Eine zauberhafte Kunst- und Wunderkammer

Die Ausstellung «For Your Eyes Only» im Kunstmuseum Basel führt durch eine private Kunst- und Wunderkammer, die einen in ihrer mit herausragenden Exponaten vom Mittelalter bis zu Gegenwart bestückten Extravaganz und Sinnlichkeit nicht mehr aus dem Staunen herausbringt.

Johann Heinrich Füssli: «Nachtmahr» (1810) (Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

Die Ausstellung «For Your Eyes Only» im Kunstmuseum Basel führt durch eine private Kunst- und Wunderkammer, die einen in ihrer mit herausragenden Exponaten vom Mittelalter bis zu Gegenwart bestückten Extravaganz und Sinnlichkeit nicht mehr aus dem Staunen herausbringt.

Bereits der Eintritt in den ersten Ausstellungssaal im ersten Stock des Kunstmuseums lässt einen den Atem stocken. Da ist das dunkle Altmeister-Rot der Wände, was es im Kunstmuseum Basel noch nie gab.

Mitten im Raum hängt eine mächtige rote Abrissbirne («Wrecking Ball» von Jeff Koons) von der Decke herunter. Und rund herum fällt der Blick auf Werke unterschiedlichster Machart und aus den verschiedensten Epochen: vom mittelalterlichen Püsterich über ein Tableau mit Devotionalien und düstere Albtraumszenen von Johann Heinrich Füssli bis zum zeitgenössischen Bronze-Geweih von Not Vital, das einen mit dem Schriftzug «Fuck You» vergeblich aus dem entrückten Staunen zu rütteln versucht.

Viele Werke aus der Basler Privatsammlung von Richard und Ulla Dreyfus-Best sind weltweit immer wieder in bedeutenden Ausstellungen zu sehen. Und das Basler Kupferstichkabinett konnte sich kürzlich erst über die Schenkung zweier Altmeister-Zeichnungen aus der Sammlung freuen.

Das Kunstmuseum Basel hat nun zusammen mit der Peggy Guggenheim Collection in Venedig den Versuch unternommen, die über viele Jahre zusammengetragenen Werke in ihrem eigenen Sammlungskontext zu präsentieren – ein Versuch, der in allen Belangen geglückt ist und einen geradezu umwerfenden Eindruck hinterlässt.

Ein Kunstprofessor lässt sich bitten

«For Your Eyes Only» lautet der verschwörerische Titel der Ausstellung, die mit dem Untertitel «Eine Privatsammlung zwischen Manierismus und Surrealismus» den Versuch unternimmt, den weiten Rahmen der Sammlung abzustecken.

Wobei sich die Begriffe Manierismus und Surrealismus, was rasch deutlich wird, nicht auf die kunsthistorisch abgrenzbaren Stilepochen beschränken. «Es geht hier mehr um die manieristische Tendenzen, welche die gattungs- und zeitübergreifende Werkauswahl insgesamt auszeichnen», sagt Andreas Beyer, Kunstgeschichtsprofessor an der Universität Basel und Kurator der Ausstellung.

Dass sich ein Kunstgeschichtsprofessor an die Präsentation einer Privatsammlung macht, lässt vermuten, dass er diese, und sei sie noch so sehr vom persönlichen Geschmack der Sammler bestimmt, gattungsspezifisch und chronologisch zu ordnen versucht.

Das ist hier aber glücklicherweise ganz und gar nicht der Fall. Zwar wurde die Sammlung wissenschaftlich durchforstet – das Resultat ist im schönen Katalog zu sehen. Die Ausstellung selber ist ganz darauf angelegt, die zeitvergessene und gattungssprengende Eigentümlichkeit der Sammlung spüren zu lassen.



Säle in Altmeister-Rot ...

Säle in Altmeister-Rot … (Bild: Dominique Spirgi)

Exzentrisch, aber gut

Richard und Ulla Dreyfus haben nicht bestimmte Kunststile gesammelt, sich nicht auf eine oder wenige Epochen beschränkt. Sie waren weniger auf berühmte Namen aus, sondern auf die Wirkungskraft der Bilder, Skulpturen, Artefakte und Kuriositäten.

