An Markus Müllers Antenne scheiden sich die Geister. Grobschlächtig, grau und verstrahlt soll sie sein. Da lohnt es sich umso mehr, einmal genauer hinzuschauen.
Es gibt Kunst im öffentlichen Raum, die ist wie der Tinguely-Brunnen: Tag für Tag fährt man daran vorbei, hat Freude, verweilt hie und da in ihrer Nähe. Dann gibts Kunst, die ist zwar direkt vor der eigenen Nase, man sieht sie jedoch nicht (wie Jürg Stäubles Wetterfahne) oder man weiss erst gar nicht, dass es Kunst ist (wie Hannes Vogels Wegzeichen). Und dann gibt es noch eine letzte Art öffentlicher Kunst: Die, bei der man weiss, dass es Kunst sein soll – man aber nicht versteht wieso.
Genau so verhält es sich mit der Antenne «Scusi Brancusi» beim Jacob-Burckhardt-Haus an der Kreuzung von Nauen- und Münchensteinerstrasse: Ein grosses protziges Ding, das in all dem Grau in der Nähe der Swisscom-Antenne nicht weiter aufzufallen scheint, aber gleichzeitig ziemlich dick aufträgt mit den grosszügigen Formen und seiner imposanten Grösse von 24 Metern.
Eine solch einschneidende Skulptur erhält auch dementsprechend grobe Resonanz: «Wenn ich hier vorbeilaufe denke ich jedes Mal: Jetzt muss wieder irgendwer so eine dämliche Skulptur hinstellen, die niemanden interessiert» schimpft ein Passant.
Placebo-Antenne
Markus Müller ist der Schöpfer von «Scusi Brancusi». Er sieht derartige Kommentare zu seinem Kunstwerk gelassen: «Stören ist immer gut. Die Stärke von Kunst besteht genau in dieser Art von Aufmerksamkeitsverlagerung.» Auch Unmut ist eine Reaktion und bestätigt Müllers Aussage: Skulptur im öffentlichen Raum steuert das Augenmerk – und plötzlich stört eine Stahlantenne, die nichts weiteres tut, als an einem dicht befahrenen Platz herumzustehen.
Obwohl ihr bisweilen auch anderes nachgesagt wird: Manche Menschen, die direkt neben der Skulptur arbeiten oder öfters in der Umgebung sind, beschwerten sich über fehlenden Handy-Empfang und klagten über Kopfweh. So eine Skulptur kann eben auch wortwörtlich Beschwerden auslösen. Obwohl die Antenne in keinster Weise funktionstüchtig ist.
Zusätzlich wirft «Scusi Brancusi» geografische Fragen auf. So erreichte die TagesWoche-Redaktion erst kürzlich eine Mail, wo ein Leser den Standort der Skulptur missbilligte: «Also in der Natur könnte ich so eine Fake-Antenne noch als polarisierende Kunst anerkennen, aber mitten in der Stadt?»
Mit der Faust aufs Stadtbild
Dabei geht es genau um diesen spezifischen Raum am Rande der Stadt: «Scusi Brancusi» reflektiert den Autoboom der 60er Jahre, als die Autobahnen direkt in die Stadt geleitet werden sollten und das Heuwaageviadukt gebaut wurde, um von der Autobahn direkt zum Spalentor in die Innenstadt zu kommen. Dieses radikale Auto-Denken, diese Schneise in die Stadt, eine Faust ins Stadtbild sozusagen, wollte Müller im Werk thematisieren: «Sie ist eine grobschlächtige Autobahnskulptur, die den Eintritt in die Stadt markiert.»
Sowas klingt nicht schön, aber ehrlich. «Die Aufgabe von Künstlern ist es, einen Kommentar abzugeben. Wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht, wird dieser ein Kommentar zur Umgebung.» Müller tut seine Arbeit, nicht mehr und nicht weniger.
Eine angenehme Bescheidenheit schwingt hier mit. «Scusi Brancusi» mag grobschlächtig und penetrant sein, aber sie verleugnet es nicht. Man spürt den Unterton einer einfachen, zugänglichen Kunst, die sich nicht zu etwas macht, was sie nicht ist. Beim Titel schimmert Ähnliches durch: Hans Zwimpfer, der Architekt des Burckhardt-Hauses erzählte Müller von der Ähnlichkeit der Fassade mit den Werken des Bildhauers Constantin Brancusis, worauf dieser seine Antenne prompt mit «Scusi Brancusi» betitelte – ein kleiner Seitenhieb auf den nicht selten verschwenderischen Zitatgebrauch in der Kunstszene.
Relikt vergangener Zeiten
Am Ende haben viele Kunstwerke eine längere Lebensdauer als ihr Vorbild, sie werden zum Relikt. Für «Scusi Brancusi» heisst das: Die Antenne wird bleiben, auch wenn echte Antennen durch das Glasfasernetz und Satelliten langsam verschwinden.
Und wie sie in Zukunft ein Zeitzeugnis sein wird, ist «Scusi Brancusi» auch heute schon genau dies: Die heftigen Reaktionen geben mehr über ihre Betrachter preis, als ihnen bewusst ist. Diese dritte Art öffentlicher Kunst mag unbeliebt sein – es ist jedoch genau die Kunst, bei der es sich lohnt, für einmal stehenzubleiben und ihre Resonanz zu hinterfragen.