Eingetaucht: Wieso man sich Thomas Hauris Kunst nicht entziehen kann

Der Lenzburger Künstler Thomas Hauri macht Kunst, die alles vereinnahmt. Wie schafft er das bloss? Der Versuch einer Erklärung.

Und eintauchen: Thomas Hauris Kunst machts möglich.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Der Lenzburger Künstler Thomas Hauri macht Kunst, die alles vereinnahmt. Wie schafft er das bloss? Der Versuch einer Erklärung.

Es gibt Kunstwerke, die saugen einen auf. Man begibt sich nicht vor sie, man begibt sich in sie. Bei Cy Twombly zum Beispiel: Was bedeuten diese kleinen Zeichen da? Kurz hingeschaut, flupp und drin. Oder bei einem Rothko-Bild: Wir können den Blick nicht davon lösen, die Ränder verschwinden, die Farbe kommt, man tritt ein. Portale in andere Welten, hat sie Adam Green mal genannt – Schnittstellen zwischen unserer und einer anderen Welt. 

Bei Thomas Hauri, der momentan im Kunsthaus Baselland zu sehen ist, verhält es sich ähnlich. Der Lenzburger Künstler macht riesige Aquarelle, mit Betonung auf «macht», denn Hauri malt nicht nur mit dem Pinsel, er arbeitet mit Klebstreifen, Zerstäuber und Bürsten, die er dem grossformatigen Papier antut, als wäre es ein zu beackerndes Gelände.

Er klebt Stellen ab, malt mit grossen Pinseln drüber, reisst den Tesafilm wieder weg, taucht den Pinsel in Wasser und fährt noch mal übers Papier, nimmt einen Wasserzerstäuber und lässt die kleinen Partikel aufs Blatt schaukeln, geht bei Korrektionsbedarf noch mal drüber, mit einer groben Bürste, erbarmungslos schrubbend.

Was daraus entsteht, ist schwierig zu beschreiben, wenn man es selbst noch nie gesehen hat. Wie bei Rothko, dem nur direktes Erleben gerecht wird, sind auch Hauris Bilder von einer einnehmenden Vielschichtigkeit – in Form und Inhalt.



So.

So. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Zu vage? Also: Einerseits gibt es eine Vielschichtigkeit, die aus Hauris Arbeitsweise resultiert, Pinsel, Wasser, Bürsten, Klebeband. Man sieht dem dicken Papier den Prozess an, durch die verschieden aufgetragenen Schichten entstehen zig Tonwerte und Ebenen, Fenster und Durchgänge. Hinzu kommen die Formen: Architektonische Elemente, streng platziert durch Klebeband-Spuren, die wie kleine Lichtschlitze durchs Bild zucken. 

«Essenz der Architektur» nennt es das Saalblatt, und die Bezeichnung trifft ins Schwarze (elfenbeinschwarz, um genau zu sein – die Farbe, mit der Hauri seit fünf Jahren fast ausschliesslich arbeitet): Thomas Hauri orientiert sich an Architektur, wobei der Begriff für ihn weit mehr als nur Gebäude einschliesst.

«Für mich ist Architektur unser ganzes gebautes Umfeld: Strassen, Objekte, Wegführer, alles, was um uns herum errichtet ist», sagt Hauri bei einem Rundgang durch die Ausstellung. Gemäss dieser Haltung entnimmt er seinem Umfeld Formen und Eigenschaften und verdichtet sie auf Papier, sodass sie zu eigenen Räumen, zu einer Weiterführung der dinglichen Welt werden.



Pulli passt: Thomas Hauri.

Pulli passt: Thomas Hauri. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Nirgends ist das besser zu beobachten als im Ausstellungsraum selbst, den Hauri zusammen mit Kuratorin Ines Goldbach kuratiert hat. Die Bilder greifen nahtlos in den Raum über, als wären sie ein natürlicher Teil der Architektur des Kunsthauses, ihre Tiefen und Formen nehmen Elemente des Ausstellungsraums auf, korrespondieren mit Säulen und Fluchtpunkten und öffnen neue Räume.



Als wäre es schon immer da gewesen: Hauris Kunst passt wie angegossen ins Kunsthaus Baselland.

Als wäre es schon immer da gewesen: Hauris Kunst passt wie angegossen ins Kunsthaus Baselland. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Wie Hauri das alles schafft? Indem er den Kontrollverlust riskiert. Seine Technik ist streng genommen das Aquarellieren – eine Technik, die von Exaktheit und Sorgfalt lebt. Man bringt Wasser ins Spiel, genau in der richtigen Dosis, um eine Einheit zu erzeugen. Man schafft Kontrolle über seine Mittel. Damit bricht Hauri, indem er das Papier – seit 2005 immer das gleiche übrigens, stark geleimt und widerstandsfähig – bewusst strapaziert.

Er geht an die Grenzen, bringt Wasser auf die Leinwand, das sein eigenes Spiel treibt, schrubbt eingriffig ungewollte Spuren weg, was die Korrektur wiederum ersichtlich macht. Er scheut den Zufall nicht, den solche Methoden mit sich bringen, ganz im Gegenteil: Er nimmt ihn mit, schreibt sich mit ihm ins Papier ein.

Es sind also nicht nur die raumgreifenden Formen, die Hauris Werke zu den eben genannten Portalen machen. Kunst braucht Menschlichkeit, um Wirkung zu hinterlassen, und die findet sich bei Hauri in der Essenz. In der Essenz der Architektur, ja auch, aber in erster Linie in der Essenz jener Grundbedingung des Lebens: Der Unberechenbarkeit. Hauri setzt sich dem Unvorhergesehenen aus, das macht seine Kunst erst richtig raumübergreifend. Und uns zu staunenden Eintretenden. Flupp und drin.

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Thomas Hauri stellt zusammen mit Max Leiss vom 20. Januar bis 6. März im Kunsthaus Baselland aus

Vernissage: Dienstag, 19. Januar 2016, 18.30 Uhr.

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