Hausregisseurin Nora Schlocker inszeniert im Basler Schauspielhaus Ewald Palmetshofer Bearbeitung von Christopher Marlowes Tragödie um den schwulen Versagerkönig «Edward II.» als böses Kammerspiel.
Es geht um Liebe und Macht, Lust und Tod, Blut und Kot: Es ist wahrhaft vieles faul im Staate England. Auf dem Thron sitzt ein König, der eigentlich keiner ist und gefangen in seinen privaten Lustbarkeiten die Staatsgeschäfte fahren lässt. Nicht «L’état c’est moi!» lautet seine Devise, sondern «Die Liebe bin ich!». Und um ihn herum gruppiert ist die spiessige Adelsgesellschaft, deren Sorge um das Wohlergehen des Staats von zynischem Hass und Machtgeilheit zugedeckt wird.
Und auch das noch: Der König Edward II. ist schwul. Nicht einer Mätresse gelten seine Liebe und Begierde, sondern seinem Günstling Gaveston aus der Gosse des verhassten «Ficker-Franzenland». Ein unvorstellbarer Skandal wäre das selbst im heutigen Königreich England. Der Autor der Tragödie, Christopher Marlowe (1564 – 1593) lebte allerdings im elisabethanischen Zeitalter. Dass dies alles in einem Sumpf von Abscheu, Verzweiflung, Mord und Totschlag enden muss, verwundert kein bisschen.
Palmetshofers Text ist packend, er hat viel Tempo und Dynamik, er ist Sprachkunst und Kunstsprache.
Das Stück «Edward II.», das in Basel den Titelzusatz «Die Liebe bin ich» trägt, ist also ein ungeheuerliches Werk, das erst nach dem frühen Tod des Shakespeare-Zeitgenossen uraufgeführt wurde. Und nun als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien, der früheren Arbeitsstätte des neuen Direktors Andreas Beck, und den Wiener Festwochen am Theater Basel eine erneute Uraufführung erlebt.
Uraufführung deshalb, weil der gefeierte österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer, den Beck als Dramaturg an sein neues Haus binden konnte, die Tragödie neu übersetzt und bearbeitet – oder besser – neu gedichtet hat. Das merkt man beim ersten Hinhören gar nicht richtig – gesprochen wird in Jamben. Um eine sprachliche oder inhaltliche Aktualisierung ging es Palmetshofer offensichtlich nicht, mehr um eine Straffung des etwas ausufernden Originals und um eine sprachliche Zuspitzung.
Das Resultat hat die Mühe gelohnt: Palmetshofers Text ist packend, er hat viel Tempo und Dynamik, er ist Sprachkunst und Kunstsprache, die immer wieder bruchartig in knallige Pointen im Gegenwartsduktus mündet.
Präzise, effektvoll und temporeich
Hausregisseurin Nora Schlocker hat das verzwickte und von vielen Szenenwechseln durchsetzte Treiben ausgesprochen präzis, effektvoll und temporeich in Szene gesetzt. Ästhetisch setzen die Regisseurin sowie ihre Verantwortlichen für Bühne und Kostüme (Marie Roth und Sanna Dembowski) scharf gezeichnete Kontraste.
Die Bühne ist ein Treppenpodest aus Kupfer, das den König und seinen geliebten Günstling gnadenlos aus- und blossstellt. Und bei den Menschen auf der Bühne – Palmetshofer hat das 30-köpfige Personal auf 10 eingedampft – sorgen die Kostüme für klare Abgrenzungen. Dem von Kopf bis zu den Zehenspitzen golden eingekleideten König und seinem Liebesgesellen in einfachem Flatterhemd und grüner Turnhose stehen die Peers und der Bischof gegenüber, die mit ihren schwarzen Strumpfkleidern und weissen Halskrausen die vermeintliche Rechtschaffenheit direkt am Körper tragen. Dazwischen stehen hin- und hergerissen die Königin Isabella und der kindliche Thronfolger in weissen Gewändern.
Der fallende König
Herausragende Figur im Stück und der Inszenierung ist König Edward II., der hier in einem grossen Zwiespalt zwischen der privaten und der politischen Persönlichkeit steht, den es bei einem absoluten Herrscher eigentlich nicht geben darf. Simon Zagermann spielt den in einem Netz von trotziger Herrschsucht, selbstzerstörerischer Begierde und schnödem Desinteresse gegenüber den Staatsgeschäften taumelnden König mit einer faszinierenden Mischung von Restwürde und Absturz. Dieser Edward II. ist böse und bedauernswert zugleich, Täter und Opfer, der seine Widersacher köpfen lässt, dann sogleich wieder den Schwanz einzieht und sich von seinen Liebesgesellen am Gängelband herumführen lässt.
Der am Hof verhasste Günstling Gaveston ist Lustknabe und hässlicher Intrigant zugleich. Thiemo Strutzenberger zeigt ihn als tänzelnder Parvenü, der erst, als er von den aufbegehrenden Peers gepeinigt, blutüberströmt darniederliegt, also erst gänzlich entwürdigt einen Rest an Würde zeigen kann.
Es ist, als hätte Regisseurin Nora Schlocker kurz vor Erreichen der Schmerzgrenze einen automatischen Notstopp eingebaut.
Ihre Würde und ihren Kampf verlieren letztlich alle in diesem wüsten Spiel. Die geprellte König Isabella (Myriam Schröder), deren Leid in Rachelust umschlägt, der machtgierige Mortimer (Michael Wächter), der sich zum grossen Widerling entwickelt, sowie der zynisch-homophobe Bischof (Thomas Reisinger) und die namenlosen Peers (Florian Jahr und Elias Eilinghoff). Letztlich auch der neue Kindskönig Edward III. (toll gespielt vom Knabenkantorei-Mitglied Noah Zanolari), der vom unschuldigen Knaben zum blutleeren Rächer mutiert.
«Edward II. Die Liebe bin ich» ist ein berauschender Text, der von beeindruckenden Schauspielern in einer temporeichen und präzisen Inszenierung in Szene gesetzt wird. Es sind schöne Bilder, die man vorgesetzt bekommt, etwa wenn der König seinen Günstling als Symbol für die innige, körperliche Liebe im Zuber wäscht. Es sind wüste Bilder, wenn Gaveston blutüberströmt daliegt oder Edward kotbeschmiert zugrunde geht.
Aber so richtig an die Nieren geht das Ganze letztlich nicht. Es ist, als hätte Regisseurin Nora Schlocker eine Leidenschaftsbremse und kurz vor Erreichen der Schmerzgrenze einen automatischen Notstopp eingebaut. Nichtsdestotrotz bedankte sich das Premierenpublikum nach über zweieinhalb Stunden beim neuen Ensemble mit warmem Applaus.
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«Edward II. Die Liebe bin ich» von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe. Schauspielhaus, Theater Basel. Die nächsten Vorstellungen: 13. und 20. November sowie im Dezember.