft, die Tutsi vergewaltigten Frauen, Kinder, Gott und sogar den Teufel, wenn er sie liesse. «Die Lösung ist die totale Auslöschung.» Sie wiederholt diesen Satz, um ihm Nachdruck zu verleihen. Die Moderatoren nennen ihre Aufrufe zum Morden an den Tutsi «Verteidigung». Sagen aber gleichzeitig, dass sich die Tutsi verstecken und rufen dazu auf, Verstecke zu verraten. Es wird klar, dass das Moderationsteam des RTLM eine komplett verzerrte Realität für ihre Hörer schafft.

Die Reinszenierung der Sendung des Radio RTLM während des Genozids in Ruanda empfiehlt sich nicht für Kinder, da es eine gewisse Reife erfordert, die Schilderungen und Aussagen zu verarbeiten. Das Stück ist kein Theaterstück, es ist eine Dokumentation von Ereignissen, die bei den Versehrten, aber auch beim Publikum Spuren hinterlassen haben.

«Hate Radio» wird noch am 20. und am 21. April um 20 Uhr in der Kaserne Basel gezeigt. Am 21. April findet zudem von 16 Uhr bis 18.30 Uhr ein Diskussionsforum zu «Hate Radio» mit prominenten Experten statt.

 

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