Im Hanser Verlag erscheint eine neue Reihe: im Wochentakt, nur als E-Book und zum kleinen Preis. Wir haben probegezappt.
Welches soll ich nehmen? Lauter farbige Quadrate sind zu sehen, wenn man die Webseite vom Hanser Verlag öffnet und dort ins Menü «Hanser Box» geht. So heisst die neue Reihe, in der jeden Mittwoch ein kurzes E-Book für wenig Geld erscheint. Jetzt gerade aktuell, in grüner Schrift auf schwarzem Grund: «Lebenslügen im Kapitalimus». Warum nicht. Aber der Titel klingt nach harten Fakten – als Einstieg etwas kantig.
Ich will etwas fluffiges. Denn das wollen sie auf eine Weise doch sein, diese Texte. Zu lang für die Zeitung, zu kurz für ein Buch. Vielleicht ein Nebenprodukt des Autors, oder ein grosser Wurf im kleinen Format. Vielleicht wird er sogar umhauen, der Text, auf jeden Fall sitze ich mit dem Smartphone im Café und will eine Lektüre, die so lang ist wie mein Getränk.
Steigt man bei den grossen Namen ein, mit denen Hanser die Reihe im Oktober auf den Weg geschickt hat? T.C. Boyle ist dabei, Ilija Trojanow, A.L. Kennedy. Aber die rennen nicht weg, die Grossen. Also entscheide ich mich für «Schnelle Nummer» von Nora Bossong. Das klingt nach 70er Jahren und dem angestaubten Versuch, schlüpfrige Assoziationen zu wecken. Sex sells – aber natürlich mit Niveau.
Bis ich mit dem Lesen anfangen kann, wirft sich allerdings noch ein bürokratischer Akt in den Weg.
E-Books sind von überall verfügbar, aber statt dem Gespräch mit dem Händler und dem ehrlichen Bargeld auf der Theke hat man halt Daten, die man eingeben muss. Beim Klicken durch den Verkaufsvorgang funktioniert dann ein Button nicht und ich muss erst den Computer holen, bis ich das Buch laden kann.
Etwas ist unfertig
Aber jetzt erscheint «Schnelle Nummer» auf dem Schirm. Nora Bossong hatte eine neckische Idee: Sie hat recherchiert, ob es eigentlich noch Stundenhotels gibt. Jene Etablissements, die man für eine kurze Zeit mietet und seine eigene Begleitung mitbringt. Denn warum sollte es sie noch geben – Stundenhotels sind für Leute aus einer Zeit gemacht, «die den Balanceakt aushalten müssen zwischen ihrer Leidenschaft für die schickliche Form und der für den schamlosen Fick». Der Seitensprung ist nur dann ein wirklicher Seitensprung, wenn er vor dem Hintergrund einer unhinterfragten Ehe geschieht.
Das gibt’s heute vergleichsweise wenig, und Bossong erzählt mit dem aussterbenden Stundenhotel eine kleine Kulturgeschichte auf 35 Seiten. Aber der Text packt nicht recht. Er ist eine Mischung aus Essay, Bericht ihrer Recherche vor Ort und Erzählung. Vielleicht ist er das Zwischenergebnis auf dem Weg zu einem anderen Text. Etwas ist noch nicht fertig und der Boxtext auf eine Weise ein Blick in ihre Werkstatt. Im Grunde ist es spannend, dass es für so etwas eine Plattform gibt.
Über einen Zwischenhalt bei Sketchminiaturen von Michael Frayn (die zwar originell sind aber auch ziemlich flach, dafür während der Dauer eines Espressos lesbar) lande ich dann doch bei Boyle.
Und hier ist ab der ersten Seite grosse Kunst. Boyle erzählt auf einigen Dutzend Seiten die Geschichte einer jüdischen Familie in Amerika und steigt mit einer Badeszene ein. Sommer am See, warme Haut, das Kind schmiegt sich nach dem Schwimmen frierend in den Arm der Mutter. Keine Gedanken ausser ans Eincremen der Lippen.
Boyle schafft eine Wohligkeit, durch die man augenblicklich ein Teil der Familie wird und ab hier durch die Geschichte fiebert: Wenn eine Geschichte so anfängt und «Tod in Kitchawank» heisst, kann es nur schlimm kommen, aber bitte, bitte lass es gut ausgehen.
Schöne Box, guter Fund. Es hat vier Franken gekostet. Und die Bürokratie klappt inzwischen ganz gut.
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Jeden Mittwoch erscheint ein neues E-Book bei «Hanser Box». Es sollen alle Gattungen abgedeckt werden: die literarischen Formen, aber auch Essay, Reportage, politische Schriften. Jeder Text kostet 2,99 Euro und ist bei verschiedenen Onlinehändlern erhältlich.