Da das Sammlerpaar über einen zuweilen etwas exzentrischen, aber guten Geschmack, Sachverstand und über ein nicht kleines Portemonnaie verfügt, sind aber dennoch Namen vorhanden, die sich wie ein Ausschnitt aus dem Who is Who der Kunstgeschichte lesen: Hans Baldung Grien, Arnold Böcklin, Giorgio de Chirico, Salvador Dalí, Max Ernst, Johann Heinrich Füssli, René Magritte, Paul Klee und Andy Warhol, um nur einige zu nennen.

Es gibt Werke in der Sammlung, die den weiten manieristischen inhaltlichen Bogen gut repräsentieren: Magrittes «Das fertige Bouquet» zum Beispiel, das von hinten den typischen Magritte-Mann mit Melone auf dem Kopf zeigt, wie er in einen Herbstwald hineinzuschreiten scheint.

Auf seinem Rücken aber erscheint der Geist einer ebenso typischen Boticelli-Dame, die sich auf surrealistische Weise aus der Renaissance ins 20. Jahrhundert gerettet hat. Das Bild verbindet also die Neuzeit mit einem Zitat aus aus alter Zeit

Inhaltliche Cluster

Diese Zeitsprünge setzen sich in äshetisch und inhaltlich stimmigen Gegenüberstellungen von Werken aus verschiedenen Epochen fort. So trifft Füsslis düstere «Vertreibung aus dem Paradies», ein Werk aus dem 19. Jahrhundert, auf eine erotisch aufgeladene mythologische Fantasie aus dem 16. Jahrhundert: Ein mutmasslich Deutscher Meister aus dem 16. Jahrhundert vereint die (in allen Details enthüllten) splitternackten Götterfiguren von Vulkan und Ceres zum ausgesprochen lüsternen Zusammentreffen.

In einem weiteren Raum korrespondiert eine Schädeldarstellung von Andy Warhol unter anderem mit einem Totenkopf-Opferstock aus dem 17. Jahrhundert, einem verzerrten Selbstporträt des Zeitgenossen Francesco Clemente («Der Schwan») und einer Video-Animation eines aus arabischen Kaligrafien zusammengesetzten Kopfs des türkischen Künstlers Kutluğ Ataman.

Ein paar Räume weiter trifft man dann auf eine Ansammlung von Erotica, die von Füsslis freizügigen Aktdarstellungen (Füssli ist einer der gewichtigsten Künstler in der Sammlung) über die Darstellung einer halbverwesten Dame eines österreichischen Meisters aus dem 18. Jahrhundert bis zum naturgetreu nachgebildeten Penis und künstlerisch-pornografischen Miniaturen aus Elfenbein reicht.

Pure Schaulust

Ars erotica trifft auf Ars religiosa, Meisterzeichnungen des Barocks korrespondieren mit surrealistischen Gemälden, Manierismus beweist seine ästhetische Verwandschaft mit dem Symbolismus – und das mit herausragenden und zum Teil wundersamen Exponaten. Wunderbar, wie sich Kunst hier für einmal von ihrem akademischen Korsett befreit als sinnliche Kunst- und Wunderkammer präsentieren kann. Die pure Schaulust an der Art as Art can hat Oberhand. Ein befreiendes Erlebnis.

Und so erfreulich es klingt, wenn Museumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi seiner Hoffnung Ausdruck gibt, dass das Kunstmuseum Basel dereinst ein bedeutendes Konvolut aus dieser Sammlung als sein Eigentum in die Sammlung wird aufnehmen können: So sinnlich im Zusammenspiel wird man die Werke wohl nicht mehr erleben können.


«For Your Eyes Only – Eine Privatsammlung zwischen Manierismus und Surrealismus»
. Kunstmuseum Basel, bis 4. Januar 2015.

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